Die Übersetzung ins Verständliche – Ein „How to“

Text Christian Ettl Grafiken Nico Trautwein
Hintergrund

Die Übersetzung ins Verständliche

Es war so einfach. Vor einigen Jahren fuhren alle 26 Zoll und die Kurbel hatte drei Kettenblätter. Durch die verschiedenen Laufradgrößen und die vielen Möglichkeiten der Antriebe, 1-fach, 2-fach und 3-fach, wurden aber inzwischen einige von uns nach Babylon verschlagen, wenn es darum geht, die richtige Übersetzung zu wählen. Ich möchte hier mal eine Auseinandersetzung mit dem Thema wagen.

Aus der Ausgabe 01.16

 
 

Reine Physik

Eine Übersetzung beschreibt das Verhältnis zweier Kraftübertragungsgrößen zueinander. Es gibt eine Antriebswelle und eine Abtriebswelle. Bei einem einfachen Getriebe sind beide gleich groß, es wird nur Kraft übertragen. Bei einem Übersetzungsgetriebe sind die Zähnezahlen unterschiedlich. Da wir beim Fahrrad aber sogar verschiedene Zähnezahlen an mindestens einer Welle haben, handelt es sich hier um ein sogenanntes Wechselgetriebe. Ich beschränke mich hier auf die häufigste Form, das Kettengetriebe. Es gibt auch Riemengetriebe, Kegelradgetriebe oder, zum Beispiel in Nabenschaltungen, das Planetengetriebe. Übrigens findet eine „Übersetzung“ der eingeleiteten Kraft an mehreren Stellen des Fahrrades statt. Eine Übersetzung lässt sich über den Durchmesser, die Drehzahl, das Drehmoment und die Zähnezahl berechnen. Da die Kettenschaltung Thema ist, reicht es, wenn wir für den Moment auf die Zähnezahlen eingehen.

Theorie am Fahrrad

Du trittst in die Pedale, dabei dreht sich das Kettenblatt, auf dem die Kette läuft, genauso schnell wie die Kurbel, da beide fest miteinander verbunden sind. Auf dem Weg zum Hinterrad ändert sich an der eingeleiteten Geschwindigkeit nichts, da die Kette nicht, oder zumindest nur sehr unwesentlich, dehnbar ist. Das heißt: Die Zeit, die ein Zahn am Kettenblatt braucht, um bewegt zu werden, entspricht genau der Zeit, die ein Zahn am Ritzel braucht, um bewegt zu werden. Wenn wir nun ein Kettenblatt mit zum Beispiel 30 Zähnen und ein Ritzel mit zum Beispiel 10 Zähnen haben, dreht das Ritzel exakt dreimal in der Zeit, in der die Kurbel sich einmal dreht. Der Freilauf der Hinterradnabe sollte ebenfalls ohne Verlust diese Geschwindigkeit übertragen, und somit dreht auch das Hinterrad dreimal pro Kurbelumdrehung. Die Übersetzung ist also 1 : 3. Nehmen wir an, die Kette läuft bei einer Schaltung mit 20 Gängen vorne auf dem 32 Zähne-Kettenblatt und hinten auf dem Ritzel mit ebenfalls 32 Zähnen. Hier dreht das Hinterrad genauso oft wie die Kurbel. Die Kraft wird übertragen, ohne übersetzt zu werden, also 1 : 1. Shimanos 11-fach XTR und XT bieten einen extremen Berggang. Es können eine Kurbel mit einem 22er Kettenblatt und eine Kassette mit einem 40er Ritzel kombiniert werden. Also 22 : 40 oder 1 : 0,55. Das bedeutet, dass pro Kurbelumdrehung das Hinterrad nur etwas mehr als eine halbe Umdrehung macht.

Formel

Übersetzungsverhältnis (i) ergibt sich aus Zähnezahl Abtrieb (Kassette) geteilt durch Zähnezahl Antrieb (Kettenblatt)

Das System als Ganzes

Eigentlich müssen wir uns, obwohl alle Welt über die Übersetzung spricht, Gedanken über die Entfaltung machen. Die Entfaltung beschreibt die zurückgelegte Wegstrecke pro Kurbelumdrehung. Sie gibt Aufschluss darüber, wie hart du in die Pedale treten musst bzw. wie schnell du bei gleicher Trittfrequenz fährst. Sie fasst alle Vorgänge zusammen, bei denen eine Drehzahl, und somit ein Drehmoment, gewandelt wird, und ist das Produkt der einzelnen Übersetzungen in einem Antriebsstrang. Die Entfaltung errechnet sich aus der Übersetzung und der Reifen-/Laufradgröße bzw. dem Abrollumfang. Die Übersetzung haben wir uns ja schon angeschaut. Der Abrollumfang ergibt sich aus dem Raddurchmesser inkl. Reifen multipliziert mit π.

Formel

Abrollumfang (l) ergibt sich aus der Summe von zweimal Reifenbreite (a) und des Felgendurchmessers (d), multipliziert mit PI.

Der Umfang eines 27,5 Zoll-Rades mit einem 2,35 Zoll-Reifen (Herstellerangabe der Bauhöhe: 60 Millimeter) beträgt also:
(2 x 60 mm + 584 mm) x 3,1415926 = 2.212 mm

Jetzt kennen wir also die Übersetzung und den Abrollumfang und können die Entfaltung berechnen.

Formel

Entfaltung (E) ergibt sich aus Radumfang(U) geteilt durch Übersetzung (i)
Wir rechnen mal drei Beispiele. Der Umfang beträgt dabei immer 2.212 Millimeter.
Bei der Übersetzung 1 : 3

Bei der Übersetzung 1 : 3

i = 1 / 3 = 0,33333
e= 2.212 mm / 0,33333 = 6.636 mm
Der Abrollumfang beträgt also 6,636 Meter.
Das bedeutet: Wenn das Kettenblatt vorne größer ist als das Ritzel, ist die zurückgelegte Wegstrecke pro Kurbelumdrehung größer als der Radumfang.

Bei der Übersetzung 1 : 1

i = 1 / 1 = 1
l= 2.212 mm / 1 = 2.212 mm
Der Abrollumfang beträgt also 2,212 Meter.
Das bedeutet: Wenn das Kettenblatt vorne genauso groß ist wie das Ritzel, entspricht die zurückgelegte Wegstrecke pro Kurbelumdrehung dem Radumfang.

Bei der Übersetzung 1 : 0,55

i = 1 / 0,55 = 1,81818182
l= 2.212 mm / 1,81818182 = 1.216 mm
Der Abrollumfang beträgt also 1,216 Meter.
Das bedeutet: Wenn das Kettenblatt vorne kleiner ist als das Ritzel, ist die zurückgelegte Wegstrecke pro Kurbelumdrehung kleiner als der Radumfang.

Bringen wir das Ganze mal auf Drehzahl

Wir können also nun bestimmen, welche Endgeschwindigkeit wir mit welcher Übersetzung bei welcher Laufradgröße fahren, wenn wir unsere Trittfrequenz kennen. Die Trittfrequenz beschreibt die Anzahl der Kurbelumdrehungen in einer bestimmten Zeiteinheit. Im Regelfall spricht man von Umdrehungen pro Minute. Bei Profi-Fahrern im Straßenradsport kann die Anzahl auch mal bei 100 liegen. Beim sportlichen Mountainbiker können wir von 60 Kurbelumdrehungen pro Minute ausgehen. In diesem Bereich sollten die meisten von uns in der Lage sein, auch längerfristig optimal Leistung geben zu können. 60 Umdrehungen pro Minute entsprechen 3.600 Umdrehungen pro Stunde.

Für unsere drei Rechenbeispiele heißt das:
Bei einer Entfaltung von 6,636 Metern fährt man mit 23,89 km/h.
Weil: 6,636 m x 3.600 U = 23.889,6 m

Bei einer Entfaltung von 2,212 Metern fährt man mit 7,96 km/h.
Weil: 2,212 m x 3.600 U = 7.963,2 m

Bei einer Entfaltung von 1,216 Metern fährt man mit 4,37 km/h.
Weil: 1,216 m x 3.600 U = 4.377,6 m

Rauf und runter

Eine Geschwindigkeit von 4,37 km/h ist auch an steilsten Anstiegen machbar, sie ist sogar schon so gering, dass ein Fahrer mit schlechtem Gleichgewichtsgefühl hier an seine Grenzen stößt. Eine Endgeschwindigkeit von 23,89 km/h in der Ebene ist aber für viele zu gering, bergab für die meisten wahrscheinlich sogar absolut indiskutabel. Aus der minimalen und der maximalen Geschwindigkeit, bei der man mittreten möchte, ergibt sich also der benötigte leichteste Gang und der benötigte schwerste Gang. Der Bereich dazwischen wird als Übersetzungsbandbreite bezeichnet. Diese ist also der Unterschied zwischen der größten und der kleinsten Entfaltung bei einem Antriebsstrang.
Nehmen wir eine 1x11-Schaltung, um es uns nicht unnötig schwer zu machen. Hier müssen wir nicht viel rechnen, da das Kettenblatt immer das gleiche ist. Sie hat eine Kassette mit 11 Ritzeln, das kleinste hat 10 Zähne, das größte 42 Zähne.

Berechnung schwerster Gang:
Übersetzung (i) = 10 / 30 = 0,333
Entfaltung (l) = 2.212 mm / 0,333 = 6,643 m

Berechnung leichtester Gang:
Übersetzung (i) = 42 / 30 = 1,4
Entfaltung (l) = 2.212 mm / 1,4 = 1,580 m

Im schwersten Gang legt man bei einer Kurbelumdrehung die 4,2fache Strecke, verglichen mit dem leichtesten Gang, zurück.
Weil: 6,643 m / 1,580 m = 4,2

Das ist in diesem speziellen Fall auch an der Kassette gut zu sehen. Das größte Ritzel ist 4,2 mal so groß wie das kleinste. Bei einer Schaltung mit mehreren Kettenblättern ist der Sachverhalt natürlich etwas komplizierter, aber im Prinzip nicht anders. Es gilt immer: Für den niedrigsten Gang das kleinste Kettenblatt mit dem größten Ritzel kombinieren und für den schwersten Gang das größte Kettenblatt mit dem kleinsten Ritzel. Wie viel härter ein Gang zum nächsten ist, bezeichnet der sogenannte Gangsprung. Gangsprünge ab 20 Prozent aufwärts sind zu stark, um dem Fahrer das Gefühl zu geben, er habe gerade den passenden Gang gewählt. Gangsprünge unter 10 Prozent machen wenig Sinn, weil die Veränderung von den meisten Fahrern als zu unwesentlich empfunden wird. Ausnahme ist hier der Straßenradsport. Wie das bei der eigenen Schaltung ist, kann man einfach ausrechnen: Übersetzung in den benachbarten Gängen und den Unterschied in Prozent ermitteln.

Schlussfolgerungen

Anhand von ein paar Beispielen wollte ich verdeutlichen, was dieser Sachverhalt jetzt hinsichtlich der Wahl der Kettenblatt- bzw. Ritzelgrößen bedeutet. Da Kurbeln und Kassetten nicht in jeder beliebigen Abstufung verfügbar sind, beschränkte ich mich hier auf die Ermittlung des passenden leichtesten und schwersten Gangs. Auch kann man eine generelle Empfehlung nicht geben. Die Streckenprofile, die Trittfrequenz und auch die Geschwindigkeit, ausgehend von der möglichen Wattzahl, die der Fahrer aufbringen kann, sind zu unterschiedlich. Ich kann aber einen Vorschlag für die Ermittlung der individuell passenden Übersetzung geben:

1. Ermittle die höchste Geschwindigkeit, bei der du treten können willst, am besten natürlich bergab.
2. Ermittle die niedrigste Geschwindigkeit, bei der du treten können willst, an der steilsten Rampe, die du dir zutraust.
3. Ermittle durch das Fahren einer langen Strecke, zum Beispiel bei einer gemäßigten, möglichst gleichmäßigen Steigung, deine optimale Trittfrequenz.
4. Errechne oder messe den Radumfang deines Hinterrades.
Mit ein wenig Geduld und etwas Freude an Zahlenspielen kannst du so deine Übersetzung finden.

Aber Achtung!

Es gibt ein paar Details, die ich hier bisher bewusst vernachlässigt habe, um das Thema nicht ausufern zu lassen. Hier möchte ich noch ein paar Punkte ansprechen, die mitbedacht werden sollten oder zumindest können.

Reifengrößen

Die vom Hersteller angegebenen Größen sind natürlich prinzipiell richtig und geben Aufschluss darüber, welcher Reifen auf welches Bike passt. Manche Hersteller geben den Umfang an, hier zum Beispiel Schwalbe: http://www.schwalbe.com/de/reifenmasse.html. Der Reifen baut aber unterschiedlich breit und hoch, je nach Felge, Luftdruck usw. Wer also seinen Abrollumfang genau wissen möchte, kann ihn nur dadurch ermitteln, dass er den Reifen im belasteten Zustand abrollt und die Wegstrecke misst. Am besten lässt du dir dabei von jemandem helfen. Eine Markierung auf Boden und Reifen machen, zum Beispiel mit einem Filzstift, sich auf dem Rad geradeaus schieben lassen, bis die Markierung wieder am Boden ist, und dann die Strecke messen. Das ist genauer und macht auch Sinn, wenn man seinen Tacho genau programmieren möchte. Der Abrollumfang ändert sich übrigens nur geringfügig infolge Belastung und Geschwindigkeit. Wichtig ist: Je größer der Abrollumfang, also der Reifen, umso leichter sollte die Übersetzung sein. Also braucht ein 29 Zoll-Bike leichtere Gänge als ein 27,5 Zoll-Bike, und dieses wiederum leichtere als ein 26 Zoll-Rad. Vorausgesetzt, es handelt sich um den gleichen Fahrer und den gleichen Einsatzbereich.

Kettenblattgröße

Für das Fahren auf der Straße oder auf Feldwegen nicht so relevant ist die Bodenfreiheit. Beim Einsatz im Gelände ist ein Plus an Bodenfreiheit aber oft hilfreich, etwa beim Überfahren von Hindernissen oder bei Stufen. Wenn also mit einem kleineren Kettenblatt (bezogen auf das größte vorhandene) eure Wunschübersetzung realisierbar ist, dann ist das eine sinnvolle Sache. Die Wahl von kleinerem Kettenblatt und Kassette ermöglicht auch eine kürzere Kette. Ist das alles etwas kompakter, dann spart ihr auch noch etwas Gewicht.

Kurbellänge

Hier ist es ähnlich wie beim Kettenblatt. Kürzer bedeutet auch mehr Bodenfreiheit und man kann leichter im Gelände treten. Allerdings bedeutet die kürzere Kurbel einen kürzeren Hebel zur Krafteinleitung. Hier ist ein Kompromiss gefragt. Der ergibt sich aus Beinlänge und gewünschter Bodenfreiheit. Wenn bei längerer Kurbel die Trittfrequenz gehalten werden soll, muss der Fuß sich schneller bewegen, da die Kreisbahn, auf der er sich bewegt, wächst. So kann bei einer anderen Kurbellänge die Trittfrequenz wechseln.

Gangzahlen

Die Zahl der Gänge einer Schaltung sagt nichts darüber aus, wie leicht oder schwer die Gänge ausfallen. Meist haben Schaltungen mit mehr Gängen eine größere Bandbreite als die mit weniger Gängen, aber das ist nicht generell so. So hat zum Beispiel eine 20 Gang-Schaltung an einem Cyclocross Bike mit einer Abstufung 46 +36 vorne und 11–23 hinten eine Bandbreite von 266 Prozent. Eine 11 Gang-Schaltung mit einer 10-42 Kassette aber 420 Prozent. Auch überschneiden sich viele Gänge annähernd. Das bedeutet, dass trotz der Wahl eines anderen Ganges die Übersetzung sehr ähnlich oder theoretisch sogar gleich sein kann. Ein Beispiel: Eine 10 Fach-Schaltgruppe mit 30 Gängen hat vorne folgende Kettenblätter: 44, 32 und 22. Die 10 Ritzel hinten sind: 11, 13, 15, 17, 19, 21, 24, 28, 32 und 36. Fährt man mit 44 auf 28, ist die Übersetzung 0,636. Bei vorne 32 und hinten 21 ist sie 0,656. Als Entfaltung bedeutet das 3,48 Meter und 3,37 Meter, und somit einen Unterschied von 9 Zentimetern pro Kurbelumdrehung.

Übersetzung/Untersetzung

Immer wieder wird von einer Untersetzung gesprochen. Die gibt es nicht. Man kann Drehzahlen, Kräfte und Geschwindigkeiten übersetzen. Ins Schnelle oder ins Langsame. Wichtig ist: Eingeleitete Werte und ausgegebene Werte stehen im Verhältnis zueinander und behalten dieses bei. Hohes Drehmoment und niedrige Drehzahl können in niedriges Drehmoment und hohe Drehzahl gewandelt werden (schwerer, schneller Gang). Auch niedriges Drehmoment und hohe Drehzahl können in hohes Drehmoment und niedrige Drehzahl gewandelt werden (leichter, langsamer Gang). Die Energie bleibt erhalten, sie geht nicht verloren oder vermehrt sich.

Tipps und Tricks

1. Mit einer unpassenden Übersetzung macht das Fahren wenig Spaß, also setze dich damit doch mal auseinander. Meine Faustregel könnte hier lauten: So viele Gänge wie nötig, so wenige wie möglich. Es sind inzwischen eine Vielzahl an „Range Extendern“ erhältlich. Diese Riesenritzel helfen auch auf den steilsten Berg.
2. Achte darauf, dass dein Antrieb sauber und gepflegt ist. Du sparst etwas Kraft und schonst deinen Geldbeutel, weil die Teile länger halten. Auch gute, ordentlich verlegte Schaltzüge und Hüllen steigern die Performance.
3. Die Schaltung funktioniert nur dann richtig gut, wenn alles zusammenpasst. Achte darauf, dass Schalthebel, Umwerfer, Schaltwerk usw. untereinander und mit dem Rad zusammenpassen. Ein paar Ansätze: 2-fach und 3-fach; bei Schellenumwerfern der Winkel, die Käfiglänge am Schaltwerk usw.
4. Beim Fully kann der Antrieb Einfluss auf die Hinterbauperformance haben, zum Beispiel durch sogenannten Pedalrückschlag. Hier lässt sich mit entsprechenden Kettenblattgrößen oft etwas verbessern.

nach oben