Trans-Savoie Big Alpine Enduro

Text Daniel Eiermann Bild Michael Kirkman
Rennen

Big Alpine Enduro
Die Trans Savoie - Mittendrin statt nur dabei

Marathon Etappen-Rennen findet man mittlerweile wie Sand am Meer. Ob Transalp, Cape Epic, Trans Schwarzwald oder BC Bikerace,…..die Liste an tollen Mehrtages-Events für XC- und Marathonbiker ist lang.

 

Der Enduro-Biker schaut da (noch) in die Röhre. Die Rennen über mehrere Tage kann man an einer Hand abzählen. Die Trans-Savoie gilt als erstes Enduro-Stage-Race und hat in kürzester Zeit schon Kultstatus erlangt. Die knapp 70 Startplätze sind meist nach wenigen Minuten ausgebucht und jeder der einen Startplatz ergattert hat erntet neidische Blicke von den Kollegen. Ist dieser Hype berechtigt?? Das WOMB-Team war live bei der familiärer und zugleich abenteuerlichen Trans Savoie dabei, um genau das herauszufinden!

 

„Big Alpine Enduro“, sprich Trails weit über der Baumgrenze, Stagelängen von über 20 min mit mehr als 1.500 Tiefenmetern, geschmückt mit atemberaubendem Panorama und schweisstreibenden Transfers. Die Erwartungen steigen mit jedem Satz den man auf der Homepage liest und die Vorfreude nimmt mit jeder „Info“-Mail weiter zu. Wird das wirklich so geil, bin ich richtig vorbeireitet, hab ich das richtige Material…..Fragen über Fragen! Aber lest selbst….

 
 

Tag 1: Val d`Isere - Seez

Die erste Nacht in meinem kleinen 1-Mann-Zelt war kalt, kälter als gedacht. Dafür ist der morgendliche Blick aus dem Zelt atemberaubend: Blauer Himmel und eine beindruckende Bergkulisse. Es ist angerichtet!
Nach einem englischen Frühstück - das Porige aus dem Kasernenkochtopf sollte uns die ganze Woche begleiten - heisst es sich schnell rennfertig zu machen. Umziehen, Tasche packen, ein letzter Materialcheck und ab gehts.
Nach der Auffahrt mit dem Lift nehmen wir zum Warmmachen eine kleine Abfahrt im örtlichen Bikepark, anschließend einen kleinen Uphill zum Stagestart. Endlich geht es los! Der Pulsschlag pumpt in den Adern und jede Faser meines Körpers will nun endlich Gas geben. „You`re ready?“ fragt der Marshall und aktiviert meinen Transponder ohne auf Antwort zu warten: Action! Der schmale Trail schießt mich durch einen Steingraben, Geröll ohne Ende, Steinkanten die es auf meine Felgen abgesehen haben - willkommen in den Alpen! Zum Glück habe ich DH-Schlappen aufgezogen, die ersten reifen-flickenden Fahrer stehen schon am Rand und schauen neidisch als ich vorbeiziehe. Knapp 500 hm in 6 Minuten sind es auf dieser Stage, welche die kürzeste Abfahrt der Woche bleiben sollte. René (Wildhaber) braucht eine Minute weniger!

Am Ende der Stage gibt`s ne Bar!

Der nächste Uphill steigt mit der Gondel auf über 2.800 m. Stage 2, 3 und 4 haben jeweils mehr als 1.000 hm und sind wirklich massiv. Die Kombination aus Bikeparkstrecken, hochalpinen ausgesetzten Trails, fordernden Tretpassagen und engen Switchbacks ist wirklich gelungen. Als kleines Schmackerl nach mittlerweile 6 Stunden auf dem Bike gibt es nun einen 800 hm Anstieg zur letzten Tagesetappe. Mittlerweile hat sich der Sommer eingestellt und die Hitze lässt mir den Schweiß in die Augen laufen. Vor dem Start gibt uns der Marshall die wichtigste Info: „Am Ende der Stage gibt`s ne Bar!“

Die letzten 100 Meter zum Ziel schreie ich vor Schmerzen.

Die Aussicht auf ein kühles Bier lässt fast die kleine Randnotiz „be aware of technical rock steps drop to left, cliff to right’ auf der Infotafel untergehen. Also hopp, Helm auf, Knieschoner hoch, Trail frei. Und was für einer! Die Abfahrt landet definitiv auf meiner persönlichen Top 3 Liste der Woche. Los gehts mit einem schmalen Waldtrail und einigen sehr steilen Absätzen, Technik Stufe 5 (von 6). Anschließend schießt mich der Trail mit viel Flow Richtung Tal: weicher Waldboden, Speed und kleine Sprünge. Das Gelände ändert sich auf den letzten 200 - 300 hm: Rockgarden! Mit viel Speed geht es in erstaunlich steile Steinfelder. Die letzten 100 Meter zum Ziel schreie ich vor Schmerzen. Geschafft! Die Finger brauchen einige Sekunden um den Krampf (Bremshaltung) zu überstehen, den Krampf im Gesicht (Grinsen) werde ich aber wahrscheinlich die ganze Woche nicht mehr los. Das kühle Bier in der Bar hat sich heute jeder Teilnehmer mehr als verdient!

Die traumhaften Abfahrten wollen sich verdient werden. Die Anstiege sind aber relativ moderat und die Aussicht entschädigt hier für einige Strapazen.

Tag 2: Les Arc - La Plagne

Die Routine hält Einzug. Aufstehen, Umziehen, Frühstücken, Radcheck, Sachen packen, Abfahrt. Der straffe Zeitplan lässt keine Zeit zum Verschnaufen. Um Punkt 9 Uhr steht die Trans Savoie Reisegruppe an der Zahnradbahn. Die Skigebiete hier wissen wie man sich im Sommer die Biker angelt. Es gibt zahlreiche Strecken und auch die Bahnen sind sehr gut auf den Radtransport eingestellt. Die Trails heute sind allerdings naturbelassen. Einige Bikeparkfahrten dienen zum aufwärmen - und die Naturtrails sind wirklich erste Sahne. Eine komplette Beschreibung würde definitiv meinen Bericht sprengen. Aber die letzte Stage muss erwähnt werden. Weil Wanderer auf der Rennstrecke gesichtet wurden, hatten wir ca. 1,5 Stunden Wartezeit am Start. Mit der Zeit finden sich alle Teilnehmer am Start der Stage ein, es werden Späße gemacht, an Kettenführungen gefeilt (Rene) oder Bäume gestutzt (Armin). Ein wenig Unmut macht sich natürlich schon breit, nach knapp 6 h auf dem Bike wollen viele einfach nur noch auf dem Campingplatz entspannen und es wird diskutiert, ob man die Etappe absagen sollte, zumal am Anfang ein langer, sehr technischer Anstieg auf uns wartet. Aber dann geht es los!

Das Tempo ist wahnwitzig hoch

Ich fahre an vierter Stelle, der Uphill hält was er verspricht und ich komme schiebend, mit Sternen vor den Augen oben an. Verfluchte DH-Reifen! Dan (mein direkter Konkurrent um Platz 4 in der Gesamtwertung) überholt mich noch vor dem Downhill. Zusammen schießen wir den schmalen Trail bergab, das Tempo ist, dafür das wir die Strecke nicht kennen wahnwitzig hoch. Im Staub von Dan sehe ich nicht sehr viel und freu mich, als ich die Möglichkeit habe ihn zu überholen. Auf einmal fahren wir kein Rennen mehr, sondern genießen jede rutschige Spitzkehre, jeden kleinen Sprung und jeden uneinsehbaren Absatz. Hinter mir höre ich Freudenschreie, die mich motivieren den Hahn noch etwas aufzudrehen. 1.500 hm und 21 Minuten sind hier die Eckdaten. Ich hätte heute keinen Meter mehr fahren können. Die Unterarme sind dick geschwollen und meine Finger fühlen sich „wurstig“ an. So hab ich mir das vorgestellt!! Der Rest ist wieder Routine: 1 kühles Bier, 1 Dusche, 1 Bikeservice, 1 Abendessen, 1 Briefing und dann todmüde ins Zelt fallen: Tag 2 geschafft!

Tag 3: Champagny - Bozel

Tag 3? Was war da nochmal? Um meine Erinnernung im Nachhinein aufzufrischen schau ich mir das offizielle Video an....verdammt - Tag 3 war einfach nur geil!!!!
Die zweite Stage startete irgendwo im Nirgendwo. Ich trage mein Bike die letzten Meter. Oben angekommen schaue ich auf ein riesiges Steinfeld! Der Marshall neben der Startlinie, die aus 2 Bikeschuhen besteht grinst mich an und erklärt: „Da gibt`s keinen Trail. Siehst du die Leute da unten? Da geht der Trail los!“ Ich sehe ca. 400 hm weiter unten, hinter dem Steinfeld, ein paar winzige Menschen stehen....wie soll ich dahin kommen? Eine Linie ist nicht auszumachen, man kann sich nur grob vorstellen wo fahren möglich ist und wo eben nicht! Grob, gröber, Trans Savoie. Ich versuche mich an den Fahrern vor mir zu orientieren, was mehr oder weniger gut gelingt, am Ende gibt es keine richtige oder falsche Linie, sondern nur eine schnellere. Ich habe Glück und überhole schon im oberen Abschnitt ein paar Verirrte. Nach einem kleinen Uphill folgt ein offener und ziemlich heftiger Highspeedtrail. Mein Ding! Ich vertraue auf die Reifen und mach die Bremsen auf. Als der Weg in den Wald einbiegt, wird er schlagartig schmal und sehr steil. Zahlreiche Spitzkehren erfordern das Umsetzen des Hinterrades. Eigentlich kein Problem, aber nach bereits 1.000 hm mit Renntempo in den Armen ein kniffeliger Balanceakt. Wahnsinn! Nach der Zieleinfahrt geht es noch ca. 100 Meter einen kleinen Trail zur Strasse runter. Ich bin so k.o., dass ich mich hier noch lang mache und knapp 20 Meter einen steilen Wiesenhang hinunterrutsche. Naja....solange die Zeit nicht läuft...was soll`s!
Eigentlich hätte ich mein normales Pensum jetzt schon mehr als erfüllt, aber dummerweise kommen da noch 2 Abfahrten und v.a. noch ca. 1.200 hm Uphill!

Das Highlight der diesjährigen Trans-Savoie

Stage 3 ist schön, aber mit ca. 8 min zu kurz um darüber zu berichten. Wir bewegen uns hier echt auf einem anderen Level. Und damit komme ich zum Highlight der diesjährigen Trans Savoie. Stage 4 startet im offenen Gelände an einem sanften Berghang. Ich reihe mich hinter René, Armin und Thomas an vierter Stelle ein und gemeinsam (wenigstens die ersten 500 Meter) rauschen wir mit Mach 4 eine 30cm breite Rinne in der Wiese hinunter. Ich fresse mal wieder Staub! Als ich Thomas überholen kann und die Sicht sich bessert sind Rene und Armin schon weit weg. Die zwei haben ein irres Tempo und dabei noch sichtlich Spass! Kein Wunder: Rene gewann u.a. schon mehrmals die Megavalanche und Armin hat dieses Jahr bei der Bike-Attack in Lenzerheide den zweiten Platz gemacht. Die Jungs habens drauf! Nach einigen hundert Downhillmetern verschwindet der Trail mit uns im Wald. Was hier abgeht ist schwer zu beschreiben. Gefühlt hunderte von Serpentinen verbinden flowige Abschnitte mit Steilstücke, Sprünge und noch mehr Spitzkehren - das ist wohl der beste Trail den ich je gefahren bin - und er will einfach nicht aufhören. Über 20 Minuten düsen wir bergab; jede kleine Kante nutze ich mittlerweile um abzuheben - in der Luft können sich die Hände wenigstens etwas erholen.

Konkurrenz? Nur auf den Stages!

Die nächsten beiden Tage vergehen im Flug, die Trails der Trans-Savoie sind fantastisch, die familiäre Stimmung kommt eher einem Bikeausflug mit Freunden gleich. Konkurrenz existiert nur auf den Stages.

Tag 6 - Zieleinfahrt

Am letzten Tag steuern wir den Fuß des Mont Blanc Massivs an. Den ganzen Tag begleitet uns der eindrückliche Anblick der schneebedeckten Gipfel. Bei mir ist die Luft raus. Der Kopf will sich einfach nicht mehr konzentrieren und schon fliege ich in der ersten Kurve unsanft in die Brennnesseln.
Da noch einige Kilometer bis zum Ziel vor uns liegen wird die Überführung zu Stage 2 sehr lang. 20 km und ein paar Höhenmeter später können wir uns kurz in der Gondel erholen. Von dort aus geht es im Gelände weiter. Die Anstiege werden immer länger und schiebend spare ich Energie für die nächste Abfahrt. Nach einer Kletterpartie über einen beeindruckenden Felsrutsch komme ich sichtlich gezeichnet von fast 2 h Transfer zum Start der zweiten Stage. Der Trail ist erst schmal und ausgesetzt. Nach der Waldeinfahrt wird es deutlich steiler - zwischen den Bäumen kann man viele unterschiedliche Linien wählen. Der Boden wird weicher und die Geschwindigkeit immer höher......super! Auf einmal schlägt meine Gabel durch, beim Ausfedern ein metallisches Geräusch: Die Dämpferkartusche hat sich aufgelöst! Im Leerlauf versuche ich den Trail runterzukommen. Die Zeit ist futsch und ich versuche einfach mich auf den letzten Metern nicht noch umzubringen. Im Ziel wird mir bewusst, dass ich es heute nicht ins Ziel schaffen werde. Zwar fährt das Rad noch, aber mit „Pogostick“-Fahrwerk ist das Gelände hier einfach lebensgefährlich. Ich muss auf meine Wildcards zurückgreifen. Jeder Fahrer hat 2 davon, um einen Sturz oder eine grössere Panne zu kaschieren. Schweren Herzens lasse ich die Jungs am nächsten Lift ziehen und mache mich auf den Weg Richtung Basecamp.
Ich mache das beste draus und lege mich, frisch geduscht und mit ein paar kühlen Bierchen in der Hand in die Sonne. 3 Stunden später trudeln die ersten Fahrer ein und ich beneide jeden der das Rennen regulär beenden durfte!

Mein Fazit: Adrenalin!

Was bleibt von der Trans Savoie hängen? Direkt nach dem Rennen konnte ich das noch gar nicht so richtig beschreiben. Aber ein paar Wochen später bekomme ich immer noch Gänsehaut und einen ordentlichen Adrenalinschub, wenn ich mir die Bilder anschaue. Noch nie bin ich so ein abenteuerliches Rennen gefahren! Toll war’s und ich werde sicher wiederkommen - vorausgesetzt ich kann einen der 70 heißbegehrten Startplätze ergattern.

5 Überlebenstipps für die Transsavoie:

1.

Wach bleiben! Die Abfahrten von teilweise fast 30min erfordern viel mehr Konzentration als der bekannte Feierabendtrail vor der Haustür. Koffein und viel Flüssigkeit helfen die grauen Zellen bei Laune zu halten.

2.

Material checken! Auf dein Bike musst du dich hier absolut verlassen können. Alles andere ist lebensgefährlich.

3.

Die Trails geniessen! Zu viel Ehrgeiz endet oft neben der Strecke und kostet viel Zeit und Kraft.

4.

Richtig Rasten! Zu lange Pausen machen müde. Besonders an den letzten Tagen will der Körper auf Go gehalten werden.

5.

Richtig essen! Zittrige Hände am Start wegen einem niedrigen Blutzuckerspiegel sind unnötig und gefährlich. Der konstant hohe Adrenalinspiegel sorgt für einen gesteigerten Kalorien-Bedarf, unterdrückt aber gleichzeitig das Hungergefühl.

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