Spätestens nach Jakob Breitwiesers Rennbericht vom ersten Lauf der französichen Serie in Raon L’Étape sollte man sich bei der Anmeldung ein paar Gedanken machen. Bin ich fit genug? Habe ich eine gute Unfallversicherung? Habe ich die Eier es mit hunderten sauschnellen Franzosen aufzunehmen? Alles Fragen, die man sich zu recht stellen muss, wenn man Richtung Frankreich aufbricht um Enduro-Rennen zu fahren.
Coup de France Samoens
Auch die Tour de France war schon in Samoens.
Die Eckdaten des Rennens lassen uns auf der Autofahrt frohlocken. 6600 teuflische Tiefenmeter verteilt auf zwei Tage stehen auf dem Programm. Klassischerweise findet das Rennen im sogenannten „Originel“ Modus statt. Auf jeder Stage gibt es einen Trainingsrun und im Anschluss ein oder zwei Abfahrten auf Zeit. Was für die einheimischen Piloten übliches Renngesehen ist, kennen wir nur aus den grossen EWS-Rennen. Die Endurance wird hier nicht mit Uphill in Verbindung ge-bracht, sondern mit der puren Länge der Abfahrten. So is es dann auch nicht verwunderlich, dass die genannten 6600 Tiefenmeter auf fünf stattliche Stages verteilt werden. Man muss nicht rechnen um zu sehen was den Fahrern hier bevorsteht. Ein mächtiger Haufen Spass! Ein klitzekleiner Seitenhieb zu den heimischen Rennen: Das ist mittlerweile quasi internationaler Standard.
Die Backerei gegenuber vom Lift hat alles was das Herz begehrt
Gegen die Mudigkeit hilft nur die grosse Bialetti
Aber Schluss jetzt mit dem Geschwafel. Das soll ja keine Grundsatzdiskussion werden, sonder ein knackiger Rennbericht von der Basis.
Apropos Basis, nach einem schnellen Frühstück in unsere rustikalen Unterkunft schlagen wir unser Basislager, wie alle anderen auch, unten an der Gondel auf. In aller Herrgottsfrühe werden hier eifrig Reifen gewechselt, Bremsen entlüftet, Ketten geölt und die Bikes auf Hochglanz poliert. Zu-dem gilt es das Bike an allen möglichen Stellen mit den offiziellen Aufklebern zu markieren und damit die zahlreichen Kommissäre der FFC zu befriedigen.
Während ich bei strahlendem Sonnenschein noch überlege, ob ich meinen Highroller gegen einen Shorty tausche, sehe ich bei vielen Nachbarn gröbste Schlammreifen am Vorder- und Hinterrad. Vom DH-Worldcup habe ich mal gehört, das dort bei sehr staubigen Rennen auch gerne mal Schlammreifen aufgezogen werden. Im losen Boden finden die Spikes wohl besser Halt. Auch der Tipp meines Liftgenossen, den Marshguard besser zu demontieren für bessere Reifenfreiheit, lässt mich nicht stuzig werden. Meine Gedanken drehen sich aktuell eher um den einen Espresso den ich vielleicht mehr hätte trinken sollen.
Das ich kein Reifenexperte und schon gar kein Wettergott bin merke ich schon auf den ersten Me-tern der Stage. Ganz schön schmierig ziehen sich die frischen Anlieger Richtung Waldrand. Die scharfe Spitzkehre in die Dunkelheit der Bäume bringt mir die Erleuchtung: Es hat die ganze Woche geschüttet wie aus Kübeln und die Strecke mit gefühlten 30% Durchschnittsgefälle hat sich in eine Schmierseifenattraktion vom aller Feinsten verwandelt. Die Matschreifen liegen im Keller daheim und ich liege in Frankreich im Dreck. Jedem so wie er es verdient! Irgendwie schaffe ich es den Trainings-LAUF zu überleben und sogar ein paar gute Linien zu treffen. Das Geheimnis scheint wohl die Geschwindigkeit zu sein, je langsamer und ängstlicher man fährt desto schwie-riger machen es einem der lehmige Untergrund hier. Slow ist hier wirklich slow. Eine weitere Er-leuchtung kommt mir am Bikewash: Wie wohl die Strecke nach gut 350 Fahren für den folgenden Rennlauf aussieht?
Ordnung muss sein. Striktes Reglement und professionelles Racing liegen den Franzosen im Blut
Um es kurz zu machen: So was habe ich noch nicht gesehen. Die 1000 Tiefenmeter bestehen zum grössten Teil aus lehmig schlammigen Hangfahrten mit darauffolgenden Steilstücken. Damit es nicht langweilig wird, haben die Shaper extra zahlreiche Wurzeln im 45° Winkel designt und sie an den schwierigsten Stellen der Strecke platziert. Abschnittsweise gibt es Anlieger mit noch knacki-gerem Gefälle. Wer die darauf folgende Motocross-Rinne verpasst, dessen Rutschpartie wird ver-mutlich erst unten im Tal zu Ende sein. Mit ganz viel Glück findet man vorher einen netten Baum, der den Biker gegen eine kostenlose Umarmung vor dem Gröbsten bewahrt. Erstaunlich wie schnell man bei solchen Bedingungen sein kann, wenn man Franzose ist. Eliot Trabac zaubert eine Zeit auf Stage 1 die sich gewaschen hat. Ihm folgen im Sekundentakt weitere Unbeugsame. Da kann ich nur mein Bike erneut waschen und staunen.
...danach gehts mit der Gondel auf den Berg
Einmalige Bergatmosphare vor dem ersten Trainingslauf
Der Zeitplan, der uns auf den ersten Blick recht grosszügig vorkam, wird mit den Routineaufgaben aus Bikewash, Schmieren und Essen fast vollständig ausgefüllt und schneller als es mir lieb ist geht es wieder hoch zum Start. Mit jeder weitern Fahrt wird es schwieriger die nötige Motivation zu finden um sich in die schlammigen Untiefen zu stürzen. Mein Ziel ohne Sturz runterzukommen schaffe ich am heutigen Tag leider nie. Kurioserweise sind die beiden Tretpassagen auf Stage 2 das angenehmste was ich über den Tag gefahren bin. Der Rest der Strecken ist extrem fordernd und verlang mir wirklich alles ab, wenn nicht sogar etwas mehr.
Nach der letzten Abfahrt erwartet mich ein seltsames Gefühl aus Erleichterung, Enttäuschung und Verwunderung breit. Das Niveau hierzulande ist wirklich beeindruckend und so beende ich diesen heftigen Lerntag auf dem 70. Gesamtrang.
Ansonsten strahlt die Sonne mit den Bergen um die Wette
Trotz diesem heftigen Dämpfer ist die Motivation am nächsten Morgen dann doch wieder da. Die schmerzenden Knochen erinnern mich beim Aufstehen an die offene Rechnung vom Vortag. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf setze ich den Kaffee in der Bialetti an. Viel hilft viel, gerade wenn es um Koffein geht!
Das Tagesprogramm besteht aus 2 Stage, dazwischen mit ca. 200 Höhenmeter der einzige Uphill des Wochenendes. Das ganze natürlich zweimal. Wie gehabt einmal als Training und einmal gezeitet. Klingt einfach, ist es aber nicht.
Die erste Stage des Tages ist ein sprichwörtliches Monster. Vom Gipfel, mit perfekter Mont Blanc-Sicht im Nacken, stürzt der Trail sich ins Tal. Der Grip ist heute zwar besser, aber im Wald lauern immer noch zahlreiche glitschige Wurzeln und Steine auf uns Biker. Ausserdem macht sich die strahlende Sonne zwar super auf den Fotos, aber die Sicht zwischen den Bäumen ist dagegen eher bescheiden. Oftmals rauscht man mit 40 Sachen in ein schwarzes Loch im Wald. Dann hilft nur Lenker-fest-halten und abwarten. Sobald die Augen sich angepasst haben, ist dann meisten auch schon das Gröbste vorbei und man kann sich auf die nächsten Aufgaben konzentrieren. Da-von hat es dann auch mehr als genug. Obwohl der Trail für mich an der Grenze des Möglichen ist, macht es gewaltig Spass. Rennen zu fahren heisst ja auch immer irgendwie seine Grenzen zu suchen. Und die kann man hier definitiv finden.
Auch von medizinischer Seite ist man hier gut vorbereitet. Einsatze gab es trotz der heftigen Bedingungen aber wenige
Ich brauch nen Kaffee. Stephan Wohrle sammelt Krafte vor der nachsten Abfahrt
Ein ärgerlicher Sturz versaut mir auf der fast 15 Minuten langen Stage eine bessere Platzierung. Jetzt kann mich bzw. mein Ego nur noch die letzte Abfahrt retten. Ziel Nr. 1: Kein Sturz! Ziel Nr. 2: Vollgas! Der Trail kommt mir und meinem Können entgegen. Die Geschwindigkeiten sind deutlich schneller, es hat nur wenig matschige Stellen. Im Gegensatz zu den restlichen Trails kann man es hier ohne Probleme auch mal laufen lassen. Und das Reign läuft. Ohne Rücksicht auf Verluste - immerhin habe ich ja dicke DH-Reifen montiert - hämmer ich die schöne blaue Kiste durch die zwei groben Steinfelder. Kein Gedanke an Versagen oder irgendwelche Konsequenzen, auf einmal geht es. Da ich diese mit knapp 9 Minuten kürzeste Stage ziemlich gut runtergebracht habe, bin ich sogar noch für den Sprint ins Ziel hochmotiviert. Fix und fertig studiere ich die Zeittafel. Phillip, der Sprecher lobt den „amis allemand“ und bestätigt mir eine Zeit unter den ersten 35. Unter anderen Umständen wäre das wirklich deprimierend, aber hier beim Coup de France bin ich damit mehr als zufrieden.
...und dann mit Vollgas in die Monsterstage mit uber 1000 Tiefenmetern
Nach den mittlerweile routinierten Handgriffen der Radwäsche geniessen wir die Live-Band an der Verpflegungstelle. Neben leckeren Clif Bar Riegeln und Trockenfrüchten, werden hier selbstge-machte Salate, lokale Schinken- und Käsespezialitäten, Quiche- und Pizzastücke in rauen Mengen und mit viel Elan ausgegeben. Die obligatorische Orangina schmeckt bei diesem Angebot gleich doppelt so gut.
Fazit: Was können diese Franzosen eigentlich nicht? Auf jeden Fall im Enduro Sport sind sie eine Macht. Wenn man das Niveau der Rennveranstaltungen hierzulande sieht, ist das auch kein Wunder. Die perfekte Mischung aus Spass, ernsthaftem Rennsport und liebevollem „Drumherum“ haben uns sichtlich beeindruckt. Für schlappe 57,50 Euro bekommt man hier unter anderem massig Tiefenmeter, bestes Verpflegung und eine professionelle Organisation.
Zwischendurch bekommt man das Gefuhl, dass man als Deutscher einfach andere Stärken hat
Samoens 2016 - schön war`s