Zu Besuch bei Wheels4Life

Text & Bild Carmen Freeman-Rey
Reise

Am Rand des Schicksals drehen
Aus der Armut nach Eden

Hans „No Way“ Rey und seine Frau Carmen unterwegs für Wheels4Life

Vier Jahre sind vergangen, seit Hans und ich zuletzt Ostafrika besuchten. Damals wie heute galt die Visite unserer Wheels4Life-Stiftung. Vieles hat sich seither verändert: Tausende von Rädern wurden gespendet und Menschen in Uganda und Kenia übergeben, eine Werkstatt wurde eröffnet und ein Film über unsere damalige Reise produziert.

Anfangs war uns gar nicht so richtig bewusst, was auf uns zukommen würde, wie eine Stiftung überhaupt funktioniert. Doch wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, sind durch die zahlreichen Helfer vor Ort mittlerweile gut organisiert und freuen uns nach wie vor, Teil dieses Projektes sein zu dürfen. Für uns steht allerdings die Frage im Raum, ob und welche Veränderungen Wheels4Life im Leben der Menschen vor Ort bewirkt. Wir wollen uns deshalb mit den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung auseinandersetzen und zumindest einen Teil der Menschen, die in unser Projekt involviert sind, kennen lernen. Genau wie deren Heimatländer, Kenia und Uganda

Hitze, Staub, unbeschreiblich schlechte Straßen und Kakerlaken, groß wie Ratten. Das sind nur einige der negative Aspekte hier. Doch die unzähligen Umarmungen und die Dankbarkeit, die uns aus den Gesichtern entgegenleuchtet, lassen alles Schlechte rasch vergessen. Es ist unglaublich, was mit Fahrrädern verändert werden kann!

 
 

Die Anreise ist mehr als anstrengend, von Kalifornien geht es über Amsterdam einmal um die halbe Welt bis nach Nairobi. Die rund drei Millionen Einwohner zählende Kapitale liegt bereits auf 1600 Meter Meereshöhe und ist damit eine der am höchsten liegenden Hauptstädte Afrikas. Sie ist stark international geprägt, beherbergt etwa eines der vier Büros der Vereinten Nationen. Umso mehr verstören uns die vielen bewaffneten Sicherheitsleute und die zahlreichen Schleusen, die wir passieren müssen. Am nächsten Morgen treffen wir auf unseren englischen Kameramann Rob. Er soll, wie bereits 2009 für unseren Film “Wheels4Life, A Story about Giving”, unseren Trip dokumentarisch festhalten.
Johnnie, unser Fahrer und Sicherheitsmann, holt uns mit seinem bewährten Toyota ab und so starten wir Richtung Nordosten, in eine Gegend namens Ndeiya, die in der Nähe der Großen Afrikanischen Grabenbruchs liegt. Dort wirkt Bischof Francis Kamau. Der Geistliche ist nicht nur unser Projektleiter hier, sondern stammt selbst aus ärmlichen Verhältnissen. Durch Bildung und viel Engagement hat er es geschafft, ein Leben zu beginnen, das mehr Perspektiven bietet, als tagein, tagaus Kohle auf dem lokalen Markt zu verkaufen. Nach dem Studium in Nairobi und den USA kehrte er zurück, um den Menschen in mehreren afrikanischen Ländern zu helfen.

Hans Rey nutzt die Reisen immer auch um auf seine Stiftung aufmerksam zu machen.

Wir lernten Bischof Kamau 2012 durch eine australische Wohltätigkeitsorganisatin kennen. Nun stehen wir neben Kirche # 4 in Ndeiya, treffen stolze Fahrradbesitzer und reichen weitere 40 Räder an Bedürftige weiter. Es ist sehr wichtig für uns, jeden, der ein Rad von uns bekommt, persönlich kennenzulernen und zu erfahren, wofür er das Fortbewegungsmittel verwenden wird. Unsere Projektleiter begleiten die zukünftigen Fahrradfahrer und berichten uns, was sich dank des geschenkten Transportmittels im Leben dieser Menschen ändert und ob sie ihr Rad pfleglich behandeln.
Einer dieser Empfänger ist Sami. Er war neun, als er seinen Vater verlor. Seine Mutter brach zusammen und war nicht mehr fähig, ihn, seine behinderte Schwester und das Baby zu ernähren. Sami fand sich plötzlich in der Rolle des Versorgers. Zu Fuß holte er für einen kleinen Lohn täglich Wasser und Feuerholz für seine Nachbarn.

"Ohne sich vor seiner Verantwortung als Ernährer der Familie zu drücken, geht der Dreizehnjährige aber auch noch jeden Tag zur Schule."

Mit dem geschenkten Rad kann er nun ein Mehrfaches an Wasser und Feuerholz in einem Bruchteil der Zeit transportieren. Sein Einkommen hat sich dadurch vervierfacht.

Die Natur beeindruckt ihn immer wieder.

Eiserner Wille
Nach einer weiteren Nacht in Nairobi machen wir uns auf den Weg in das 200 Kilometer entfernte Dorf Solei, das in der Nähe von Nakuru, der Hauptstadt der Provinz Rift Valley, liegt. Wieder trafen wir dort Bischof Kamau, er stellte uns den Empfängern unserer Räder vor. Sie freuten sich sehr, uns, die Leute aus dem fernen Amerika zu treffen und konnten es kaum glauben, dass wir den weiten Weg auf uns genommen hatten, nur um sie kennenzulernen. Nach der Verteilung von weiteren 30 Rädern setzen wir unsere Reise fort. Bischof Kamau zeigt uns die Gegend und wir treffen viele weitere Menschen, die Räder von uns erhalten haben. Insgesamt fahren wir nur etwa 30 Meilen, aber man würde diese zerfurchten, ausgewaschenen Feldwege wohl nicht im Entferntesten in Zusammenhang mit dem Begriff „Straße“ bringen. Stundenlang, so scheint es, werden wir herumgerüttelt und wir fürchten bereits, dass unser Auto mit einem letzten schleifenden Geräusch den Geist aufgibt, den Plan unserer Treffen aprupt durchkreuzend.
Und doch treffen wir auf einer Baustelle in Ngugi Simon. Auch er erhielt bereits ein Rad von uns. 10 Jahre zuvor hat er einen Schlaganfall erlitten und kann seinen rechten Arm und sein rechtes Bein seither nur noch eingeschränkt benutzen. Was ihn aber nicht davon abhält, seiner harten Arbeit nachzugehen. Er benutzt sein Rad täglich, um zur Baustelle zu fahren. „Dieses Mal ist die Baustelle nur 4 Meilen von meinem Haus entfernt“, erklärt er, „aber die Entfernung betrug auch schon mal 12 Meilen.“ Auf meine Frage, ob sein Sohn ihm beruflich folgen würde, winkt er vehement ab: „Oh nein, ich arbeite doch, um ihm eine gute Schulbildung zu finanzieren, dass er es einmal beser hat!“
Nach vielen Umarmungen wird es Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen.

"Wir wissen mittlerweile, dass die berechnete Fahrtzeit auf dem GPS nur wenig mit der Realität zu tun hat, zu unwegsam sind die Straßen."

Dafür wähnt man sich aber in einem riesigen Zoo, Gazellen und kauende Giraffen kreuzen unsere Route. Der Begriff „Zebrastreifen“ bekommt eine völlig neue Bedeutung, als wir immer wieder für gestreiften Pflanzenfresser bremsen müssen.

Erkenntniss und Selbsterfahrung
Wir hoffen, noch vor der Dunkelheit das in den Orucho Hills liegende Katito zu erreichen. Noch sind die Straßen staubig, voller Spurrillen und Schlaglöcher, gnadenlos. Nach Stunden nähern wir uns dem Dorf und damit auch den Ufern des Victoria-Sees. Es ist offensichtlich, dass sich nicht nur das Klima ändert, sondern auch die Stimmung der Menschen. Starre Gesichter erinnern uns daran, dass hier das Epizentrum der einige Jahre zurückliegenden Aufstände liegt, die die Gegend nach den Wahlen in Chaos und Verwüstung stürzten.
Knöcheltiefer Schlamm bedeckt nun die Straße und die durchdrehenden Reifen schleudern den Matsch bis an die Windschutzscheibe. Ein Sturm kündigt sich grollend an und es fühlt sich surreal an, sich einer abgelegenen Gemeinde in völliger Dunkelheit zu nähern. Die Luftfeuchtigkeit legt sich wie ein glitschiger Mantel um uns. Wir sind erschöpft von der umbarmherzigen Fahrt und sehnen uns nach etwas Essbarem.
Über die letzten Jahre haben das Orucho Hills Center und die damit verbunden Projekte etwa 450 Räder von uns bekommen. Koordiniert wird dies alles von Pastor Joseph Onyango; er stellt den Gegenentwurf zu Bischof Kamau dar.

"Während der Bischof um nichts bat, verlang der Pastor immer mehr, mehr mehr."

Wir können es ihm nicht verdenken, seine Gemeinde ist haarsträubend arm und seine Philosophie lautet, so viel zu nehmen, wie er nur kriegen kann. Und wie er so dasteht, in seiner leuchtend fuchsiafarbenenen Robe, Hof haltend vor den untergebenen Pfarrern der entlegeneren Provinzen und den lokalen Polit-Größen , können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass er den Auftritt und damit einhergehenden Status genießt, den Wheels4Life ihm beschert. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass er hart arbeitet, und auf seine Gemeindemitglieder achtet.

Fahrbar waren für Hans Rey schon immer andere Landschaften als für normale Mountainbiker. In wegearmen Gebieten ist das von großem Vorteil.

Diese Nacht verbringen wir in einer Lehmhütte. Darin riesige Schaben, die aussehen, als stünden kleine Hunde auf ihrem Speiseplan. Spinnennester. Moskitoschwärme. Eine Toilette, die ich eurer Vorstellung überlasse und ein Sturm, der unbarmherzig an unserem Blechdach rüttelt. Hans ist härter im Nehmen als ich, fürchtet sich nicht vor Spinnen und macht sich keine Gedanken um die Toilette (obwohl er doch froh um meine feuchten Tücher ist, ha!). Eingewickelt in meinen Schlafsack liege ich da wie eine Raupe in ihrem Kokon, die Kapuze meines Pullis über dem Kopf.

"Zähneknirschend widerstehe ich dem Drang, die Spinnen über meinem Kopf mit dem Strahl der Taschenlampe zu erfassen und versuche erfolglos, das unablässige Schnarren der umherhuschenden Schaben auszublenden."

Nach einem unruhigen Schlaf erwachen wir um 5 Uhr morgens. Es dämmert. Heute übergeben wir 100 Räder, die Zeremonie wird begleitet von einer Baumpflanz-Aktion. Drei weitere unserer Projektleiter sind nach Orucho Hills gereist, um uns dort zu treffen. Bei einem runden Tisch profitieren wir von ihren Berichten: Was hat sich wie wo und warum durch unsere Räder verändert? Viele weitere Räder würden benötigt, lassen sie uns wissen. Wir versuchen, ihnen zu erklären, dass Fundraising auch im wohlhabenden Westen eine Herausforderung darstellt.

Radfahren wird scheinbar schnell gelernt und so steht Verfolgungsjagden mit Hans Rey nichts mehr im Weg.

No way! It’s Eden

Nach einer filmreifen LKW-Überholungsjagd überqueren wir die Grenze zu Uganda. Wir dachten, die Straßen in Kenia seien schlecht aber der Zustand der Straße von Malaba zum Fuß des 4321 m hohen Mount Elgon verlangt nach einem neuen Standard. Mit einer Durschschnittsgeschwindigkeit von etwa 20 mph rütteln und schütteln wir uns ohne Klimaanlage und bei fast unerträglicher Hitze Richtung Sipi River Lodge. Unser Gastgeber ist der britische Expat Will. Die Landschaft ist grün, der Boden fruchtbar, Wasser tost über hohe Wasserfälle um dann in weichen Kaskaden in den Fluss zu strömen. Ein Stück Erde, von dem jeder Gärtner träumt und in dem jede Frucht, Blume und Pflanze, die man sich nur vorstellen kann, wächst. Der Garten Eden. Ohne Moskitos und mit nur wenigen Schlangen.
Wir sind froh, uns endlich bewegen zu können und schwingen uns auf die Bikes. Hans hat sein (zu dieser Zeit) brandneues GT Sensor 650b dabei und wir tun gut daran, es beim Spot-Check nicht aus den Augen zu lassen. Jeder Fotograf sabbert bei geilen Locations, gutem Licht und fantastischen Farben aber die Umgebung hier haut selbst Hans und mich, die wir ja doch viel reisen, um. Kein Mangel an guten Locations, eher an verbleibendem Tageslicht, schließlich befinden wir uns ganz in der Nähe des Äquators. Wir sind wie Kinder, die man im Süßigkeitenladen vergessen hat. „Komm, lass uns hier noch was machen, oh, da ist es auch noch super...“ Plötzlich war ist es stockduster und unser Kameramann Rob und ich schieben den steilen Weg zurück.

"Nicht so Hans, der braucht kein Licht, er scheint die Lines des Trails mit einem verborgenen Sinnesorgan gleichsam zu orten."

Es ist immer wieder spannend zu sehen was mit den Rädern transportiert wird und in welcher Weise sie ihren Besitzern Entwicklungspartizipation ermöglichen.

Die Sipi River Lodge ist der perfekte Ausgangsort für die Erkundung des Mount Elgon, Gastgeber Will kennt sämtliche Wege, bietet geführte Touren an und veranstaltet sogar ein Bike-Rennen. Auf einer Fläche von über 80 km2 breitet der erloschene Vulkan, der die Grenze zwischen Uganda im Westen und Kenia im Osten bewacht, sich aus und an seinen Hängen finden sich zahlreiche Naturtrails, gegraben in rote Erde. Ein Manual durch Bananenplantagen, vorbei an Klippen und Wasserfällen – wie bekannt geht Hans stets an die Grenzen des Möglichen, ohne jemals den Blick für die Gefahr aus den Augen zu verlieren. No Way Rey eben.

The Rey Way

Zahlreiche weitere Geschichten könnten wir von unseren Trip erzählen und damit den Rahmen dieser acht Seiten sprengen. Die hier geschilderten Erlebnisse bilden die bunte Mischung unserer Reise ab: Die Not, die wir sehen und doch zum Teil durch unser Projekt lindern können. Die Freude und Dankbarkeit der Menschen. Die Gegensätze, denen wir täglich gewahr werden. Und nicht zuletzt die einzigartige Natur Ostafrikas. So endet unsere Reise nach Ostafrika mit vielen neuen Freunden, Begegnungen mit interessanten Menschen, vielen Schicksalen und noch mehr Umarmungen. Und dem festen Willen, unser Projekt voranzutreiben und damit noch mehr Menschen eine Perspektive zu bieten. Das tut Wheels4Life nämlich.

Wheels4Life bringt Mobilität und damit Entwicklung in Gebiete in denen es an allem mangelt.

Wheels4Life

Die von Hans Rey und Carmen Freeman-Rey gegründete Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht das Leben von Menschen in Dritte Welt Ländern durch kostenlose Räder zu verbessern. Die Räder dienen als Transportmittel um zur Schule oder Arbeit zu kommen oder auch direkt als Arbeitsgerät. Der Großteil der Räder wird direkt im entsprechenden Land gekauft um die Kosten niedrig zu halten und die lokale Wirtschaft anzukurbeln.
Für weitere Informationen und Spenden
Wheels4life>>

Hans Rey

Hans – Jörg „No Way“ Rey wurde 1966 in der Schweiz geboren und ist in Deutschland aufgewachsen. Mittlerweile lebt er in Laguna Beach, Kalifornien. Der mehrfache Trialweltmeister begeisterte in den 90er Jahren auch zahlreiche Nicht-Mountainbiker mit seinen Stunts und erhielt sogar Gastrollen in US -Filmen und -Serien. Mittlerweile sucht er das Abenteuer eher auf Reisen in weniger erschlossene Gebiete und berichtet von diesen. Daneben engagiert er sich für sein Charity Projekt Wheels4Life und verwirklicht in Zusammenarbeit mit Diddie Schneider Flow Country Trailprojekte auf der ganzen Welt.
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