Bremsentest

Text Matthias Baumgartner, Johannes Haidn Bild Andreas Meyer
Anbauteile

Wer später bremst, ist länger schnell

1999 montierte ich die erste Scheibenbremse an mein Mountainbike – eine Magura Louise mit manueller Belagsnachstellung und 160 Millimeter Bremsscheiben, gefolgt von einer Magura Gustav M, getuned mit Stahlflexleitungen. Gut zwei Dekaden später hat sich optisch wie technisch doch so einiges an den Bremsanlagen verändert, etwa eine automatische Belagsnachstellung, teilweise werkzeuglose Druck- und Hebelweitenverstellung, verschiedenste verfügbare Bremsbelagsmaterialien, Bremsscheibengrößen je nach Einsatzbereich von 140 bis mittlerweile 225 Millimeter Durchmesser, Bremsscheiben in unterschiedlichsten Materialausführungen, statt DOT Bremsflüssigkeit oder Mineralöl kommen mittlerweile auch schon Bio Öle zum Einsatz … um nur einige der Veränderungen aufzuzählen. Wir haben sechs der aktuellen Scheibenbremssysteme für euch in der Praxis getestet.

 
 
Bremsentest
Bremsentest Montage

Wie und was haben wir getestet?
Eine Bremse ist zwar ein komplexes Bauteil, doch eigentlich hat sie nur eine Aufgabe zu erfüllen: Wenn man es möchte, muss sie einen sicher abbremsen und gegebenenfalls zum Stehen bringen. Genau diesen Anspruch haben wir bei unserem Test an jede Bremse gestellt. Und auch wenn die Bremsen kein „Martyrium“ erleiden mussten, war die Beanspruchung durch uns sicher höher, als es im „normalen“ Fahrbetrieb vorkommt.
Unsere Teststrecke hat bestimmt schon 100 verschiedene Bremsen, Beläge, Scheibengrößen etc. gesehen. Die Strecke ist etwa drei Kilometer lang, man legt dabei 240 Tiefenmeter zurück, und der Untergrund ist asphaltiert. So kann man sich bei hohem Grip ganz auf die Bremsung konzentrieren.
Mit jeder Bremse absolvierten wir mehrere Abfahrten. Nach dem Einbremsen führten wir Bremsungen bei 30 bis 70 km/h durch. Anschließend musste sich jede Bremse bei einer Dauerbremsung von oben bis unten beweisen. Dabei betrug das Systemgewicht immer rund 100 Kilogramm.

Vergleichbarkeit
Um die Verzögerung aller Bremsen vergleichen zu können, wurde jede mit einer 200/203 Millimeter Scheibe bestückt. Zudem nutzten wir im Praxistest den Bremsbelag, der standardmäßig verbaut ist.

Bremsentest Magura MT7

Magura MT7 PRO

Magura MT7 PRO

Die Bremse

Die MT7 kann mit Loïc Bruni, einem der schnellsten Downhiller, werben. Zudem hat man für den bzw. mit dem mehrfachen Weltmeister auch einen extra Bremshebel entworfen. Doch nicht nur die Stars haben bei Magura die Möglichkeit des Customizing, sondern jeder Kunde. Mit den Storm HC, MDR-P bzw. -C stehen alleine schon drei verschiedene Scheibentypen zur Auswahl, die mit drei unterschiedlichen Belägen kombiniert werden können. Für die farbliche Anpassung gibt es verschiedene Cover, Blenden am Bremssattel, und natürlich gibt es auch verschiedene Bremshebel.

Der Praxistest

Der Powerstopper hat einen vergleichsweise weicheren Druckpunkt, überzeugt uns aber mit einer hohen Leistung und Standfestigkeit. Erst bei Vollbremsungen über 60 km/h setzt merkliches, wenn auch nicht hohes Fading ein. Der Dauerbremsung zeigte die MT7 ihre „kalte Schulter“ und unterstreicht so ihre Zuverlässigkeit. Auffällig ist, dass die Bremse gerne zum Schleifen neigt, auch wenn der Bremssattel exakt ausgerichtet ist. Der Hebel lässt sich in einem weiten Bereich und somit gut für alle Handgrößen einstellen.

Fazit

Das Duo Loïc Bruni und Magura MT7 scheint zu funktionieren. Die Bremse überzeugt im Test mit einer hohen Leistung und Standfestigkeit. Kleiner Kritikpunkt ist, dass sie zum Schleifen neigt.

Marke Magura
Modell MT7 Pro
Preis Bremse [Euro] 219,90
Preis Scheibe [Euro] 55 (MDR-P)
erhältliche Scheibengrößen 180, 203, 220
Gewicht Bremse [g]* 283
Gewicht Scheibe [g]* 227
Belag für Test Standardbelag, 8.P
Kombi-Klemme ja
Flip-Flop-Hebel ja
Hebelweiteneinstellung werkzeuglos ja
Druckpunkteinstellung nein, optional
Bremsflüssigkeit Mineralöl
www.magura.com

Bremsentest hope E4

Hope Tech 3 E4

HOPE TECH 3 E4

Die Bremse

In puncto Individualisierung und Exklusivität ist Hope klar der Spitzenreiter. Sechs Eloxalfarben stehen bei Bremsscheibe bzw. Bremsanlage zur Auswahl, doch selbst in Schwarz oder Silber sind die CNC gefrästen Bauteile ein Hingucker. Bremsscheiben gibt es ab der kleinen 140er bis hin zur großen 225er. Trotz der brachialen Optik und des verhältnismäßig günstigen Preises fällt das Gewicht der Tech 3 E4, insbesondere von Bremshebel und -sattel, sehr gering aus. Der Tech 3 Hebel bietet sämtliche Einstellmöglichkeiten, alles per Rändelschraube und ohne Werkzeug.

Der Praxistest

Der Bremshebel ist ergonomisch geformt, liegt aber etwas „kantiger“ in der Hand. Eine individuelle Einstellung ist gut möglich. In puncto Leistung kommt die Hope nicht auf das Niveau der anderen Stopper, Fading war aber keines bzw. nur kaum zu spüren. Der Dauerbremsversuch lieferte identische Eindrücke. Die Leistung ist geringer als bei den anderen Bremsen, dafür zeigte die Tech 3 keinerlei Auffälligkeiten, und man bleibt damit auch nach langen Bremsungen zuverlässig stehen.

Fazit

Hope hat mit der Tech 3 E4 eine der leichtesten, individuellsten und auch günstigsten Bremsen im Test. Die Standfestigkeit ist sehr gut, die Leistung könnte aber besser sein.

Marke Hope
Modell Tech 3 E4
Preis Bremse [Euro] 220
Preis Scheibe [Euro] 50-60
erhältliche Scheibengrößen 140, 160, 180, 183, 185, 200, 203, 220, 225
Gewicht Bremse [g]* 264
Gewicht Scheibe [g]* 184
Belag für Test Standardbelag
Kombi-Klemme ja
Flip-Flop-Hebel nein
Hebelweiteneinstellung werkzeuglos ja
Druckpunkteinstellung ja
Bremsflüssigkeit DOT 5.1
www.hopetech.com

Bremsentest Hayes Dominion

Hayes Dominion A4

Hayes Dominion A4

Die Bremse

Die Dominion A4 ist bereits seit 2018 auf dem Markt und hat einige Features zu bieten. Der Bremssattel verfügt über zwei Entlüftungs Ports und kann separat gespült werden. Zudem gibt es am Sattel die sogenannte Crosshair Technology, die ein schleiffreies Ausrichten erleichtert. Erwähnenswert ist noch, dass man beim Kauf zwischen einem langen bzw. kurzen Bremshebel, je nach Vorliebe und Handgröße, wählen kann. Serienmäßig kommt die Bremse mit dem semimetallischen Bremsbelag, der gesinterte metallische Belag ist aber im Lieferumfang.

Der Praxistest

Die Ergonomie des Hebels ist gut, die Einstellung der Weite groß und für alle Handgrößen geeignet. Die Bremsleitung im Praxistest hat uns voll überzeugt – die Dominion A4 liefert mit die meiste Power. Selbst bei Vollbremsungen bei ca. 65 km/h war kaum ein Fading vorhanden, Geräusche blieben aus. Erst bei der Dauerbremsung fing sie gelegentlich an zu singen und der Druckpunkt wanderte dabei merklich. Die Standfestigkeit war aber über den gesamten Testverlauf gegeben.

Fazit

Die Dominion A4 von Hayes hat uns beim Test mit hoher Leistung, guter Standfestigkeit und angenehmer Ergonomie überzeugt. Sie zählt klar zu unseren Favoriten.

Marke Hayes
Modell Dominion A4
Preis Bremse [Euro] 244
Preis Scheibe [Euro] 53
erhältliche Scheibengrößen 180, 203
Gewicht Bremse [g]* 313
Gewicht Scheibe [g]* 199
Belag für Test Standardbelag, semi-metallisch
Kombi-Klemme ja
Flip-Flop-Hebel ja
Hebelweiteneinstellung werkzeuglos ja
Druckpunkteinstellung ja
Bremsflüssigkeit DOT 5.1
hayesbicycle.com

Bremsentest SRAM Code RSC

SRAM Code RSC

SRAM Code RSC

Die Bremse

Natürlich steht die Optik einer Bremse erst mal hinten an, doch wenn andere Kriterien ausgewogen sind, kann man sich auch davon leiten lassen. Die Code RSC mit ihren Oil slick Schrauben ist definitiv ein Hingucker. Für das Lenkerklemmsystem Matchmaker X gibt es mittlerweile sämtliche Adapter oder Hebel, und alles lässt sich an dieser einen Schelle sauber montieren. Am Hebel selbst kann man Hebelweite und Druckpunkt individuell und in großen Bereichen einstellen. Einzig beim Gewicht hat die Konkurrenz die Nase vorne.

Der Praxistest

Die bunt schillernde Code brauchte deutlich mehr Einbremszeit, bis sie ihre volle Leistung entfaltete. Dann jedoch war ordentlich Bremspower vorhanden; selbst bei einer Vollbremsung aus 65 km/h war kaum Fading zu spüren. Das Dauerbremsen war die Disziplin der Code – sie überzeugte vollends, ohne jegliche Auffälligkeiten. Gut gefallen uns die Hebelergonomie und die großen Einstellbereiche bei Hebelweite und Druckpunkt.

Fazit

Die Schöne und zugleich das Biest – Sram hat mit der Code RSC eine ästhetische, aber auch leistungsstarke Bremse. Und dank Matchmaker X Klemmschelle lassen sich mit ihr viele Hebel am Lenker kombinieren.

Marke Sram
Modell Code RSC
Preis Bremse [Euro] 270
Preis Scheibe [Euro] 46-58
erhältliche Scheibengrößen 140, 160, 180, 200
Gewicht Bremse [g]* 328
Gewicht Scheibe [g]* 201
Belag für Test Standardbelag, Code-M
Kombi-Klemme ja
Flip-Flop-Hebel ja
Hebelweiteneinstellung werkzeuglos ja
Druckpunkteinstellung ja
Bremsflüssigkeit DOT 5.1/4
www.sram.com

Bremsentest Shimano XTR M9120

Shimano XTR M9120

Shimano XTR M9120

Die Bremse

Die M9120 ist eine Bremse, vollgepackt mit Innovationen. Die Bremsbeläge verfügen zur besseren Wärmeableitung über Kühlrippen, die Kolben sind aus Keramik, und die Servo Wave Technologie am Bremshebel ermöglicht eine effiziente Nutzung des Hebelwegs. Die Bremsscheibe ist in Sandwichbauweise mit einem Aluminiumkern gefertigt, ebenfalls um die Wärmeableitung zu verbessern. Die Scheibe sticht zudem durch ihr geringes Gewicht aus der Masse hervor. Zur individuellen Anpassung lassen sich am Bremshebel Hebelweite und Druckpunkt einstellen.

Der Praxistest

Top, wie von Shimano Bremsen gewohnt, ist die perfekte Hebelergonomie. Der Druckpunkt ist definiert, die Leistung gut dosierbar und hoch. Bei Vollbremsungen ab 50 km/h aufwärts setzt deutliches Fading ein. Bei diesen Bremsversuchen verschenkte die XTR auch den Testsieg, da sich ein Belag von der Trägerplatte löste. Bei einer Wiederholung des Tests gab es aber keine Probleme mehr. Ein bekanntes Verhalten von Shimano Bremsen ist das merkliche Wandern des Druckpunkts – so auch bei der XTR. Die Dauerbremsung meisterte sie ohne nennenswerte Auffälligkeiten.

Fazit

Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre … hätte die Shimano XTR M9120 den Testsieg geholt. Die Bremse ist in allen Belangen top, doch der Ausfall des Belages hinterlässt einen faden Beigeschmack.

Marke Shimano
Modell XTR M9120
Preis Bremse [Euro] VR ca. 324,95, HR ca. 329,95
Preis Scheibe [Euro] ca. 79,95-84,95
erhältliche Scheibengrößen 140,160, 180, 203
Gewicht Bremse [g]* 286
Gewicht Scheibe [g]* 154
Belag für Test Standardbelag, N03A Resin
Kombi-Klemme ja
Flip-Flop-Hebel nein
Hebelweiteneinstellung werkzeuglos ja
Druckpunkteinstellung ja
Bremsflüssigkeit Mineralöl
www.paul-lange.de

Bremsentest Trickstuff Direttissima

Trickstuff Direttissima

Trickstuff Direttissima

Die Bremse

„Made in Freiburg“ ist auf der Innenseite des Bremssattels zu lesen; und auch „Made with love“ würde wohl gut auf der Bremse passen. Es ist schön, die Direttissima an dem Bike zu haben. Die gefrästen Bauteile wirken edel, aber auch minimalistisch. Natürlich lässt sich die Hebelweite verstellen, doch ist für die einmalige Anpassung ein Inbus nötig. Die Farbenvielfalt hat Trickstuff abgelegt – die Bremse ist in Schwarz und/oder Silber konfigurierbar. Passend zur hochwertigen Bremse gibt es die Dächle Scheibe mit der Grad Fase am äußeren Umfang für einen leichteren Radeinbau.

Der Praxistest

Das Gefühl am Bremshebel ist anders als beim Vorgänger. Der Druckpunkt ist gut definiert, aber nicht mehr so hart. Auch der Hebel ist „runder“ geworden und liegt sehr gut in der Hand. Bei den Vollbremsungen zeigt die Trickstuff eine sehr hohe Leistung. Diese, gepaart mit hoher Standfestigkeit, bedeutet: eine Bremse fürs Grobe und Steile. Einziges Manko ist der Druckpunkt, der zum Ende hin fast ganz nach außen wanderte, was ein Schleifen der Bremse zur Folge hatte. Beim Dauerbremsen zeigte die Bremse ein ähnliches Bild: gute Leistung, standfest, aber mit wanderndem Druckpunkt.

Fazit

Trickstuff hat sich mit der Direttissima selbst übertroffen. Die Bremse ist sehr edel, lässt sich sehr angenehm bedienen und hat eine hohe Bremsleistung. Bei zunehmender Hitze wandert aber der Druckpunkt.

Marke Trickstuff
Modell Direttissima
Preis Bremse [Euro] 450
Preis Scheibe [Euro] 35,90-99
erhältliche Scheibengrößen 140, 160, 180, 203, 223
Gewicht Bremse [g]* 260
Gewicht Scheibe [g]* 204
Belag für Test Standardbelag, Power+
Kombi-Klemme ja
Flip-Flop-Hebel nein
Hebelweiteneinstellung werkzeuglos nein, optional
Druckpunkteinstellung nein
Bremsflüssigkeit Hydraulikflüssigkeit, Bionol
trickstuff.de

*Vorderradbremse inkl. Befestigunsmaterial, ohne Adapter

Bremsentest
Bremsentest

Glossar

Fading

Unter Fading versteht man das unerwünschte Nachlassen der Bremsleistung bei zunehmender Hitzeentwicklung.

Flip-Flop-Hebel

Ein Flip-Flop-Hebel kann am Lenker sowohl links als auch rechts montiert werden.

Druckpunkteinstellung

Als Druckpunkt bezeichnet man den festeren Punkt, den man am Bremshebel fühlt, wenn die Beläge an die Scheibe anstellen. Der dazu nötige Hebelweg kann teilweise eingestellt werden.

Kombiklemme

Bei einigen Herstellern ist es möglich, am Bremshebel weitere Hebel wie Schalthebel oder Gabel-Remote anzubringen. Kombischellen machen zusätzliche Klemmen am Lenker überflüssig, sparen Gewicht, und das Cockpit sieht aufgeräumter aus.

Gewicht der Bremse

Um eine Vergleichbarkeit zu schaffen, haben wir jede Bremse mit den dazu nötigen Befestigungsschrauben für den Bremssattel gewogen. Das Gewicht der Bremsscheibe bezieht sich auf einen Durchmesser von 200/203 Millimeter.

Organische Beläge

Sie bestehen aus Fasern organischer Stoffe, die aus Gummi, Glas, Carbon bzw. Kevlar und Twaron gewonnen werden. Zudem sind temperaturbeständige Kunstharze und Füllstoffe enthalten.

Sinter-Beläge

Der Name leitet sich vom Herstellungsverfahren, dem Sintern, ab. Dabei werden unterschiedliche Materialen wie beispielsweise Keramik und Metalle in Granulatform unter hoher Temperatur und starkem Druck miteinander verpresst. Je nach Hersteller kommen verschiedene Materialen zum Einsatz.

Semi-Metallic-Beläge

Diese Belagsart basiert auf organischen Stoffen mit einer höheren Konzentration an metallischen Teilen wie zum Beispiel Messing, Kupfer, Stahl und Eisen, vermischt mit Füllstoffen, Bindemitteln und Grafit.

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