Mathias „Matschi“ Faber hat uns schon öfters berichtet, dass man in Hamburg ganz passabel biken können soll. Ehrlich gesagt: So recht glauben konnte ich das nie. Hamburg ist ja in den letzten Jahren verstärkt medial in Erscheinung getreten. Meist durch Berichterstattung rund um das Opernhaus, den Hafen oder wegen der steigenden Popularität und Enttabuisierung der Amüsiermeile. Klar ist was los in der Hansestadt. Aber als Mountainbikespot hätte ich sie nie eingestuft. Ein Besuch vor Ort belehrte mich eines Besseren.
Moin, Moin am Kiez - Hausbesuch bei Bergamont
Von gemütlich und hügelig zu lebendig und gar nicht so flach
Wenn wir „Woidler“ schon mal rauskommen aus dem beschaulichen Bayerischen Wald ... Die meisten Trips sind uns ein Fest. Meist treffen wir nette Leute und unser Horizont wird sowohl „Bike-beruflich“ wie auch persönlich erweitert. Bei diesem Besuch trifft das besonders zu. Wir haben uns ein ganz eigenes, eindrucksvolles Bild von der Firma und der Stadt machen können. Die Hanseaten zeigten sich weniger verschlossen als erwartet und in den Gesprächen schilderten sie uns Seiten der Stadt, die den Besuchern verschlossen bleiben, die nicht bewusst versuchen, zu hinterfragen und tief einzutauchen.
Im Zentrum des Geschehens
Matthias holt uns am Hotel ab. Ein kurzer Fußmarsch gibt uns die Zeit, den Tag zu planen. Erst mal die Firmenzentrale inspizieren, dann raus auf die Trails. Dabei werden wir uns sowohl Spots in der City als auch in den Harburger Bergen vornehmen. Den Abend wollen wir dann auf dem Kiez ausklingen lassen. Das neue Headquarter gibt es seit 2014. Vorher lag der Standort ungefähr einen Kilometer entfernt. Bergamont unterstützt ja auch den Fußballverein St. Pauli. Dessen Fankneipe, das „Jolly Roger“, liegt gleich ums Eck. Das Firmengebäude von Bergamont ist repräsentativ, modern und funktional. Irgendwie spiegelt sich hier der Gegensatz wieder, den wir im Kiez überall erfühlen können. Einerseits solide, erfolgreich und vorwärtsgerichtet. Auf der anderen Seite szenig, nischig und auch etwas speziell. Mich erinnert es an das Flair der Berliner Trendbezirke oder an das einiger britischer Städte. So ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis zwischen Bergamont und dem Kiez. Auf der einen Seite der Fahrradhersteller, der global produziert und in vielen Ländern der Welt vertreten ist. Mit Hightech-Rädern aus Carbon und mit E-Bikes. Auf der anderen Seite das weltberühmte, verruchte Viertel mit dem „besonderen“ Fußballverein.
Die Marke und die Menschen
Über unsere Eindrücke diskutieren wir dann auch gleich lebhaft mit Julia, Pam und Christian. Sie sind für die Aktivitäten rund um Kommunikation, Marketing und Events verantwortlich. Im firmeneigenen Shop berichtet Nusha über den Zuwachs im E-Bike-Sektor. Das Entwickler-Team besteht aus sechs Leuten. Thomas und Jonas nehmen sich Zeit für uns. Wir gehen in Details und halten uns zum Beispiel mit dem Umformprozess eines Rahmenrohrs länger auf. Dirk kommt dazu, er ist Teil der vierköpfigen Design-Abteilung und im ständigen Austausch mit den Entwicklern. Klar steht manchmal auch die schönste Lösung im Widerspruch zur funktionalsten oder haltbarsten. Aber der Umgang, der hier gepflegt wird, lässt mich vermuten, dass das Ergebnis der Arbeit gut sein wird. Das haben übrigens auch die Tests gezeigt, bei denen uns die Bikes der Hamburger überzeugen konnten. Und da ist sie wieder, die Frage: Woher wissen die Flachländer, wie ein gutes Mountainbike sein muss? Matthias kennen wir ja, der fährt auch gerne mal ein Endurorennen in Schottland. Thomas, genannt TommyT, ist auch Biker der ersten Stunde. Aber dass auch die restlichen Kollegen sich als Radfahrer verstehen, in jeglicher Form, überrascht uns. Hätten wir nicht erwartet von den Städtern aus der Hafen-City.
Am Hafen vorbei gehts es zu den ersten Ausläufern der Harbuger Berge, der Fischbeker Heide wo unsere Tour startet.
Der großzügige Showroom und Bikeshop im Erdgeschoss wurde bereits um eine eigene E-Bike Abteilung erweitert und ist immer noch deutlich zu klein um alle Modelle auszustellen.
"Bei uns Fischköppen kann man richtig gut biken, Digga, wirst schon sehen"
Special Agent Fabers Secrets
Und wo diese Radler ihrem Hobby frönen können, zeigt uns Matthias. Er ist der Mann für solche Einsätze. Sein Bus ist für unser Unternehmen so gut geeignet wie ein gepanzerter Truck für ein SWAT-Team. Vorne ordentlich Platz für uns Passagiere, hinten für die Bikes, Ausrüstung, Werkzeug. Sogar eine MX-Maschine haben wir an Bord, man weiß ja nie, welcher Teufel einen reitet. Wir verbringen den Nachmittag aber auf Bikes, die mit Strom anschieben, nicht mit Benzin. Ich bin das Bergamont E-Line Trailster noch nie gefahren und so viel kann ich verraten: Wir haben uns angefreundet. Erst mal rollen wir durch die Stadt. Eine Mischung aus Sightseeing per Bike und Street-Fahren. Mäuerchen laden zu Wallrides ein, Treppen zu Abfahrten und die eine oder andere Kante zum Droppen. Landungsbrücken, Fischrestaurants, alte Dampfer neben Containerriesen ... wie aus dem Bilderbuch. Das eigentliche Highlight erreichen wir dann aber nach einer kurzen Shuttle-Fahrt: die Fischbeker Heide. Diese Gegend ist heute ein Naherholungsgebiet Hamburgs. Sie war schon in der Jungsteinzeit besiedelt. Man nimmt an, dass sich hier ursprünglich ausgedehnte Eichen- und Birkenwälder befanden, die durch Überweidung teilweise verschwanden. Der südliche Teil der Fischbeker Heide gehört bereits zu Niedersachsen, der nördliche Teil zu Hamburg. Er zeichnet sich durch einen dunklen, griffigen Mutterboden aus. Hier gibt es ein Naturschutzgebiet, einen Segelflugplatz und unzählige kleine Wege. Auf diesen sind wir unterwegs und haben echt die größte Freude.
Wie im Gebirge, nur in klein
Die höchste Erhebung hat zwar nur 116 Höhenmeter. Aber die Trails sind einfach spaßig. Das mag auch daran liegen, dass sie teilweise von Bikern angelegt und gepflegt werden. Ein bisschen wie im Mutterland des MTB-Sports, den USA. Übrigens leben auch in der Fischbeker Heide Biker, Wanderer und Reiter friedlich miteinander. Das Miniatur-Wunderland mit seinen Modellbahnen, in dem die Welt in klein nachgebaut wurde, ist eine der bekanntesten Attraktionen der Stadt. Irgendwie kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass auch hier jemand eine Top-Bikeregion nachgebaut hat, in klein. Keine Abfahrt dauert länger als eine Minute, die Anstiege sind nicht viel länger. Dafür feuert der stetige Wechsel auf uns ein und das E-Fully macht so richtig Spaß. Vollgas rauf, teilweise ohne schalten zu müssen, und wieder runterballern, wieder und wieder. Seit den 80ern ist die Gegend ein bekannter Treffpunkt für Biker, vorher waren hier die Cyclocrossfahrer vermehrt unterwegs. Es gibt Facebook-Gruppen, die sich hier verabreden, Biker kommen auch aus Bremen oder Cuxhaven. Das Wetter hilft dabei: Im Winter fällt das Thermometer selten unter fünf Grad und im Sommer kühlt der Wind. Startpunkt vieler Touren ist die „Kärntner Hütte“ – fast wie in den Alpen, oder?
Auch mit nur maximal 155 m. ü. NN kann man in den Harbuger Bergen ordentlich Höhenmeter sammeln gehen. Keine langen Anstiege dafür kurze Rampen zehren hier am Akku.
"70 Prozent unseres Umsatzes sind bereits E-Bike"
Erleuchtung unter Leuchtreklame
Nach einer Dusche und dem Bearbeiten von ein paar E-Mails treffen wir uns vor dem Hotel. Die Reeperbahn ist in Laufweite, aber wir lassen sie erst mal links liegen. Der Pier, an dem unser Kahn festmacht ist, ist ein angesagter Burgerladen. Vegetarier, haltet euch die Ohren zu! Wir haben genossen! Bestes Rind, in der Mitte rosa, außen mit der richtigen Portion Röstaromen. Dazu ein Bier. Wir sind happy. Da vergisst man jede Acrylamid-Debatte oder Probleme in Sachen Tierhaltung. So gestärkt tauchen wir ins Nachtleben ein. Während wir durch die Gassen schlendern, werden wir unentwegt von Damen angesprochen, die sich gerne gegen entsprechende Bezahlung mit uns näher beschäftigen würden. Schließlich biete ich einer von ihnen auch ein paar Euro, aber für Informationen, nicht für etwaige Dienstleistungen. So erfahre ich etwas vom Wandel hier auf dem Kiez. Sie behauptet, sie würde den Job freiwillig machen, sogar gerne. Aber inzwischen kämen jedes Wochenende Reisebusse voll Touristen, die herumlaufen und alles mittels Smartphone dokumentieren. Sie staunen und knipsen, geben aber kein Geld aus, sondern fahren zurück ins Hotel im „gesitteten“ Stadtteil. Schließlich verweist sie mich an einen großen Sexshop auf der anderen Straßenseite. Der Besitzer, sagt sie, sei ein Urgestein, ein echter St.-Paulianer, da könne ich mehr erfahren. So ist es dann auch. Zwischen essbarer Unterwäsche und Sexspielzeug in der Größe eines Verkehrshütchens erfahre ich mehr. Mehr, als ich wissen wollte. Die Stadt befindet sich im Wandel, das wird mir klar. Und der wird nicht komplett schmerzfrei vollzogen werden.
Was bleibt, das bleibt
Vor dem Trip wäre Hamburg für mich eine Destination für einen Junggesellenabschied gewesen. Jetzt nicht mehr. Ich möchte wiederkommen. Das ist klar. Ich würde gerne hier wieder Rad fahren. Mehr von der Stadt sehen und neue Seiten entdecken. Natürlich auch noch mal mit den „Bergamonts“ auf ein Bier im Jolly Roger einkehren. Der Kiez und seine Bewohner haben auf mich Eindruck gemacht. Die verschiedenen Kulturen, das durch und durch Urbane, Moderne und Vielschichtige erzeugen verschiedenste Lebensentwürfe, die aufeinanderprallen. Dazu kommt die See und der ständige Wind, mit dem die Elemente sich unablässig manifestieren. Im Restaurant trinkt der hanseatische Geldadel teuren Rotwein, vor der Tür ein linker Aktivist ein Dosenbier. Jedes Mal, wenn ich ein Bergamont sehe, denke ich wieder an den Besuch in Hamburg und versuche still und leise für mich herauszufiltern, welche der vielen Strömungen in dieser Stadt Pate stand. Die Gischt an den Landungsbrücken für das Schutzblech? Der Sand der Heide für das Profil der Reifen? Die Leuchtreklame für den grellen Neonton im Rahmendekor?
Beim obligatorischen Stadtrundgang darf natürlich die große Freiheit nicht fehlen.
Auch Bikes, die Kunden direkt im Shop kaufen und abholen, werden im Bergamont Karton frisch aus dem Contaainer im Hafen geliefert.
: Wieso ist Hamburg der ideale Standort für Bergamont?
: St. Pauli ist ein Ort für Freidenker, hier wird Multikulti nicht nur großgeschrieben, sondern gelebt. In unserem Viertel ziehen sich Gegensätze an, hier trifft Rebellion auf Tradition, Perfektion auf Improvisation, Individualität auf Kollektivität und Kalkül auf Lust. Hier mischt sich unsere ungebremste Leidenschaft am Radfahren mit hanseatischer Kaufmannstradition, was letztlich unseren Erfolg ausmacht.
: In welche Kneipen sollte man gehen?
: Da gibt es einige, die Kultigen wie Zum Silbersack, Zur Ritze, Golden Pudel Club (sofern er denn wieder eröffnet wird) oder die Washingtonbar sollte man auf jeden Fall mal gesehn haben. Zum Silbersack>> Zur Ritze>> Pudel>> Washingtonbar>> Mein persönlicher Geheimtipp ist die Bierkneipe Dreyer, etwas ab vom Trubel der Reeperbahn, authentisch, urig, freundlich: Bierkneipe Dreyer>>
: Was sollte man auf dem Kiez vermeiden?
: Auf keinen Fall irgendwelche Typen dämlich und zu lange anstarren (Youtube>>) oder auf die derben Sprüche der Koberer (Türsteher) reinfallen.
: Was unbedingt tun?
: Raus auf die Straße, alles aufsaugen, sich von den abgefahrenen Typen und unzähligen Graffitis beeindrucken lassen. Nicht auslassen sollte man bei einem Besuch das Millerntor Stadion, idealerweise bei einem Heimspiel des FC St. Pauli. Ein Besuch im großen Bunker auf dem Heiligengeistfeld bzw. im dazugehörigen Club Uebel&Gefährlich darf ebenso wenig fehlen wie ein Hallo bei Suicycle, Treffpunkt und Kultladen für Fixiefahrer. Für Freunde von Rock und Groove lohnt ein Blick auf das Programm des Grünspan oder eine Dance Session im Mojo Club. Grünspan>> Mojo>> Übel und gefährlich>> Suicycle-Store>>
: Welche Sehenswürdigkeiten anschauen?
: Runter zu den Landungsbrücken, rein in den alten Elbtunnel. Einfach beeindruckend, in diesem schmalen, gekachelten Tunnel unter der Elbe durchzulaufen. Der Rest ist bekannt und mal mehr, mal weniger interessant: Michel, Elbphilharmonie, Fischmarkt, Jungfernstieg, Hamburger Dom, Planten un Blomen, Miniatur Wunderland … Hamburg - Alter Elbtunne>>l
: Wohin zum Frühstücken?
: Zum Transmontana am Schulterblatt. Hier gibt’s kein Edelfrühstück, dafür aber ruckzuck einen portugiesischen Galoa plus Toast, plus Nata auf’m Tisch bzw. auf die Hand. Dazu: sehen und gesehen werden. Pastelaria Transmontana>> Wer’s etwas gemütlicher haben möchte und nur vom Feinsten, und dabei alles frisch auf dem Frühstücksteller haben will, geht ins Pauline, direkt bei uns um die Ecke: Pauline>>
: Wer nimmt mich mit zum Biken?
: Seit Jahren unverändert: Treffpunkt Harburger Berge, Kärntner Hütte, Sonntags 10:00 Uhr
: Wo übernachten?
: Wirklich cool ist die Superbude: Superbude>> (lustig in dem Zusammenhang, da auch unsere Urgesteine Tommy und Matschi ihre Bikes als Super Bude oder Geile Bude bezeichnen) Wer’s nah am Kiez haben will, Design-Liebhaber ist und ein Spa zum Ausspannen braucht, geht ins EAST: EAST>>