Faszination Toskana – Die Entstehung eines Bike-Geheimtipps

Text Norman Bielig Bild Ines Männl
Reise

Zwischen Garfagna und Apennin

Eigentlich müsste ich nach unserer ersten Reise in die Toskana hier einen vollständigen Artikel darüber schreiben, weswegen man in dieses Gebiet zwischen Apennin und Garfagna keinesfalls kommen sollte. „Bleibt weg!“, schreit ein Teil von mir. Schließlich möchte ich in fünf Jahren noch hierherkommen und auf einsamen Trails meine Runden drehen. Möchte, in Vorfreude auf das vor mir Liegende, die 40 Kilometer Serpentinenstraße den Berg raufzirkeln, um anschließend, mit 18 Prozent Gefälle und nur wenig jüngerem Auto, auf der anderen Seite des Apenninhauptkamms hinabzufahren. Hinab in Richtung Serchio, dem Fluss, der die Garfagna, diese immergrüne Gebirgslandschaft, durchschneidet. 500 Höhenmeter über dem Tal jedoch werde ich wie gewohnt abbiegen und über noch kleinere Nebenstraßen den Weiler Prunecchio erreichen. Ganze acht Einwohner zählt man hier, davon ein Ire und ein Engländer. Unsere Gastgeber.
Eigentlich müsste ich also schreiben: Nehmt diesen Weg nicht auf euch! Fahrt an den Gardasee oder ins Vinschgau oder nach Finale. Doch kann ich nicht über die Weite dieses Gebietes, über seine verlassenen Hochlagen und vor allem nicht seine atemberaubenden Trails schreiben, ohne ins Schwärmen zu geraten. Lassen wir den guten Vorsatz also beiseite, schließlich wäre ich nicht hierhergekommen, wenn uns nicht auch ein guter Freund an Bord seines waghalsigen Planes geholt hätte.

 
 

Die Hütte oben am Berg ist das perfekte Domizil für zurückgezogenen Bikeurlaub

Karten wälzen

Rich kennen wir seit drei Jahren. Wir lernten ihn kennen, als er in Molini di Triora bei Ady von Riviera Bike guidete. Ab und an fuhr er uns mit dem Shuttle. Auch am Tag nach Fronleichnam versuchte er es tapfer einen halben Tag lang, bevor wir ihn wieder seinem Bett und seinem Kater überließen. Wir freundeten uns an, kamen wieder, oft. Zugegebenermaßen nicht nur wegen ihm. Das Argentina-Tal im Hinterland San Remos ist und bleibt eines der vielleicht schönsten Bikegebiete, in denen ich bisher fahren durfte. Der Kontakt wurde enger, und im letzten Herbst erzählte er uns von seinem Vorhaben, ein neues Gebiet als Guidingregion für sich zu erschließen. Er wälzte Karten, wertete Sattelitenbilder aus und vor allem reiste er viel. Zu Silvester, er war gerade in Deutschland, berichtete er uns am Lagerfeuer von dieser Region in der Toskana. Der Hauptkamm auf 1.700 Meter, der Talboden auf 300 und dazwischen schier endlose Kammlinien mit 10 bis 20 Kilometer Länge. Zahlreiche Wanderwege seien in den Karten verzeichnet. Vorsichtshalber, er kannte das noch aus Ligurien, kaufte er alle Karten, die er über die Region finden konnte, um sie zu vergleichen. Die Schnittmenge ergab dann die möglichen Wege.

Unterhalb der Hütte beginnen die ersten Trails, beinahe alle in Handarbeit errichtet.

So fanden wir uns also Anfang April auf dem Weg in die Toskana wieder. Rich lebte nun schon einige Wochen vor Ort und war laut eigener Aussage vor allem damit beschäftigt, Wege herzurichten und anzulegen. Wir waren gespannt ... und wurden schon bei der Ankunft nicht enttäuscht. Noch etwas wackelig auf den Beinen – waren wir doch gerade 50 Kilometer Serpentinen gefahren – führte er uns über das Grundstück des Ferienhauses. Der unverbaute Blick ins Tal, über Garfagna und Apuanische Alpen ist beeindruckend, der kleine Pool unterhalb des Hauses mit Grillplatz für zukünftige Gäste ein Highlight. Hier also möchte Rich seine Gäste unterbringen, sie werden wohl ebenso begeistert sein wie wir. Über den Hippie-Innenanstrich (Terracotta-Wischtechnik) des Hauses lässt sich da getrost hinwegsehen. Die Begrüßung hält dafür eine weitere Überraschung bereit: „I have a surprise for you. We are going to a party.“ Neun Stunden Autofahrt – da klingt natürlich Feiern super. Während einige mit dem Auto fahren, holen wir schnell die Bikes aus dem Auto, denn zur Party führt ein Trail, den Rich uns gleich zeigen möchte. Auf Radbekleidung verzichten wir, Skinny Jeans und Helm sind völlig ausreichend. Nach wenigen Metern auf der Straße biegen wir ab und begeben uns in die Falllinie. Ein alter Pflasterpfad führt in endlosen Serpentinen in Richtung Talboden und zaubert uns ein Grinsen aufs Gesicht. Da sind sie endlich wieder, die spaßigen Serpentinen. Noch oberhalb des Tales vernehmen wir laute Musik, es klingt nach Hits der 80er Jahre und nach 90er Eurodance. Es kann also nur gut werden. Der Trail entlässt uns direkt auf das Partygelände inmitten einer alten, beeindruckend großen Mühle. Auf einem Balkon steht ein etwa 50jähriger Alleinunterhalter mit Keyboard und schmettert einen Hit nach dem anderen. Betrunkene Althippies mit komischen Hüten begrüßen uns begeistert und drücken uns Bier in die Hand. Endlich angekommen!

Steepy Wonder

Am nächsten Morgen sind wir erst einmal schockiert, weder Siebträgermaschine noch Bialetti finden sich im Haushalt. Da haben wir in Italien die Rechnung ohne Engländer gemacht. Glücklicherweise hat unser Auto Vollausstattung und so fließt schon wenige Minuten später heißes Koffein durch unsere Adern. Zeit, über Karten zu brüten. Rich zeigt uns die Pläne für dieses Gebiet. Zahlreiche Wege hat er farbig nachgezeichnet. Ist sie schon abgewandert oder muss es noch tun. Es sind viele Wege, weit mehr als in zwei Wochen fahrbar wären, und dabei sind angelegte Wege noch gar nicht mit eingerechnet. Neben den Erkundungstouren hatte Rich in den zurückliegenden Wochen auch Kontakt zur Forst- und zur Regionalverwaltung gesucht. Diese bestätigten ihm alle, dass er alles, was Weg ist oder mal Weg war, auch herrichten dürfte. Wohlgemerkt: Weg inkludiert hier auch Wildwechselpfade. Eine ziemlich gute Voraussetzung zum Anlegen und Pflegen von Wegen, doch vor allem auch eine zeitintensive und körperlich anstrengende Arbeit. Schon deshalb haben wir ihm bereits vor der Reise angeboten zu helfen und fassen den Plan, die nächsten Tage jeweils einen halben Tag in den Wegebau und einen halben Tag ins Fahren zu investieren. Die Wegepflege ist bitter nötig. Der Sturm, der Ende März über Europa hinwegfegte, hat in der Toskana vor allem in den niedrigeren Lagen zahlreiche Nadelbäume entwurzelt. Sicherlich 10 bis 20 Prozent des Baumbestandes unter 900 Meter Höhe wurde hier umgeweht. So nutzen wir den ersten Tag, um einen bereits von ihm angelegten Weg wieder freizulegen, fehlende Passagen zu bauen und vor allem eine Umfahrung für einen umgestürzten Baum zu installieren. Der Lehmboden ist dabei ein Segen. In kürzester Zeit lassen sich Massen an Erde bewegen und innerhalb kurzer Zeit wiederum trocknet die aufgebrochene Erde an der Sonne wieder an. Nach gut vier Stunden beenden wir zufrieden die Arbeiten, schreiben uns den Bau einer Brücke über einen kleinen Bach noch auf die To Do-Liste der nächsten Tage und steigen wieder hinauf. Hinauf zu unseren Bikes, um den ersten Haustrail zu fahren. Dies sei der erste Trail, den er hier angelegt hat, erzählt uns Rich. Ein paar Sprünge, viele Kurven und ein paar Steilstücke. Wir bekommen das Lächeln kaum mehr aus dem Gesicht, die Natur gewordene Achterbahn führt uns in scheinbar kürzester Zeit gen Tal. Erst lichter Nadelwald, dann steile Hohlwege und abschließend tiefer und dichter Laubwald. Was für eine Abwechslung, was für ein Trail! Mit „Steepy Wonder“ bekommt er auch gleich den passenden Namen.
Vor dem erneuten Anstieg zurück zum Haus gehen wir noch fürs Abendessen einkaufen. Es soll ein Festmahl werden zum Einstieg und der morgendliche Blick in die Vorräte offenbarte uns kulinarisch nichts Gutes. Fünf Kilo Säcke mit Nudeln, zwei Kilo Konserven mit Tomaten und Chili-Salz. Viel mehr gab die Küche nicht her. Unser Guide scheint in der Beziehung genügsamer zu sein als wir.

Neue Wege

Am nächsten Tag treffen wir uns mit einem Freund von ihm. Piego ist der Vorsitzende des örtlichen Bikevereins, organisiert ein Marathonrennen und hat mit den Locals auch schon den ein oder anderen Trail angelegt. Wir sind gespannt auf die Wege und vor allem darauf, wie viele Bäume wir aus dem Weg räumen müssen. Der Kontrollgang macht klar, was Rich und Piego schon mutmaßten: Der Trail ist verloren, also legen wir ihn sinnvollerweise direkt neu an. Sofort macht sich eine gewisse Euphorie breit, schließlich dürfen wir hier völlig nach unseren Vorstellungen walten – ein Traum! Schon während wir die Strecke abgehen, zwingt sich uns eine Linie auf, die wir nun mit mehreren Leuten in Angriff nehmen. Eine Vorhut aus zwei Leuten schneidet den Weg per Kettensäge frei, zwei Leute nehmen das grobe Material von der Linie und zwei weitere machen die Feinarbeit. Wir kommen gut voran, das Kettensägenteam verschwindet schon im oberen Teil des Weges, um ihn freizulegen, und so haben wir Zeit für kleinere Spielereien. Eine Anliegerkurve entsteht, ein Absprung, der in seiner Sorgfalt auch in einem englischen Garten Platz finden würde, und zu guter Letzt noch eine Naturbrücke über den Entwässerungsgraben zurück auf den Forstweg. Ein Blitz hat einen nahestehenden Baum gespalten und die eine Seite komplett versengt. In seiner Form und Oberfläche zwingt er sich uns als Brücke auf, sodass wir ihn hinabzerren, zuschneiden und mit mehreren Ladungen Lehm sowie Holzpfeilern sichern: fast schon ein kleines Kunstwerk. Kurze Zeit später kommt Piego, er muss wieder zur Arbeit und verabschiedet sich von uns. Immer noch kopfschüttelnd, dass vier Deutsche ihren Urlaub damit verbringen, seine Wege wieder herzurichten, macht er ein Foto von unserem Bus, um es an den Traileingang zu hängen.

La Brandita

Long Epic Ride, so beschreibt Rich die Tour, die er mit uns vorhat. Mit dem Bus shuttlen wir uns erst einmal auf 1.100 Meter hoch. Zwei Leute fahren die Busse dann nach unten, um schließlich mit einem wieder hochzukommen – ganz schön kompliziert, diese Abkürzungen. Wir entschließen uns derweil, einen Trail zu testen, den Andi auf der Karte entdeckt hat. 300 Höhenmeter auf der Straße, dann kurze Zeit einem Forstweg folgen, und schon sollten wir am Traileinstieg sein. So zumindest die Theorie. Die Straße funktioniert einwandfrei, doch schon nach wenigen Metern Forstweg tragen wir die Räder durch tiefen Schnee. Zum Glück sind wir bald wieder südseitig und der Schnee wird weniger. Der Einstieg ist auch hier von Sturmschäden zugeworfen, der Weg aber in denkbar gutem Zustand. Einmal mit der Harke drübergehen, um Äste, Laub und kleinere Felsen zu beseitigen, und er ist wie neu. Doch auch so macht er Spaß und führt uns rasch zum Treffpunkt zurück. Die beiden Fahrer warten schon in der Sonne und ab nun führt uns Rich zum Einstieg seines Epic Rides. Nach 30 Minuten entspannten Pedalierens auf einem menschenleeren Forstweg erreichen wir Campaiana. Liebevoll hergerichtete Häuser stehen hier auf einem sonnenexponierten Hang. Allerdings ist der Ort nur während der Sommermonate bewohnt. So früh in der Saison sind wir ganz alleine hier und genießen die warmen Strahlen, bevor wir es nicht mehr aushalten und endlich fahren wollen. Zu Beginn schlängelt sich der Weg an einem alten Gebirgsbach sanft entlang. Wir passieren den Liebesbrunnen, und nach einem kleinen Anstieg ändert sich der Weg ebenso wie die gesamte Umgebung. Der Bach verschwindet in den Tiefen des Tales, der Weg jedoch windet sich um den Berg, den La Bandita. Uns erwartet Gardasee-ähnliches Terrain mit ausgewiesenem Kuschelschotter. Schnell ist dieser Weg und licht die umgebenden Bäume, was immer wieder zu bizarren Lichtspielen führt. Nach einer scharfen Rechtskurve öffnet sich der Blick auf das tiefe Tal mit dem eben erst hinter uns gelassenen Bach, der sich nun bestimmt 500 Höhenmeter unter uns entlang windet. Auf der anderen Bergseite sieht man den Eingang zu einem Marmorbergwerk. Unweit von hier, in Carrara, wird einer der wertvollsten Marmore der Welt abgebaut. Wir konzentrieren uns wieder auf den Trail, ein paar Spitzkehren, ein paar Steilstücke, und schon wieder öffnet sich der Blick. Dieses Mal in Richtung Garfagna. Nur wenige Minuten später erreichen wir auf dem alten Karrenweg Corfino. Was von oben noch aussah wie ein großes, in sich verschlungenes Gebäude, entpuppt sich bei der Durchfahrt als lebhaftes kleines Dorf. Hier erklimmen wir nun die letzten Höhenmeter und begeben uns in den gestern von uns angelegten Trail. Mit Grinsen im Gesicht und auch ein wenig Stolz testen wir unser Werk und sind durchaus zufrieden. Die Anliegerkurve müssen wir einige Male fahren, um die optimale Technik zu finden, doch alles andere funktioniert auf Anhieb, hat Flow und vor allem scheint es Rich zu gefallen. In Anlehnung an den Berg, den wir umkreisten, und den Namen seiner Freundin tauft er den Trail La Brandita.

Am letzten Abend verwöhnen wir unsere Gaumen noch einmal so richtig im Ristorante La Pozzo. Bei Rotwein und Steak versuchen wir die Charakteristik der Wege hier in Worte zu fassen und vielleicht trifft Flo es am Besten. Jeder Trail hier erinnert an einen Trail irgendwo anders, viele sind sehr Gardasee-ähnlich – und doch sind alle Wege hier einfach ein gutes Stück besser als anderswo. Wir sind schon gespannt, wie viel Wanderwege in den Höhenlagen Rich bis zu unserem nächsten Besuch bereinigt hat (denn Wanderer, die das tun, gibt es hier nicht), wir sind gespannt auf den Zuspruch, den er erhält, und wir sind vor allem gespannt, welches Motto die nächste Party der Hippies an der alten Mühle hat.

Hier lässt es sich aushalten, Frühstück vor der Haustür mit Blick auf die Garfagna.

Informationen

Unterkommen & Guiding

Am besten mit Rich in Verbindung setzen und sich von ihm guiden lassen. Er und Sandra kennen die Wege in- und auswendig. Schließlich sind sie für ihre Pflege und Installation verantwortlich. Der Kontakt zu Einheimischen fällt mit ihnen auch direkt leichter und ihre Unterkunft in Prunecchio ist der letzte ausschlaggebende Grund.
Ridgeline>>

Anreise

Nach Süden in Richtung Modena, von hier aus über den Passo del Radici nach Pieve Fosciana abfahren.

Der nächste Flughafen befindet sich in Genua.

Lage

Das Gebiet der Garfagna ist dicht bewaldet und teilt sich in viele kleine, aber schroffe Täler. Die Touren sollten gut geplant sein, denn ansonsten kann die Rückfahrt schon einmal viel Zeit und einige Höhenmeter in Anspruch nehmen.
Das Meer ist ungefähr eine Stunde mit dem Auto entfernt. Ab April sind auch die Höhenlagen meist schneefrei, doch auch hier kann ein später Winter zu Schneeresten führen. Die niedrigeren Lagen sind dagegen fast ganzjährlich schneefrei und befahrbar.
Die Topografie ist auf den Bergrücken wenig steil, dafür ziehen sich diese in die Länge. Seitlich abfallend in die Täler sind die Flanken aber sehr steil, hier finden sich oft alte Karrenwege, über die man früher die höheren Lagen versorgte. Der Lehmboden ist bei Trockenheit ein Traum, Erosion gibt es dadurch fast gar nicht. Bei Nässe wird es rutschiger.
Die Felsen bestehen aus Kalk und Dolomitgestein, auch hier ist bei Nässe Vorsicht geboten. Die vorhandenen Wege werden kaum mehr zum Wandern genutzt, sodass es aufgrund ihres Zustands durchaus ein Abenteuer sein kann, sie zu befahren. Auf Nummer sicher geht man, wenn man sich von Rich guiden lässt. Er weiß, welche Wege er bereits gesäubert hat.

Beste Reisezeit

April – Oktober
Gerade, wenn im Frühjahr alles zu blühen beginnt, ist die umgebende Natur ein regelrechtes Spektakel.

Essen

Ristorante Il Pozzo
Via Europa, 2
Pieve Fosciana LU
ItalienHervorragende toskanische Spezialitäten zu fairen Preisen, sehr angenehmes Ambiente.

Auf Tour entweder Verpflegung mitnehmen oder in den kleinen Orten in eine der zahlreichen Bars einkehren. Einen leckeren Snack, Espresso und Saft bekommt man hier immer.

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