BC Bike Race 2016

Text Sönke WegnerBild BC Bike Race
Geschichten

10 Years BC Bike Race
Celebration

Da stehe ich wieder mit meinem Racebag und meinem Fahrrad. Ich höre mir in der Turnhalle in Nordvancouver die gleiche Einweisung beim Mandatory Meeting an, wie vor drei Jahren. Auch die Witze haben sich kaum geändert. Dafür hat sich bei mir einiges verändert, seit ich vor drei Jahren hier in Kanada an den Start ging. Dieses Rennen hat meinen Horizont erweitert.

Aus der Ausgabe 01.17

 
 
"Eine tolle Alternative zur Fähre. Spätestens aus dem Wasserflugzeug erkennt man die schiere Weite dieses Landes."

Danach war meine Fahrtechnik auf einem Schlag ein Level höher. Hinzu kam, dass mir die Lust mit meinem Hardtail über Schotterpisten zu jagen, gründlich genommen wurde. Also stehe ich nicht zufällig am Start der zehnten Auflage des BCBR!
2013 war ich extrem euphorisch und wollte beim Meeting vor dem Rennen jeden Wortfetzen aufsaugen. Heute bin ich relaxter und fühle mich reifer und gescheiter, so als würde ich eine Schulklasse wiederholen und wissen, worauf es ankommt. Dennoch – so ein Rennen wird nie Routine sein. Doch was war es, das mich 2013 so aus meinem Bikerhythmus geworfen hat? Wohlüberlegt habe ich mich wiederholt auf dieses Abenteuer eingelassen. Ich will nochmal Rennen auf den Trails surfen, die meine Einstellung zum MTB geprägt haben. Trails, die, würde man sie mit Schnee vergleichen, aus feinstem, trockenstem, hüfthohen Powder bestünden, und das in unberührten Hängen. Und wer bekommt davon schon jemals genug?

Deine Vorstellung wird übertroffen
Das BCBR ist ein siebentägiges Etappenrennen im englischsprachigen Teil Kanadas (British Columbia). Die Etappen sind mit einem Singletrail-Anteil von 75% extrem kurzweilig und anspruchsvoll. Es ist sicher nicht das härteste Etappenrennen. Die Elite hockt selten länger als drei Stunden im Sattel. Dafür ist sie mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 15 km/h unterwegs.
Am Start stehen viele internationale Topfahrer. So ist es Stephen Ettinger (mehrfacher US-Meister und XC World Cup Top 20 Kandidat) wichtiger, beim BCBR ein gutes Ergebnis einzufahren als bei seiner nationalen Meisterschaft, die nur drei Tage danach stattfindet. Die mediale Reichweite ist enorm. Der Veranstalter braucht keinen UCI Status, das entspricht nicht dem kanadischen Urgedanken des Mountainbikens. Dennoch versuchen große kanadische Marken wie Rocky Mountain oder Kona sich durch Präsenz maximal in Szene zu setzen.
Sicherlich ein Grund dafür, dass die 2017er Auflage bereits nach 24 Stunden ausgebucht ist (600 Teilnehmer!), ist der Erlebniswert, den dieses Rennen bietet. Immer wieder geht es in alten Schulbussen von Etappenort zu Etappenort oder es wird die Fähre genutzt, um zwischen Vancouver Island und dem Festland zu pendeln. Sicherlich nicht unstressig, aber man befindet sich in diesen sieben Tagen in einer Bikeblase und fühlt sich als Teil eines großen Ganzen. Verstärkt wird dieses Gefühl durch das Übernachten in der Zeltstadt. Das alles hat natürlich seinen Preis! Man sollte daher die Startgebühr von fast 2000€ nicht nur als Startgeld für das Rennen betrachten sondern als Preis für ein siebentägiges Erlebnis. Die Stimmung ist bereits beim Einstieg in die Schulbusse familiär und entspannt. Die Klassenfahrt kann kommen!

Mit Ambitionen ausgespuckt in das Abenteuer Wildnis
Wir starten unser Abenteuer mit einer Busfahrt in Richtung Hafen nördlich von Vancouver. Die alten gelben Schulbusse fahren, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, auf der viel zu breiten Autobahn. Ständig überholen uns Pick-Ups mit Bikes auf der Ladefläche. Mountainbiken ist in Kanada ein großes Thema. Der Beruf des Trailbuilders ist anerkannt. Teilweise findet man in den Einstiegen zu den gebauten Bikepfaden Fotos von den Shapern bei ihrer Arbeit.
Große Autos, große Häuser … Reihenhäuser wird man hier vergeblich suchen. Kanada hat definitiv kein Platzproblem. Hier hat jedes Haus seinen eigenen Garten, nicht selten mit Fußballplatz.
Wir tuckern mit der Fähre in Richtung Vancouver Island. Auf dem Sonnendeck lernen sich Menschen aus allen Teilen der Erde kennen. Alle vereint in dieser Siebentage-Bike-Blase. Ich halte wieder vergeblich Ausschau nach Walen. Es gibt sie, genauso wie die Bären im Wald. Aber dieses Jahr werde ich tierisch enttäuscht. Habe ich 2013 noch einen Bär auf dem Trail gesehen, so bleibt mir dieses Mal die animalische Wildnis vorenthalten. Unser Ziel ist Cumberland: Eine Stadt, die vom Kohleabbau geprägt und in der, so scheint es, die Zeit stehen geblieben ist. Eine Straße, in der die Cafés und Pubs das Zentrum der Geselligkeit bilden.
Wir übernachten im Zelt und werden unsanft vom einsetzenden Regen geweckt. Die zehnte BCBR-Auflage wird auch als die nasseste in Erinnerung bleiben. Noch nie so häufig hat es in diesem Rennen geregnet, wie zu meiner Wiederholung. Zu meinem Erstaunen sind die Strecken oft trocken. Das Wasser läuft schnell in die vielen Flüsse ab oder bildet seeartige Pfützen, die beim Durchfahren nicht selten ein Überschlagsgefühl verursachen. Die erste Etappe ist die entscheidende. Entscheidend für jeden, der ambitioniert Rennen fahren möchte. Es ist sozusagen der “Seeding Run“ für den Startblock der folgenden Tage. Bereits am ersten Tag kann man sich für einen gewünschten Startblock einteilen lassen. Und das funktioniert problemlos. Gestartet wird in Wellen von 100 Fahrern, und das alle drei Minuten. Somit ist das Feld auf den Trails entzerrt und jeder fühlt sich wohl.

Dennoch ist die erste Etappe die stressigste. Jeder ist frisch, jedes Bike verrichtet erwartungsgemäß seinen Dienst und jeder ist heiß! Nach dem ersten Anstieg holt mich die Realität wieder ein. Ich werde auf dem ersten Singletrail vom Texaner mit dem wohl schönsten Ankerbart, Tristian Uhl, und vom kanadischen Rocky-Mountain-Profi Greg Day abgehängt. Dass ich im Singletrail abgehängt werde, das ist mir in den letzten Jahren nicht passiert. Es ist eigentlich meine Stärke. Hier jedoch gelten andere Gesetze. Das Shore-Riding ist unglaublich mühsam. Die Linie bei Wurzeln und Steinen zu erkennen, ständiges vorrausschauendes Fahren und ein absolut perfekt abgestimmtes Fahrwerk sind die Grundvoraussetzungen für den Erfolg. Ich brauche noch ein paar Kilometer und bekomme mit steigender Sicherheit auch das nötige Selbstvertrauen und ein Gefühl, das sich im Nachhinein mit “Flow“ beschrieben lässt.
Würde ich behaupten, ich wäre ohne Ambitionen am Start, wäre das gelogen. Im Herzen liebe ich es, Rennen zu fahren und mich zu quälen. Ich bin hier, um das Maximale aus mir rauszuholen und peile einen Platz in den Top Ten an. Nach der ersten Etappe bin ich mit Platz 10 auf dem besten Weg, merke aber schnell, dass die Luft dort vorne sehr dünn wird. Fehler vermeiden und konzentriert bleiben.
Noch am gleichen Tag schippern wir mit der Fähre nach Powell River. Ein stimmungsvoller Empfang von den Dorfbewohnern am Hafen ist irgendwie emotional. Wir sind die Gladiatoren und treten morgen in ihrer Manege auf! 300 Meter weiter erblicken wir unseren malerisch gelegenen Zeltplatz am Pazifik. Jeder Teilnehmer, wird zusammen mit seinem Tentmate in einem Zelt schlafen. Hat man keinen Freund, so wird man jemanden zugewiesen bekommen. Ich gehe meine Zweckehe mit dem französischen Marathonmeister Frédéric Gombert ein. Wir verstehen uns super und wissen, wann es auch mal angebracht ist, zu schweigen. Wir haben beide Mealplan C. Das bedeutet, wenn Fahrer mit Mealplan A und B gegessen haben, dann sind wir dran.
Also frühestens 60 Minuten vor dem Start und abends eben erst spät. Frédéric und ich begnügen uns morgens mit einer Schale voll Haferflocken. Zeitnah nach dem Rennen gehen wir in einem Restaurant essen, um im Anschluss nochmals Geld für Kaffee auszugeben. So ist man in Kanada schnell bei täglichen 30€ extra. Das Essen ist von hoher Qualität, preislich allerdings auf Schweizer Niveau. Ändern kann ich es nicht. Das Motto “Mampf gibt Dampf“ funktioniert bei mir einwandfrei. Ich kämpfe weiterhin in den Top Ten und habe mich in meinen Fähigkeiten mich auf den Trails zu bewegen beinahe den Locals angepasst. Frühmorgens kräht der Gummihahn in das Mikrofon. Frédéric und ich sind von den Renntagen oft so erschlagen, dass wir bereits um 21 Uhr im Bett liegen.
Aber bevor wir unsere Bikes in Empfang nehmen, geht es mit dem Schnellboot nach Earl‘s Cove. Ein paar Glückliche wurden per Zufall dem Wasserflugzeug zugelost. Ich freue mich auf das “Motorboating“ und ein paar Windwellen.

"Flow! Müsste ich mit einem Wort die Trails charakterisieren, dann käme ich nicht daran vorbei"

Der Bannwald lässt keinerlei Shortcuts zu
Ohne jedes Detail über die Etappen zu berichten, auch wenn jedes es wert wäre, möchte ich die Landschaft nicht unerwähnt lassen. Wir fahren durch Wälder, die man bei uns „Bannwald“ nennen würde. Sie sind so wild, dass es keinen Shortcut gibt! Kommt man neben den Trail, steht man vor umgefallenen Bäumen oder riesigen Steinformationen. Schaut man auf die umliegenden Gipfel, dann sind sie weiß. Wenn es irgendwo Bären gibt, dann hier! Kanada ist wild und ich mittendrin, aber sicher nicht allein. Klar wird mir das, als ich auf der dritten Etappe einen Platten bekomme. Innerhalb kürzester Zeit fährt, gefühlt, das gesamte Feld an mir vorbei. Ich verliere viel Zeit und später sogar den richtigen Weg. Generell ist die Strecke sehr gut ausgezeichnet. Man muss aber immer wach sein. Der einsetzende Hungerast hat den ständigen Richtungswechseln nicht standgehalten: Ich verfahre mich und ernte ordentlich Zeit; Zeit die mir nach sieben Tagen die Top Ten kostet, aber nicht die Moral.
Beeindruckt bin ich von der fünften Stage. Ein Zeitfahren, bei dem immer fünf Fahrer gleichzeitig auf die Strecke geschickt werden. Wir racen 15 Kilometer mit 90% Trails auf dem Hausberg von Nordvancouver, Mount Seymour. Teilweise wurden die Trails von Trailbuildern gebaut und von der BCBR-Crew im März restauriert. Es ist ein exklusiver Genuss mit maximal Laktat. Ich liebe das! Die Zuschauer scheinbar auch. Mit verrückten Kostümen und Krachinstrumenten stehen sie an der Strecke und betonen jede Pedalumdrehung. Der leere unberührte Wald fühlt sich auf einmal an, wie der Mont Ventoux an einem speziellen Julitag. Apropos große Radrennen: Udo Bölts ist auch dabei und hätte locker Druck, um die Top Five unsicher zu machen. Ich bin jedes Mal froh, wenn Udo in meiner Gruppe für ein hohes Tempo sorgt. Aber die kanadischen Trails sind nicht der Pfälzerwald und so verliert Udo immer wieder in den hakeligen, schmierigen Trails. Noch ein Grund, warum ich dieses Rennen liebe: es gilt halt nicht nur Watt pro Kilogramm.
Squamish und Whistler sind Etappen, die selbst den Profis den Korken aus der Flasche ziehen. Während Squamish die Königsetappe bietet, lassen es sich die Streckenplaner nicht nehmen, uns in Whistler explodieren zu lassen. Wir knallen durch Anlieger, droppen Felsplatten und zeigen all das, was wir in den letzten sechs Tagen perfektioniert haben. Wir sind dabei, unsere Meisterprüfung abzulegen. Die Arme brennen und die Bandscheibe fliegt aus dem Korsett… wir sind Mountainbiker in unserem Element. Nach dieser unglaublich intensiven Woche ist aber auch jeder froh, dass er sie beendet hat. Auffallend ist, dass jede Etappe dann zu Ende ist, wenn der Kopf keine Trails mehr will. Die Dosierung ist angemessen gewählt.

Resümee
2013 beendete ich die Rundfahrt auf dem elften Platz. 2016 war es wieder der elfte Platz. Ob es also besser war, die Klasse … äh … das Rennen zu wiederholen? Ein ganz klares JA! Das Niveau im Starterfeld hat sich deutlich verbessert. Unrasierte Beine sind auch nach wie vor angesagt und auch nach dem Rennen wird Bier am Lagerfeuer getrunken. Die Klassenfahrt für Erwachsene ist auch mit der zehnten Auflage geglückt. Irgendwie bleiben wir alle Schüler und manchmal tut es auch gut, jung zu bleiben und einfach in den Wäldern spielen zu gehen.

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