Hausbesuch bei Santa Cruz

Text Christian Ettl Bild Andreas Meyer
Firmenportrait

Leuchtende Augen bei Santa Cruz in Santa Cruz

Gerade ging es durch die Medien, und viele dachten erst an einen verspäteten April-Scherz: Santa Cruz wurde verkauft, an die Pon Holding. Das Familienunternehmen aus den Niederlanden hält auch Marken wie Focus und Cervelo, außerdem die Bekleidungs- und Zubehörmarke BBB. Alltagstaugliche Räder haben sie mit Kalkhoff , Rixe und Gazelle ebenfalls im Programm. Angeb- lich wird sich nicht viel ändern bei Santa Cruz. Skateboardlegende Rob Roskopp soll Firmenchef bleiben und die Führungsmannschaft auch. Wir stellen ein paar der Mitarbeiter und ihren Job vor.

 
 

Wenn wir ein Santa Cruz im Testfeld haben, reißen sich unsere Tester sofort darum. Selten erzeugt eine Marke solche Begehrlichkeiten. Um die 200 Fahrräder haben wir jährlich in der Redaktion, da sind die Jungs eigentlich nicht so einfach zu beeindrucken. Woran liegt es also, das die Bikes der Kalifornier einen derartigen „Haben will“-Effekt auslösen? Klar, das Syndicate und dessen Fahrer sind einer der Gründe. Auch hat Santa Cruz viel dazu beigetragen, Kohlefahser-Rahmen in den abfahrtsorientierten Diszipli- nen zu etablieren. Aber das ist es nicht alleine. Wir haben im Gespräch mit Mike, einem Texaner, auf dem Sea Otter erfahren, dass er lieber ein Santa Cruz mit einer „Billig-Ausstattung“ fahre als ein anderes Rad mit besseren Komponenten. „Santa Cruz is simply Santa Cruz“, sagte er. Eine starke Identität und eine sehr loyale Fanbase prägen das Markenbild. Wir haben ein wenig vom Santa Cruz Spirit einfangen können.

"Vom Cyclocrosser bis zum Downhiller ist alles aufgereiht"

Zum 20-jährigen Firmenjubiläum bezog man 2013 neue Firmenräume, geräumig und zuge- schnitten auf die Bedürfnisse der gewachsenen Firma. Das war nicht immer so. Rob Roskopp ver- diente in den Achtzigern sechs Jahre lang sein Geld als Pro -Skateboarder und im Winter ver- brachte er seine Zeit auf dem Snowboard. 1993 gründete Rob mit Rich Novak von Independent, dem Hersteller von Skateboardachsen, das Un- ternehmen. Rob arbeitete zu diesem Zeitpunkt für Santa Cruz Skateboards und lieh sich dann, nach Absprache, den Namen für das eigene Geschäft. Die beiden starteten gleich mit einem Fully, dem Tazmon. Das Bike ist ein Eingelenker mit nicht mal 80 Millimeter Federweg – damals schon eins der radikaleren Bikes. Die aktuellen Modelle stehen direkt im Eingangsbereich des Gebäudes. Dort be ndet sich der Showroom. Vom Cy- clocrosser, Stigmata, bis hin zum Downhiller, V10, ist dort alles aufgereiht. Auch die Juliana Bikes kann man sich ansehen. Diese, speziell für Frauen entwickelt, gehören als eigenstän- dige Marke seit 1999 zum Repertoire. Wer die Bikes nicht nur anschauen will, kann sich auch gegen eine kleine Leihgebühr von 20 Dollar eins für einen Testride mitnehmen. Das Geld kommt übrigens komplett dem örtlichen Verein zugute, die Mit- glieder bauen Trails und halten sie in Schuss. Das können sie gut, wie wir nach einem Ausritt auf den „Wilder Ranch“ Trails feststellen müssen. Nie breiter als der Lenker ziehen sich die Wege die Hügel rauf und runter. So gebaut, dass man sie nur als owig bezeichnen kann. Immer wieder geht es runter an Bachläufe, kleine Stufen, Wellen, schnelle Richtungswechsel.

Die Bäche sind ziemlich ausgetrocknet. Kalifornien leidet unter Wasserknappheit, das wurde uns auch in Motels immer wie- der in Erinnerung gerufen. Stets wird man aufgefordert, sparsam mit dem Wasser umzugehen. Nicht gespart hat man bei der Testbike flotte. Jedes Bike ist in jeder Größe und Variante mehrfach vorhanden. Egal, ob Santa Cruz oder Juliana. Wir sehen uns zum ersten Mal die neuesten Modelle an. Das neue Highball Hardtail und den Crosser Stigmata. Der wurde von 2005 bis 2006 das erste Mal in Kleinserie gebaut, damals noch in Aluminium.
Mitarbeiter haben das Projekt aus privatem Interesse an- getrieben. Viele der Angestellten fahren Rennen. Die aktiven Rennfahrer der Firma fördert das Unternehmen mit dem sogenannten „Factory Racing“: Spritgeld und eine Verpflegungspauschale werden gezahlt, sowie den Fahrern ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt, damit sie an Rennen teilnehmen können. Scott Chopin nutzt das regelmäßig. Er ist der „WarehouseMan“, das heißt, er ist Hausmeister und Mädchen für alles. Seit sieben Jahren arbeitet er hier und genießt es, endlich Zu- gang zu High End Bikes und Parts zu haben. Das war nicht immer so. Wenn man viel reist und in der Szene unterwegs ist, dann braucht man dazu eine Menge Geld, speziell in den USA. Im letzten Jahr war er bei 15 MTB-Rennen und 22 Cyclocross-Rennen am Start. Da macht man einige Erfahrungen, die sich anschließend auch in den Produkten wieder finden oder einfach im Gedächtnis bleiben. So sagt Scott, er werde nie wieder 238 Kilometer ohne Sitzpolster fahren. So extrem sind nicht alle Mitarbeiter, aber praktisch alle fahren Rad, und sei es nur auf dem Weg zur Arbeit.
Es sind übrigens 120 Personen, die für Santa Cruz arbeiten – die in der Rahmenproduktion nicht mitgezählt. Einige von ihnen lernen wir bei einem Rundgang durch das Gebäude kennen. Miguel arbeitet in der Rahmenmontage und sitzt gern auf dem Rennrad. Er prüft alle Teile und verheiratet Hauptrahmen und Hinterbau erst hier im Haus mit den Umlenkhebeln. Das trägt zur hohen Qualität bei. Die Einzelteile kommen aus Asien, wo man eine eigene Fabrik unterhält. Die Matten wer- den dort selbst gewebt, bevor sie zugeschnitten und weiter- verarbeitet werden. Der Herstellungsprozess ist aufwendig. Ein Kunststo -Dummie des Rahmens wird mit einer Menge dieser Carbonlappen beklebt, bis jede einzelne Lage da ist, wo sie hingehört. Das Ganze kommt dann in eine Form und wird gebacken. Dabei schmilzt der Kern heraus und es bleibt nur die Kohlefaserstruktur mit dem Harz übrig. Durch dieses Verfahren bilden sich keine „Falten“ oder Harzansammlungen im Rahmen, das Produkt wird besser. Das Ergebnis wird vor dem Versand geprüft. Wenn es in Santa Cruz ankommt, wird es bei Miguel und den Kollegen noch mal gecheckt. „Also eine doppelte Qualitätssicherung?“, fragen wir Will, der uns alles zeigt. „Nein, eigentlich arbeiten wir mit drei Prüfungen“, meint er. Ein Teil der Rahmen wird auch noch auf dem Prüfstand ge- foltert. Diese werden extra in mattem Weiß lackiert, um Risse oder Schäden besser zu erkennen. Zur Performance des Komplettrades tragen auch die Komponenten und die Montage bei. Deshalb werden alle Laufräder selbst „in house“ gebaut.

"Als wir seine Werkstatt betreten, leuchten unsere Augen. Da stehen sie, die Bikes von Josh Bryceland, Steve Peat und Co."

Cody erzählt uns, dass er in den ersten Wochen bei dem Job von Nip- peln geträumt hat, und er meint nicht die, an die du jetzt denkst, sondern an die schwarz eloxierten aus Alu. Sind die Laufräder fertig und der Rah- men vormontiert, kommt das alles mit den restlichen Teilen auf einen Wa- gen und wird zur Montage gebracht. Die Mitarbeiter hier arbeiten nicht am Fließband. Jeder kann jedes Rad bauen. Dies soll motivieren, nicht ständig den gleichen Handgri zu tätigen, sondern ein fertiges Rad vom Platz zu schieben und zu sagen: „Yeah, das habe ich gebaut.“ Wenn du ein Santa Cruz in Deutschland bestellst, läuft das übrigens anders, das Bike wird in Handarbeit hier in Deutschland montiert.
Weiter geht es bei unserem Rundgang und wir steuern auf den „Ma- chine Shop“ zu. Hier arbeiten Mike und John. Beim Betreten des Raumes schlägt uns direkt eine gute ehrliche 90er Jahre E-Gitarre entgegen. John sammelt Radios und Verstärker und hat einen Musikgeschmack, der ihn als DJ für die nächste Party bei uns zu Hause quali zieren würde. Er baut mit
Mike hier die Prototypen und Funktionsmuster in Alu. So auch den Slope- style Prototypen für Logan Peat, den sie uns gleich begeistert zeigen. Die beiden verstehen sich auch abseits der Werkstatt gut und beenden gemein- same Touren auf ihren Bronsons gerne bei einem kalten Bier. Sie meinen, wir hätten ruhig welches mitbringen können, Bier sei eine der wenigen Sa- chen, die Europäer besser könnten als Amerikaner.

Ein Stockwerk darüber be nden sich Verwaltung und die Büros der krea- tiven Köpfe. Josh ist der Produktmanager und sitzt seit zwölf Jahren so häu- g wie möglich im Sattel. Leider haben ihn verschiedene Verletzungen die letzten zwei Jahre immer wieder ausgebremst. Das macht ihn völlig fertig, denn er will einfach nur fahren. Man muss wissen, dass Josh gerne schnell fährt, so nahm er zum Beispiel zuletzt beim Andes Paci co teil. Aktuell ist er knapp bei Kasse. Er hat eine Wette gegen Will verloren und muss den Kühlschrank konstant mit Bier füllen, das hat ihn mittlerweile schon ein paar Hundert Dollar gekostet. Schuld, sagt er, sei auch Brian, der hätte ständig Durst. Brian – damit ist Brian Bernard gemeint. Er ist für die Homepage und Social Media verantwortlich. Der Veganer sitzt gern auf seinem Tallboy LT und fährt Snowboard. Sein Bart wächst, seit er vor drei Jahren geheiratet hat. Die Kollegen werden von ihm tagein tagaus mit altem Punkrock berie- selt. Er schickt uns zu Doug (Hat eld), dem Mechaniker des Santa Cruz Syndicate Teams.
Als wir seine Werkstatt betreten, leuchten unsere Augen. Da stehen sie, die Bikes von Josh Bryceland, Steve Peat und Co. Bei all der Fachsimpelei vergesse ich fast, Notizen zu machen, und muss Andi daran erinnern, zu fotogra eren. Da schauen wir schon auch mal mit den Fingern. Das Bike, mit dem „Ratboy“ die WM gewonnen hat, das Rad, auf dem er sich den Fuß gebrochen hat, das 2009er Weltmeisterbike von Steve. Wir philosophieren über Rahmenlängen, den Steuersatzprototypen von Chris King, der das Bike auf eine Länge zwischen einem L und einem XL bringt. Über Sinn und Unsinn von Titanschrauben. Warum ein anderes Clicksystem bei den Pedalen den Jungs Vorteile bringt, und was es mit der holen Titanfeder auf sich hat. Doug meint, dass sogar Details wie ein auf 27,5 Zoll-Rädern optimierter Marsh Guard zu einem Sieg beitragen können. So gehen ein, zwei Stunden ins Land.

Nach dieser Visite sind auch wir ein bisschen „gebrandet“

Mit dem Kopf voller Eindrücke verabschieden wir uns und fahren zum Hotel, um zu duschen und uns frisch zu machen. Abends wird gefeiert. Nicht aus einem besonderen Anlass, sondern weil es traditionell vor dem Sea Otter eine Party gibt. Die Szene ist nicht so riesig und die meisten Leute be nden sich in der Gegend. Wir haben unseren Spaß. Ein BMX-Seitenwagenrennen und einige andere Highlights sorgen für Kurzweil. Wir haben einige inte- ressante Gespräche und fallen sehr spät total platt in die Kissen. Schon vor diesem Besuch wussten wir, dass die Räder echt was können und ver- stehen, warum Santa Cruz so eine überzeugte Anhängerschaft hat. Nach dieser Visite sind auch wir ein bisschen „gebrandet“. Es überzeugt einfach, wenn man sieht, dass die Menschen hinter einem so emotionsbehafteten Produkt wie einem Mountainbike bei der Arbeit das Leuchten in den Augen haben. Bling, Bling ...

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