Es ist vollbracht
Mit dem 10. Platz bei der Swiss Epic bekam ich die nötigen 30 UCI-Punkte, um ein Jahr lang bei XCO WorldCups starten zu dürfen. Mehr aus einer Laune heraus entschied ich mich spontan im April für eine Meldung zum zweiten Lauf des WorldCups in Albstadt. Meine Trainingspartner und ich lachten darüber und vergaßen es auch genauso schnell wieder.
Im Mai holte mich die Realität aber unerwartet heftig ein: WorldCup Round 1 in Nove Mestro, hieß es plötzlich auf Redbull.tv. Ich verpasste keine Minute der Liveübertragung und war überwältigt von der Tatsache, dass ich nahe meiner Heimat in 14 Tagen selber am Start stehen würde. Irgendwie konnte ich es nicht wirklich glauben – und so stieg der selbstgemachte Druck. Mein Training reduzierte ich drastisch, da meine Leistungskurve schon seit Tagen in die falsche Richtung neigte und ich durch Ruhe dem Abwärtstrend entgegensteuern wollte. Mir war klar: Ich bekomme es voll auf den Sack! Ich war realistisch genug, das zu wissen. Für mich bedeutete dies aber auch: Mit Anstand und wehenden Fahnen untergehen. Oder einfach: mein erstes Mal zu genießen und die Nervosität auf ein unbekanntes Level zu bringen.
Mein erstes Mal
Sönkes Tatsachenbericht vom UCI WorldCup
Professionalisierung
Ich wollte Fehler vermeiden und mich so professionell vorbereiten, wie es sich für einen WorldCup-Profi gehörte. Ich reduzierte, und das ist kein Scherz, meinen Bierkonsum, ich aß gesünder und machte wenig Fehler im Training. Der Zeitraum, von dem hier die Rede ist: die letzten sieben Tage vor dem WordCup-Start. Eine unprofessionelle Komponente in meinem Leben: der Berufsalltag. Mein Geld verdiene ich als Lehrer. Dieser Job kostet häufig Nerven und natürlich Zeit. Zeit, die mir in der Regeneration fehlte! Gut, ich bin Realist. Ich würde beim WorldCup sicher nicht unter den Top 30 landen. Also bin ich auch kein Profi geworden und verdiene mit Sport kein Geld.
Ein langes Wochenende
Am Freitag war ich pünktlich um neun Uhr bei der Startnummernausgabe. Ich nutzte meine Kontakte zu den WorldCup-erprobten Freunden und holte mir alle Informationen, die mir bei meinem „ersten Mal“ behilflich sein könnten. Mein Doktor Sommer war in diesem Fall Daniel Berhe (Teammanager Lexware Racing Team). „Sönke, kommst du auch nur eine Minute zu spät für die Startunterlagen, wirst du nicht starten!“ – „Sönke, holst du 90 Minuten vor dem Start beim UCI-Zelt nicht deinen Transponder ab, wirst du nicht gewertet.“ – „Sönke, ja, wir stehen in der Feed Zone und ja, wir reichen auch dir Flaschen!“ Danke, Daniel!
Testride
Am Samstag ging es für meinen ersten Testride in dem dafür offiziell vorgesehenen Zeitfenster mit meinem Hardtail auf die Strecke. Mit 190 Höhenmetern pro Runde ist dieser Kurs extrem Uphill-lastig und daher eher mein Feind als mein Freund. Beim Training fiel mir auf, dass mein Puls im Anstieg selten unter 170 ging. Für mich schien das ein Zeichen der optimalen Regeneration zu sein. Erstaunlich nur, dass ich ständig überholt wurde. Aber auch das war sicherlich so, weil sich die Profis gerade intensiv verausgaben wollten. Das konnte wohl kaum ihr „Standgas“ sein, oder?
Die Downhills waren deutlich anspruchsvoller, als es häufig auf Redbull.tv rüberkommt.
Ich hatte Mühe mit dem nassen Kalkboden und rutschte häufig unkontrolliert.
Professionell ließ ich am Vortag mein Rad checken und die Bremsen wurden beim Sram Support entlüftet.
Die Nacht davor
In der Nacht vor dem Rennen grübelte ich lange über die Bikewahl. Ich bin in der vergangenen Zeit viel Fully gefahren und wenig Hardtail. Ich fühle mich auf Trails mit dem Fully deutlich wohler, auch wenn es mich im Uphill aufgrund des Mehrgewichts Sekunden kosten konnte.
Aber nun war ich wieder realistisch: Wie lange würde ich im Rennen bleiben? Was sind Sekunden, wenn ich auf Platz 150 starte? Will ich Spaß haben oder auch noch im Downhill rumeiern?
Ich entschied mich noch vor dem Einschlafen für das Fully.
Einstand
Sonntag! Die MTB-Szene kannte nur einen Ort: Albstadt! Egal, ob als Zuschauer vor Ort oder vor dem PC: Das war der Heim-WorldCup für Fumic, Milatz, Grobert, Spitz und wie sie alle hießen. Es war das erste Mal, der erste WorldCup für Wegner.
Ich war rechtzeitig vor dem Frauenstart inmitten von 15.000 Zuschauern. Im Bullentäle schaute ich gespannt auf die große Leinwand: eine Minute bis zum Start. Stephan Salscheider (Organisator und begnadeter Moderator) heizte zusammen mit Sven Simon den Zuschauern ein. Mir wurde fast schlecht vor Nervosität. Ich realisierte zum ersten Mal, was es heißt, einen WorldCup zu fahren, und dabei hatte ich noch über drei Stunden bis zu meinem Start. Fast schon mit Tunnelblick verfolgte ich das Damenrennen und war begeistert von der Eleganz und Schnelligkeit. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir nicht vorstellen, wie die Männer noch schneller sein sollten. Meine Freundin blieb im Bullentäle und ich verabschiedete mich zum Warm-up. Mir war sehr mulmig. Fast übergab ich mich vor Nervosität, als ich noch einen letzten Blick in die Zuschauermassen wagte.
Warm-up
Das Lexware Racing Team hatte offensichtlich Mitleid mit mir und nahm mich unter seine Fittiche.
So durfte ich deren Rolle zum Warmfahren verwenden. Leider saß ich noch nie auf einer freien Rolle. Das Vorhaben beendete ich schnell wieder. Ich wollte nicht bereits meine gesamte Konzentration im Vorfeld verbrauchen. Ich entschied mich also, mein Warm-up auf die Straße zu verlegen.
Gute Idee, dachte ich, als ich Julien Absalon ebenfalls auf meinem Straßenabschnitt antraf.
Er grüßte mehrfach freundlich und fast wirkte es so, als akzeptierte er mich als Sportler und nicht als Kanonenfutter. Mit geringem Abstand fuhr ich hinter Absalon einen leichten Anstieg hoch. Er entkam mir nicht und meine Beine fühlten sich gut an.
Der Start
20 Minuten vor dem Start stellte ich mich in meine Startbox. Es war die letzte Startbox, und sie trug die Nummer 6. Ich stand da zusammen mit Thorsten Marx, Wolfram Kurschat und Sascha Weber, also in guter Gesellschaft!
Aber eindeutig fand ganz vorne ohne uns ein Rennen statt. Wir würden hier hinten unseren eigenen WorldCup fahren. Ich stand in der letzten Startreihe auf der rechten Seite, klickte mich dann in die Pedalen ein und hielt mich am Absperrgitter fest. Zeitgleich tippte ein UCI-Kommissär an meine Schulter und machte mir klar verständlich, dass man nur einen Fuß im Pedal haben darf.
Auf Redbull.tv ist die letzte Minute immer spannend. Die Fahrer schauen fokussiert, es hängt Adrenalin in der Luft, das Publikum rockt. Aber bei mir in der letzten Reihe erfolgte der Startschuss nur so nebenbei. Ich bekam ihn kaum mit. Nur die große Zeitnahme signalisierte mir deutlich, dass die Aktion losging. Nach einer gefühlten Ewigkeit rollte ich als Vorletzter über die Startlinie.
Jetzt geht’s los
Ich preschte mit einem maximalen Antritt auf die erste Kurve zu. Dann rollte ich langsam durch sie hindurch und versuchte, nicht zu stürzen. Die Einführungsrunde verlangte mehrfach Antritte von über 1.200 Watt. Dennoch blieb ich am Ende des Feldes. Der erste Anstieg zwang mich und alle weiteren Athleten ab Platz 50 vom Rad. Wir schoben – während vorne die Post abging! Das waren Momente, vor denen ich gewarnt wurde. Doch wurde auf Platz 120 gekämpft, als ginge es um Platz 5 beim Marathon. Verständlich! Denn es handelte sich überwiegend um Fahrer, die um jeden Punkt dankbar waren und nicht wenige hatten eine mehrstündige Fluganreise hinter sich, um hier starten zu können.
Den weiteren Anstieg überstand ich schiebend und droppte so unmittelbar über Serpentinen in das Bullentäle ein.
Eine Gänsehautatmosphäre überwältigte mich. Ich begann, die Stimmung zu genießen. Die Leistung, die ich abrief, war gut. Sobald ich in die Pedale trat, fuhr ich selten unter 380 Watt.
Ich fühlte mich heute wie ein Rockstar
Aber für mich hatte dies keinerlei Bedeutung. Ich fühlte mich heute wie ein Rockstar auf der größten Bühne, und das Pedalieren ist der Preis. Aus der ersten Runde kam ich mit vier Minuten Rückstand. Zeit, die jeder verliert, der hinten startet. Jetzt wurde mir auch klar, warum die Ambitionierten diesen sogenannten Punktetourismus machen. Sie fahren weltweit Rennen und sammeln somit UCI-Punkte für eine bessere Startaufstellung.
Hochgerechnet durfte ich nur acht Minuten auf die Spitze verlieren, um nicht Opfer der 80 Prozent-Regel zu werden. Für alle meine fünf Flaschen in der Feed Zone würde ich wohl keine Verwendung haben. Bereits in der dritten Runde überholte mich am letzten Anstieg das Führungsmotorrad. Kurz dachte ich über die bemerkenswerte Fahrtechnik des Fahrers nach: Das war also auch ein Profi.
Vor dem letzten Downhill hielt ich zusammen mit meinem Mitstreiter von der mexikanischen Nationalmannschaft an und überließ Nino Schurter und Julien Absalon die Linienwahl. Das läutete auch gleichzeitig das Ende meiner letzten Runde ein. Wenig später war der WeltCup für mich Geschichte.
Zeitnah schob ich mein Bike ins Bullentäle und freute mich darüber, das Rennen aus einer anderen Perspektive betrachtet zu haben und meinen Freunden euphorisch aus der Sicht eines Teilnehmers berichten zu dürfen.
Fazit
Das „erste Mal“ tat erwartungsgemäß verdammt weh. Aber es war auch wunderschön.
Die Schmerzen waren ganz schnell vergessen. Was bleibt, ist das Gefühl, einmal mit den besten Bikern der Welt auf einer super Strecke die einzigartige Atmosphäre aufgesaugt zu haben.
Die Leistung punktgenau abzurufen, ist das eine. Aber am Start zu stehen und zu wissen, dass gleich alle Augen auf dich gerichtet sind, ist etwas ganz Spezielles. Ich bin froh, dass ich keinerlei Druck hatte. Ich habe kein Team, das mich ergebnisorientiert in den WorldCup geschickt hat. Ich musste nicht um jeden Platz auf Position 130 kämpfen. Unglaublich finde ich es dennoch, dass es immer wieder Fahrer gibt, die es schaffen, hinten zu starten und nach vorne reinzufahren. Wolfram Kurschat beendete das Rennen sogar noch auf Platz 50.