3029m. Wir sind am höchsten Punkt unserer Reise angelangt. Nur wenige Meter unter dem Gipfel des Kitzsteinhorns betrete ich eine Gläserne Brücke, die weit über das Nichts hinausragt und den Blick frei gibt auf die Weite der Hohen Tauern. Mitten unter ihnen, der Großglockner, mit 3798m der höchste Berg Österreichs. Zu sehen ist absolut nichts außer Bergen, Gipfeln, Himmel. Beruhigend klein und unbedeutend erscheint auf einmal das gut ausgebaute Gondel- und Seilbahnnetzt, das uns in kurzer Zeit auf diese Höhe befördert hat.
Zell am See - Kaprun:
Verborgene Schätze
Im ersten Moment wirkt das Skigebiet noch abschreckend, doch schon wenige Sekunden später fokussiert sich der Blick auf die umgebende Landschaft.
Die Gemeinden Zell am See und Kaprun befinden sich dort, wo Saalach- und Salzachtal verschmelzen. In dem sich daraus ergebenden Talkessel liegt der Zeller See – eingebettet zwischen Hundsteingruppe im Osten, den Ausläufern der Kitzbüheler Alpen im Westen und den Hohen Tauern im Süden, in deren unzählige Täler nun mein Blick schweift. Die idealen geografischen Bedingungen machten Kaprun lange Zeit zum Austragungsort des UCI Mountainbike Worldcups. Auch Worldchampionships wurden in Kaprun bereits bestritten, 2002 wurden hier Anne-Caroline Chausson und Nicolas Vouilloz zu Downhillweltmeistern gekrönt. So erklärt sich, weshalb beim Klang des Namens Kaprun allen „alten Hasen“ ein anerkennendes Lächeln über die Lippen huscht – Kaprun ist unbestritten fester Bestandteil der Mountainbikesport-Geschichte.
Freeriden am Kitzsteinhorn
Heute sind die beiden Gemeinden am Fuße des 3000ers zusammen eine der bedeutendsten Wintersportdestinationen Österreichs - umso erstaunlicher ist es, dass die Trails am Kitzsteinhorn offenbar noch zu echten Geheimtipps gehören. Denn was an diesem Vormittag auf unser Gipfelerlebnis folgt, erscheint uns wie das Heben eines verborgenen Schatzes.
Wir verlassen die Aussichtsplattform und kehren mit der Seilbahn zurück zur Mittelstation an der wir die Bikes zurücklassen mussten. Um uns herum tummeln sich arabische Familien, die die Fahrt über den Gletscher antreten, um die eindeutige Nummer eins unter den Sensation dieses Ortes zu besichtigen: den Schnee. Ich in meiner kurzen Bikeshorts dagegen bin froh, dass der Einstieg in den Trail erst am Fuße der weißen Schneezunge auf 2400m beginnt. Wir bahnen uns unseren Weg an verschleierten Frauen und selfies-machenden Großfamilien vorbei und finden schließlich das erste Hinweisschild mit der Aufschrift „Geissteintrail“. Den Tipp für die Abfahrt hatten wir von Helmut Schneider von der Bikeschule Kaprun bekommen. Er empfahl uns Geissteintrail in Kombination mit dem anschließenden Wüstlautrail und versprach uns so 1500 Abfahrtsmeter auf 12km.
Wir biegen in den schmalen Pfad ein, das Getummel und geschäftige Treiben der Liftanlagen bleibt abrupt hinter uns zurück. Auf der Stelle ziehen uns Flow, Panorama und Geschwindgkeit in ihren Sog. Die ersten Meter winden sich in verspielten Kurven über vom Gletschereis geformte Felsformationen. Der Stein ist dabei so rauh wie Schleifpapier und bietet die ideale Grundlage um mit Speed durch die natürlichen Anlieger und Wallrides zu hämmern. Es folgen engere Abschnitte, offene Wiesenkurven, kleinere Sprünge, stets begleitet von der Aussicht auf die in der Sonne glänzenden Schiefernfelsen des Gipfelkamms. Auf den natürlichen Singletrail folgt unverhofft ein breit ausgebauter, mit traumhaft flowig geshapten Anliegern durchzogener Abschnitt. Über der Kante jeden Anliegers lässt sich tief in das Tal bis auf den Zeller See hinabblicken, doch das beste ist der Zustand der Strecke: keine einzige Bremswelle stört hier. Breit grinsend und etwas ungläubig machen wir Halt: was war das denn?! Eine wie frisch gebaute Bikeparkstrecke, und das mitten im Gebirge, eingerahmt von Natursingletrails und Spitzkehrabfahrten? Wir können es selbst kaum glauben, auf was für einen Schatz wir hier gestoßen sind.
Die Kitzsteinshorntrails sind in einem perfekten Zustand und fahren sich hervorragend. Vor allem dank der örtlichen Trailcrew.
Hotel active by Leitner – der Name ist Programm
In Kaprun angekommen machen wir uns auf den weg zurück ins Hotel in dem bereits ein üppiger Brunch auf uns wartet. Nicht nur das Büffet ist gesund und auf Sportler zugeschnitten, das ganze Gebäude wirkt mit seiner modernen, hellen Architektur frisch und animierend. Als sich der Besitzer vorstellt und zu uns setzt wird auch klar, warum: Wolfgang Leitner ist selbst Mountainbiker und Skitourengänger aus Leidenschaft. Der drahtige Mann mit dem wettergegerbten Gesicht erzählt uns die Geschichte des Hotels, das zunächst eine reine Tennishalle war, sich zwischendurch auf Golfer konzentrierte und erst nach und nach die Skifahrer und Mountainbiker anzog, die heute einen Großteil der Gäste ausmachen. „Der persönliche Zugang zur Hotelerie aber war immer der Sport“ betont er. Detailgetreu berichtet er über klimatische Besonderheiten längst vergangener Sommer und Winter, die Aufs und Abs des Gletschers kennt er wie die eines eigenen Kindes. Dass das Herz dieses Mannes für den Sport in den Bergen schlägt, ist nicht zu übersehen.
Stolz zählt er einige seiner prominentesten Gäste auf: Christian Taillefer, Missy Giove, Brian Lopes, Cedric Gracia, Nicolas Vouilloz und Anne-Caro Chausson - da ist er wieder, der Glanz der Creme de la Creme des Mountainbikesports, der mit dem Namen Kaprun noch immer verbunden ist. Und wir mittendrin! Nach dem essen können wir nicht anders, als trotz aufziehenden Regens erneut zur Talstation zu kurbeln. Zu groß ist die Verlockung, die Kitzsteinhorntrails noch ein zweites Mal auszukosten, zu mitreißend der Geist des Sports und seiner Geschichte, der hier förmlich in der Luft liegt.