The Great Outdoors

Norman Bielig
Geschichten

Highlands und Islands in Schottland

„Werden wir nass werden?“, das fragt uns so gut wie jeder Deutsche, der mit uns auf Tour geht erzählt uns Donald lachend, nachdem wir gerade einen ungefähr 30 m breiten Fluss zu Fuß durchquert haben. Ein starker Sturm hat hier im Frühjahr die Flüße anschwellen lassen und zahlreiche Brücken weggespült. Hier, das ist Cairngorms 2 ½ Stunden nördlich von Edinburgh in Schottland. Donald ist einer der Köpfe hinter H&I Adventures, einem schottischen Guidingunternehmen und zusammen mit Chris und Marc wird er uns die nächsten Tage Schottland von seiner ursprünglichen Seite zeigen.

 
 

Spulen wir noch mal 24 Stunden zurück. Mit satter Verspätung erreiche ich Edinburgh im Sonnenuntergang und mache mich auf den Weg in den Norden. Genauer nach Aviemore am Eingang zu den Cairngorms. Die Straße zieht sich fast schon schnurgerade dahin, nur wenige Kurven, dafür logischerweise Linksverkehr. Nach zwei Drittel der Strecke werde ich langsam müde, schiebe es auf die gerade Strecke. Doch bei einem bewussten Blick aus dem Fenster fällt mir endlich auf was hier los ist, nichts. Es ist absolut dunkel. Seit ungefähr 15 min habe ich kein Haus mehr gesehen. Dafür heben sich einige imposante Bergflanken gegen den sternenklaren Himmel ab. Ich bin gespannt wie diese Bergflanken im Tageslicht aussehen, welche Vegetation sich dort findet und wie die Wege auf diesen aussehen. Mit diesen Gedanken lege ich mich schlafen.

"Nehmt warme Bekleidung mit"

Der Grund für die Warme Kleidung

Das sagen uns Chris und Marc am nächsten Morgen beim Briefing zur Tour. Wir befinden uns in den Cairngorms, einem Nationalpark in den Highlands von Schottland. Von Trailcentern sind wir hier weit entfernt. Wir werden zwei Tage lang naturbelassene Wege erfahren und vor allem die sehr einzigartige Natur der Highlands kennenlernen. Ein großer Teil der Cairngorms ist geologisch und ökologisch gesehen arktisches Terrain. Die Baumgrenze ist äußerst niedrig, die Winde schnell und die Vegetation eher knochig. Wintersport gibt es hier allerdings wenig, Schneesicherheit ist wie in unseren Mittelgebirgen kaum gegeben, so dass die MTB-Saison durchaus lange dauern kann (auch wenn man gegen Ende des Jahres zahlreiche warme Bekleidungslagen mitnehmen sollte).
Am heutigen Tag steht eine durchaus lange Tour mit verhältnismäßig geringer Höhenmeterzahl an. Nach einer kurzen Straßenfahrt geht es ins Gelände, was unsere Sicherheit durchaus zuträglich ist, denn auch nach zwei Tagen kann ich mich noch nicht ganz an den Linksverkehr gewöhnen und benötige vier Tage bis ich endlich auf der richtigen Seite des Autos einsteige. Wir fahren einen schmalen Trail an einem kleinen Bach, alles naturbelassen versteht sich und kommen nach kurzer Zeit am Loch an Elle an. Die ersten Highlander Zitate werden augeworfen, und es wird schnell klar, dass wir alle hervorragend über Sean Connery Zitate kommunizieren können, kulturverbindend quasi. Am Loch an Elle findet sich eine kleine Festung auf einer Insel mitten im See, ein Geheimweg verbindet das Ufer mit der Insel über knapp unter der Wasseroberfläche befindliche Fußtritte. Allerdings hat die Zeit diesen zugesagt, so dass man heute mit etwas Glück lediglich den halben Weg zurücklegen kann.

Mit Speed durch Schottische Wälder

Sonne in Schottland - eine willkommene Abwechslung

Chris weist uns den Weg in unseren Trail – Rock Garden nennt er sich und hier werden wir endlich nass. Schlammlöcher wechseln sich mit tiefen Pfützen ab, dem Spaß tut das aber keinen Abbruck. Zu angenehm schlängelt er sich durch den lichten Buchenwald. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir den Eingang zu Glen Feshie, einem sehr einsamen Tal, das die Bezeichnung Great Outdoors mehr als verdient hat. Wir lassen einen letzten Wanderparkplatz hinter uns und sehen nur noch leicht welliges Gelände mit sanft aufsteigenden Bergen an den Rändern. Ein riesiger Wildbach sucht sich seinen Weg durch das Tal, ein Anblick den man als Mitteleuropäer selbst in den Alpen lange suchen muss. Wir bewegen uns über einen angenehm zu fahrenden Trail weiter hinein in das Tal und stehen plötzlich vor einem Abbruch mit dahinterliegendem Bergbach. Chris erzählt uns, dass im Frühjahr 2016 ein heftiger Sturm über Glen Feshie tobte und dieser den Abbruch verursacht hat, wo davor lediglich ein lieblicher Bach ins Tal floß. Während einige Teilnehmer unserer Gruppe noch ungläubig vor dem Bach stehen erklärt uns Chris schon die beste Linie hindurch und ist nur wenige Minuten später auf der anderen Seite. Zögerlich folgt der Rest und freut sich über nasse Schuhe bei angenehmen 5° C Außentemperatur. Doch die große Herausforderung sollte erst zwei Bachquerungen und 15 min später kommen. Der Sturm hat im Glen Feshie zahlreiche Brücken durch Hochwasser hinweggespült und so stehen wir vor dem großen Wildfluss noch etwas ungläubig. Doch der Trail windet sich auf der anderen Talseite den Berg hinauf. Hier helfen nun auch die wasserdichten Socken nicht mehr, denn sie laufen von oben mit Wasser voll und sorgen für die restlichen 2 ½ Stunden Fahrt für ein spannendes und leicht frostiges Gefühl. Chris scheucht uns zum Aufwärmen einen der kleineren Berge hinauf, von dem wir über einen schier endlosen Trail direkt in ein Hochmoor hineinfahren. Der Trail ist im oberen Teil noch technisch mit Wurzeln, Felsen und steileren Kurven, wird im unteren Teil dann nur noch spaßig. Ein weicher Nadelboden lädt uns mit weitgezogenen Kurven dazu ein die Bremsen offenzulassen und so können wir wenigstens etwas Schwung für die Moorquerung mitnehmen.
Hinter der nächsten Kurve treffen wir auf drei Jäger, sie sind hier um Rotwild zu jagen. Auf dem Weg haben wir immer wieder kleine Hütten gesehen, die bei einem Blick durch die Fenster durchaus angenehm und hochwertig ausgestattet sind. Chris erklärt uns, dass gerade über den Sommer zahlreiche Jäger diese Hütten als Standpunkte nutzen für ausgedehnte Jagden in die Umgebung. Die Jagdpacht, ebenso wie die Angelpacht ist hier ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.
Nach einer weiteren Trailabfahrt fahren wir am Fluß entlang aus Glen Feshie heraus und zurück nach Aviemore. Bikes putzen, Equipment putzen und dann 20 min unter die heisse Dusche stellen um wieder eine adäquate Körpertemperatur zu erreichen.

Auch ein heisser Caffee hilft um uns wieder aufzuwärmen

Country Houses und Haggis

Den Abend verbingen wir in der Nähe, in einem der Country Houses. Diese sind im Grunde genauso wie man sie sich vorstellt. Lesezimmer, Bar, Restaurant, alles sehr stilvoll und mit spannender Whiskey-Auswahl. Das Essen ist regional und entgegen der Warnungen vor Haggis bestelle ich es auf Chris´ Empfehlung doch. Die Schafsinnereien sind ein Nationalgericht in Schottland und hier wirklich hervorragend zubereitet in einem frittierten Mantel mit leicht asiatisch anmutender Sauce. Marc erzählt mir, dass regionales Essen und Ausprobieren für ihn einen hohen Stellenwert besitzt, so bestellt er sich bei seinen Guidings mittlerweile quer durch die Speisekarten, um immer wieder neue Gerichte zu probieren. Ein innovativer Ansatz für eine ländliche Region, von konservativer Lebensweise ist hier wenig zu spüren.

Die Whiskey Auswahl

Alpines Mountainbiken in arktischer Umgebung
Nach dem Essen zieht es mich nur noch ins Bett, ich schlafe wie ein Stein und habe am nächsten Morgen das Gefühl noch immer leicht zu frösteln. Chris erzählte mir am vorigen Abend noch von der eher alpinen Tour, die er heute vorhat. Eine Tour, die er auch selbst in seiner Freizeit fahren würde. Und so bin ich gespannt was der H&I Leadguide für Schottland darunter verstehen würde. Er weist noch einmal darauf hin, dass wir zahlreiche Lagen einpacken sollten und entsprechend zu essen, da unser Körper in der Kälte wesentlich mehr Kalorien verbrennen würde als gewohnt. Wir setzen uns in Bewegung und fahren erst einmal über knapp 10 km ein weites Tal durch beeindruckende Landschaften hinauf bevor wir endlich am Fuße unseres namenosen Berges angekommen sind. Und hier werden wir erneut von der Natur überrascht. Eine kleine Gruppe Rentiere grast vor einem der Bothies, in der wir später noch etwas mehr Zeit verbringen werden. Chris hält uns an langsam und leise auf sie zuzugehen um sie nicht zu verscheuchen und so kommen wir bis auf zehn Meter an sie heran. Weihnachtswitze werden gemacht und Chris erklärt mir, dass wir oberhalb dieser Herde das führende Tier suchen müssen, denn diese suchen sich im Normalfall einen erhöhten Punkt um auf ihre Herde wachsam zu blicken. Wir nutzen das Bothy um uns aufzuwärmen. Diese Schutzhütten finden sich an zahlreichen Wegen und stehen Erholungssuchen frei zur Verfügung. Mit Feuerstellen ausgerüstet eignen sie sich zum Aufwärmen und wie jetzt als Unterstand bei einsetzendem Schneefall. Das Wetter wechselt hier schnell und unsere Guides erklärten uns schon am Morgen zum Briefing, dass wir auf ein Wetterfenster zuarbeiteten, dass der Schneesturm uns aber irgendwann bis Mittags erreichen würde. Wir sitzen also den ersten Schneesturm aus und schauen fasziniert auf den waagrecht am Fenster vorbeifegenden Schnee.
Als dieser abschwellt nehmen wir unsere Bikes auf die Schultern und beginnen den Gipfelanstieg. Nach zwei Drittel des Weges bedeutet uns Chris die Bikes abzulegen, ein weiterer Sturm stand kurz bevor und er packte sein Bothie Bag aus. Bothie Bag? Das ist die schottische Variante eines Biwaks. Je nach Größe stellen sich mehrere Personen unter die wasser- und winddichte Hülle und setzen sich anschließend auf ihre Ränder. So kann diese nicht wegfliegen und der enge Raum heizt sich innerhalb kürzester Zeit auf. Besser kann sich eine Gruppe wohl kaum näher gekommen. Nach dem Abschwellen des Sturmes entscheiden wir umzukehren, der Aufstiegsweg ist hervorragend, alpin und herausfordernd. Dank eines zweiten Paar Handschuhe bin ich sogar in der Lage die Bremsen zu nutzen und den Lenker zu halten. Weiter unten gelangen wir wieder in den Wald, das Schneegestöber beginnt erneut und wir genießen den Anblick hier in fast schon gemütlicher Sicherheit.

XC-Trails
In einem kleinen Café heizen wir uns wieder etwas auf, bevor wir uns auf den Weg zurück nach Aviemore machen. Allerdings nutzen wir einen kleinen Umweg über einen hervorragenden Trail. Nach einem knapp 20-minütigen Anstieg erreichen wir den Einstieg. Zwei Jahre zuvor war dieser Trail eines XC-Rennens. Es muss ein tolles Rennen gewesen sein, denn der Trail war es, über Felsen und Wurzeln, zahlreiche Kurven und Pfützen führt er hinab ins Tal. Schnell, flowig und fordernd, ein großer Spaß, der vergessen lässt, dass wir nun wirklich komplett durchnässt sind und der weitere Weg nach Aviemore durchaus unangenehm werden kann.
Wir fahren durch eine Mischung aus lichten, schneedurchsetzten Wäldern und arktischer Tundra. Das Wasser in den Socken erreicht nun unangenehme Temperaturen und auch meine Finger habe ich das letzte Mal vor dreißig Minuten gespürt. Später unter der Dusche bin ich dennoch begeistert, meine Füße weisen bei Einsatz von heißem Wasser ein bizarres Farbenpiel auf, und doch denke ich daran wann ich wiederkommen kann um mit Chris eine weitere Tour zu unternehmen mit Übernachtungen in den Bothies, noch mehr Abenteuer, noch mehr Weite und vor allen noch mehr Ruhe, Einsamkeit und Great Outdoors.

Keine Seele Unterwegs - ausser uns natülich

Informationen
Bothies:
Sind für Jeden offene Schutzhütten, die sich entlang des Wegenetzes findet. Hier kann übernachtet werden oder einfach Schutz vor dem rauen Klima gesucht werden. Diese Schutzhütten haben meistens Feuerstellen und hölzerne Schlafstellen, es wird an die Verantwortung der Nutzer appelliert, so dass die Hütten nach der Nutzung wieder in einem guten Zustand zurückgelassen werden.

Jedermannsrecht:
Auch „Right to Roam“ genannt, sichert den freien Zugang zur Natur in Schottland. Es ist ein Gewohnheitsrecht sich frei auf unkultiviertem Land bewegen zu dürfen. Dieses wurde 2003 zuletzt festgeschrieben. Dieses Recht ist aber auch mit der Verantwortung verbunden keine Spuren zu hinterlassen und auf andere Nutzer, sowie die Natur Rücksicht zu nehmen. So findet man auch in den Bothies zahlreiche Hinweise zur Eigenverantwortung der Naturnutzer. Für Mountainbiker gilt dieses Recht ebenso auf Wegen, von denen es gerade in den Highlands unzählige gibt. Hier sind auch Nationalparks nicht ausgenommen.

Cairngorms:
Befinden sich im Nordosten Schottlands. Der höchste Berg des Naturschutzgebietes ist Ben Macdhui mit knapp über 1.309 m. Fünf der zehn höchsten Gipfel Schottlands finden sich hier und so bilden die Cairngorms die größte Hochgebirgsgruppe in Schottland. Aviemore ist einer der touristischen Hauptorte, die sich auf Outdoor-Tourismus spezialisiert haben. Rund um Aviemore finden sich zahlreiche Country-Houses mit hervorragendem Essen, toller Atmosphäre und einer großen Auswahl an Whiskey.

Klima:
Die Cairngorms liegen auf derselben Höhe wie Moskau, das Wetter ist dank des atlantischen Drifts allerdings wesentlich angenehmer. Niederschläge sind normal, so dass man sich gegen Wasser von oben und unten wappnen sollte. Im Sommer stellen kleine Mücke, die sogenannten Midges ein großes Problem dar. Es gibt viele Mittel gegen sie, helfen tut allerdings lediglich Bewegung. Gewitter gibt es kaum, dafür ist das Wetter für uns schwer einzuschätzen, da es auf Grund der starken Winde weniger vertikal ausgerichtet ist, als in den Alpen.

Landschaft:
Man sollte sich auf Einsamkeit einstellen. Die Landschaften sind wesentlich weiter, als wir es aus Deutschland und den Alpen gewohnt sind. Das bedeutet auch, dass Hilfe bei Notfällen weiter weg ist. Die meisten Wege sind nicht ausgezeichnet, es bietet sich hier wirklich an einen lokalen Guide zu nutzen.

Mitnehmen:
Wasserdichte Socken, zum Beispiel von SealSkinz. Doch Vorsicht: Im Idealfall reichen Beinlinge über die Socken, denn wenn einmal Wasser in den Socken ist wird es richtig kalt und eingefrorene Füße wieder auftauen ist kein schöner Prozess.

Guiding:
H&I Adventures
Chris und Marc von H&I Adventures können viel zur Natur, der Kultur und auch den Sagen der Region erzählen. Sie wissen welche Biere zu empfehlen sind, welcher Whiskey und warum Haggis einfach hervorragend schmeckt.

Unterkommen:
MacDonald Aviemore Resort

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