Biken im Ötztal – Zwischen Flow und Naturtrails

Text Hannah Röther Bild Andreas Meyer
Reise

Österreich - Tirol - Ötztal
Großvater und der Griff nach den Sternen

Wir Mountainbiker sind schon ein anspruchsvollen Volk: wir wollen Trails, möglichst naturbelassen und in verschiedenen Schwierigkeitsgraden, aber bitte auch geshapte Abfahrten mit Anliegern zum bergab surfen, Bergpanorama sowieso, am besten noch ein paar alpine Wanderwege, natürlich Gipfelerlebnisse und das Ganze noch garniert mit unberührter Natur und lokaler Kulinarik. Kein Wunder, dass so manche Tourismusregion an uns verzweifelt und lautstark beworbene „Mountainbike-Paradiese“ den Ansprüchen des trailhungrigen, flowsüchtigen, naturverliebten Mountainbiker von heute kaum gerecht werden. Nur wenige Regionen schaffen es, sich in der Szene einen Namen zu machen, der anerkennendes Nicken hervorruft, sobald dieser fällt. Das Ötztal hat genau das geschafft. Doch wie kommt es, dass ausgerechnet Sölden im Ötztal, eine Hochburg des Wintersports, in der sich Après-Ski Bar an Shopping Meile reiht, sich als Hotspot unter Mountainbikern – Profis genauso wie der breiten Masse – etablieren konnte? Eine Spurensuche.

 
 

Der Tag der Republik

Es ist der vorläufige Höhepunkt der Verwandlung des ehemaligen Bergbauerndorfes Sölden in die selbsternannte „Bike Republic Sölden“. Die Teäre Line ist fertiggestellt und wird der Presse und vielen neugierigen Besuchern vorgestellt. Es ist ein Projekt, das im Alpenraum einzigartig ist. Das Flowtrail-Konzept – eine Strecke, die mit Anliegern und Bodenwellen Anfängern Sicherherheit und Profis Speed vermittelt – wurde hier so konsequent umgesetzt wie kaum anderswo. Von der Mittelstation der Gaislachkoglbahn schlängelt sich die Teäre Line auf einer Länge von sechs Kilometern in sage und schreibe 130 Anliegerkurven bis zurück in den Ort. In dem steilen, felsigen Gelände war die Realisierung einer solchen Strecke eine enorme Herausforderung und forderte dem Trailbauer Joscha Forstreuter alles ab – mehrere Jahre dauerte die Planungsphase, für den Bau wurden schwere Geräte eingesetzt und viel Erdreich bewegt.

Verdiente Pause nach gefühlt mehr als hundert Kurven.

Hat sich der Aufwand gelohnt? Spätestens nach Anlieger Nummer vier wird klar, warum Flowlines als die Zukunft von Bikeparks und des Mountainbike-Destinationen gehandelt werden. Die perfekt gewählten Radien der Kurven lassen beim Durchzirkeln das Gefühl von Schwerelosigkeit aufkommen. Es fühlt sich an, als ob mit jeder neuen Kurve die Schräglage wächst. Bodenwellen sorgen dafür, dass an wirklich keiner Stelle des Trails so etwas wie Langeweile aufkommt – wegdrücken, durchsurfen, überspringen, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Der Preis für so viel Flow sind pulsierende Unterarme, denn die Muskeln werden von den Gravitationskräften in den Kurven ordentlich beansprucht. Egal. Das Grinsen, mit dem man nach 130 Kurven die Talstation erreicht, ist es mehr als wert. Wer hier noch Kraft übrig hat, kann sich auf dem Pumptrack austoben und Gewichtsverlagerung und Kurventechnik auf dem großzügig angelegten Rundkurs noch perfektionieren – wenn in der Bike Republic gebaut wird, dann definitiv keine halben Sachen.

Bei solchen Ausblicken wird das Bikerherz schon ganz unruhig.

Herumstrolchen auf Großvaters Spuren

Eine Steinpyramide, darauf ein Fähnchen mit der Aufschrift „Nene-Trail“. Anstelle eines Verbotsschildes markiert ein regelrechtes Denkmal den Einstieg in einen der längsten Trails Söldens. Möglich machts’ eine simple, doch folgenreiche Regelung: Wander und Biker teilen sich die Wege. Ganz offiziell, ganz legal. Das Resultat ist etwas, das vor lauter Rummel um die aufwendig gebaute Teäre Line fast in Vergessenheit gerät: In Sölden gibt ein weitlläufiges Netz wunderschöner Natursingletrails, mit allen gespickt, was man zum Glücklichradeln braucht. Wie auch die Teäre Line, sind die Namen der Trails Begriffe aus dem von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Ötztaler Dialekt. Wir starten auf dem „Nene Trail“, benannt nach dem Großvater, der auf diesen Pfaden schon gewandelt sein soll. Seit Tagen hat es nicht geregnet und die Sonne den Trail in eine regelrechte Staubwüste verwandelt. An manchen Stellen kaum breiter als unsere Lenker windet sich der Weg über knorrige Wurzelteppiche und steile Almwiesen. Die anspruchsvollen, engen Kurven rufen in Erinnerung, dass flowige Anlieger am schönsten sind, wenn sie eine Abwechslung zu fordernden Spitzkehren bieten. Weiter geht es auf dem Schölder Trail, was soviel bedeutet wie „herumstrolchen, das Heimgehen ganz vergessen“ – angespielt wird damit auf die vielen Almhütten entlang des Trails. Auch wir können der Anziehungskraft einer solchen Oase nicht widerstehen und rasten bei der „Gampe Thaya“. Neben einem kleinen, liebevoll hergerichteten Alm-Museum werden hier Speisen aus eigener Produktion serviert, auf einer äußerst einladenden Terrasse voll mit urgemütlichen Sitzgelegenheiten. Es geht herzlich zu, die Almwirtin akzeptiert kein „Nein“ als es ums Dessert geht und zum Auffüllen unserer Trinkblasen bittet man uns kurzerhand in die Küche - „da vorne ist der Wasserhahn!“. Nichts erinnert hier oben noch an die auf Hochglanz polierten Schaufenster der Shopping-Malls unten im Ort. Sind es die anspruchsvollen, ursprünglichen Natursingletrails? Oder die Herzlichkeit der Almleute? Dass ich mich mitten in einem Skigebiet befinde, habe ich jedenfalls spätestens bei der Abfahrt mit viel zu vollem Bauch völlig vergessen.

Kuchen Essen bei James Bond zu Hause

„Für die Dreharbeiten haben sie haben einen Porsche Cayenne mit einem Hubschrauber hier hoch geflogen“, Silvia muss lachen und winkt ab, „die spinnen, echt“. Wir befinden uns auf 3.048 Meter Höhe in einem futuristischen Würfel aus Glas, Silvia serviert uns Kuchen und Apfelstrudel. Ein Gourmet-Restaurant auf einem Berggipfel zu errichten, wie hier auf dem Gaislachkogl, ist ja mittlerweile schon nichts Besonderes mehr – dieses Restaurant aber für einen James Bond Film als Kulisse zur Verfügung zu stellen schon eine andere Nummer. Im noch in diesem Jahr erscheinenden „James Bond - Spectre“ ist das Ice-q Restaurant die Privatvilla des Agenten 007 persönlich, inklusive Nobel-SUV vor der Haustüre. Das Filmprojekt macht deutlich, in welcher Liga Sölden auf der internationalen Bühne spielt (Hauptdarsteller Daniel Craig soll sich während der Dreharbeiten sogar ein Paar Bergschuhe in Sölden gekauft haben, verkündet stolz die Touristen-Broschüre).

Auch wir wollen uns den Blick in de Ötztaler Alpen von der Sonnenterrasse des Ice-q Gourmet-Restaurants nicht entgehen lassen. Anfängliche Berührungsängste mit dem nobel eingerichteten Restaurant verfliegen ziemlich schnell, als uns Silvia laut plaudernd empfängt und in ein Schwätzchen verwickelt. „Wir wissen das schon zu schätzen, dass wir unseren Platz hier oben haben“ erzählt sie über sich und ihre die Höhenluft liebenden Kollegen – und wirkt dabei genauso herzlich und bodenständig wie die Almwirtin. Filmstars, Porsches, Edelrestaurants auf Berggipfeln – all das scheint sie nicht wirklich aus der Ruhe zu bringen, die Ötztaler.

Die große Freiheit

Das Ötztal ist mit fast 70 Kilometern das längste Quertal der Ostalpen und so wundert es nicht, dass es noch eine ganze Menge weiterer Highlights zu entdecken gibt. Fünf Klimazonen passiert man beim Durchfahren des von Gletschern geformten Trogtals von Nord nach Süd; während in Ötz im Frühjahr die Obstgärten blühen, wartet in den Gletschern jenseits des Talschlusses das ewige Eis. Über diese „Ferner“ wie sie Gletscher im Ötztal heißen, wandert mein Blick, als ich auf der Ice-q Terrasse den Apfelstrudel genieße. Irgendwo dort oben ist vor 5.000 Jahren Ötzi auf seiner beschwerlichen Reise ermordet wurden, in diesem Eis wurde sein Körper für die Nachwelt konserviert. Das Panorama weckt Sehnsüchte nach dieser rauen Wildnis, die hier zum Greifen nahe scheint.

Und in der Tat ist auch die kalte Welt der Gletscher nicht unerreichbar. Zwar sind die Wanderwege zu der Ötzi-Fundstelle auf keiner Radkarte mehr verzeichnet und nur für erfahrene Mountainbiker zu empfehlen, aber es gibt sie eben: die alpinen Fernwander-Routen in direkter Nachbarschaft zum Singletrail-Paradies Sölden. Wer sich selbst nicht auf halsbrecherische Expeditionen begeben möchte, kann sein Fernweh aber auch auf bequemer Art und Weise stillen: die Timmelsjoch-Hochalpenstraße führt über den höchsten Grenzübergang Österreichs ins benachbarte Italien, vorbei an architektonisch außergewöhnlichen Museen in karger Hochgebirgslandschaft. Ein ganz besonderes Erlebnis ermöglicht aber die Mautstraße auf den Tiefenbachferner: sie führt durch den höchst gelegen Tunnel der Alpen und endet kurz dahinter am gefühlten Ende der Welt. Mitten im Hochgebirge, auf einem Parkplatz auf 2800Metern dringt nachts kein Funken Licht zum Sternenhimmel. Hier oben nachts in in die Milchstraße schauen - viel mehr Freiheit geht nicht.

Und das Ergebnis?

„Cool, du warst im Ötztal?“ Die Begeisterung, die der Name dieses Tals auslöst, hat sich das Ötztal redlich verdient. Und das nicht nur durch den Bau einer Flow-Line im Kanada-Format. Es ist vielmehr die Mentalität der Menschen, wegen der man sich hier so wohl und sofort heimisch fühlt. Die ehrliche Herzlichkeit, die einen überall empfängt und schon auf wenigen Höhenmetern die glamoureuse Ski-Welt des Ortes im Tals vergessen macht. Vielleicht ist es diese besondere Mischung, der das Ötztal einerseits liebevoll gepflegte und nach Großvätern benannte Natursingletrails zu verdanken hat und anderseits gigantische Flowlines, Großprojekte, mit der die Bike Republic Sölden nach den Sternen zu greifen scheint.

Wissen

Der aus Unterlängenfeld im Ötztal stammende „Gletscherpfarrer“ Franz Senn gründete 1869 gemeinsam mit drei Gleichgesinnten den Deutschen Alpenverein. Er war einer der Ersten, die das Potenzial des Tourismus erkannten, den Lebensstandard der Bevölkerung deutlich anzuheben und gilt deshalb auch als einer der Begründer des Fremdenverkehrs in Tirol.

Wohl seit Jahrtausenden ziehen jedes Jahr Mitte Juni Schäfer mit ihren Tieren über den Alpenhauptkamm. Der Schafübertrieb vom Schnalstal über Hoch- und Niederjoch ins Ötztal, die sogenannte Transhumanz, führt über 44 km und gehört zum UNECSCO immateriellem Kulturerbe.

Erst 1955 wurde das Ötztal durch die Timmelsjoch Hochalpenstraße mit dem Südtiroler Passeier Tal verbunden. Heute kann man in der kargen Hochalpenwelt an architektonisch gelungenen Haltepunkten mehr zu Kultur, Geschichte, Natur, Wirtschaft und Gesellschaft erfahren. Und anschließend über den genialen Wanderweg E5 bergab fahren.
Timmelsjoch>>

Highlights

Familienhighlight: Sich in der Area 47 beim Cliff Diving oder auf der Superslide-Rutsche Adrenalinkicks holen.
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Relaxen am wunderbaren Piburger See am Eingang des Ötztals.

Singletrail Schnitzeljagd „Endurosause ohne Wettkampfstress“
European Enduro Series

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Karte

Kompass WK 43 – Ötztaler Alpen
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GPS

MaptoBike Mobile App: bei der Schnitzeljagd Punkte sammeln, die in Goodies umgetauscht werden. Sölden>>

Guiding

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