Bike Marathon 2016 – Scuol Nationalpark/Engadin

Text Sebastian Lehr Bild Sportograf
Rennen

Nationalpark Bike-Marathon 2016

Mein Wecker klingelt. Der Blick auf die Uhr bestätigt was der Blick durchs Wohnmobilfenster verrät. Es ist noch tief Dunkel. Die Uhr zeigt mir eine Vier, eine Drei und eine Null. Ich krieche aus meiner wohlig warmen Decke. Öffne die Tür meines mobilen Zuhauses, keltere heraus, stehe mit den Füßen im klammer Wiese und erspähe durch eine dunkle Engadiner Nacht. Ganz im Osten, ein leichtes Orange, der sich ankündigenden Sonnenaufgang.

 
 

Der Herbst klopf an die Tür des Sommers, noch öffnet ihm die Wärme Jahreszeit nicht, der Tag wird heiß und trocken. Doch morgens und abends, dort wo sich die Schatten in die Länge ziehen verbreitet der Duft des Herbstes bereits sein charakteristisch erdiges Aroma.

Ich bin in Scuol auf dem TCS Campingplatz direkt neben dem Start/Ziel Gelände des Nationalpark Bike Marathon im schweizerischen Engadin im Kanton Graubünden. Eine faszinierende Gegend. Hier treffen Österreich die Schweiz und Italien aufeinander. Auf kleinstem Raum bündeln sich große Namen wie Stiflserjoch, Ofenpass, Umrailpass, Livigno, St. Moritz, Reschensee, Drei - Länder – Enduro uvm… wie eben auch der Nationalpark Bike Marathon.

In mitten dieser Hochalpinen Landschaft findet ein MTB Marathon statt. Ein MTB Marathon den ich dieses Jahr zum ersten Mal unter die Stollen meiner Reifen nehme. Ein MTB Marathon von dem ich resümierend behaupten darf, dass es mein absoluter Favorit unter den großen Namen der Marathonszene ist. Einzig der Start um 7.00 Uhr morgens könnte etwas humaner entfallen. Das erklärt auch wieso ich bereits vor dem Sonnenaufgang wach war.

Wie oft macht es wohl die Mischung. Ein Potpourri aus perfekt ineinandergreifenden Nuancen. Die Organisation ob nun die Startnummernvergabe, das Startprozedere oder die Verpflegungsstellen, es fügt sich alles in ein vollendetes Gesamtbild. Die Schweizer haben auch Erfahrung. 2016 jährt sich die Veranstaltung zum 15. Mal und lockt erneut rund 2000 Teilnehmer bei bestem Sommerwetter ins Engadin. An den Start zum größten MTB Rennen im Mountainbike-Traumkanton Graubünden.

Für mich stand die Langstrecke auf dem Renntableu. Mit knapp 140km und über 4000Hm zerrt dieser „Hüne“ von Marathon an der Substanz seiner TeilnehmerInnen. Im Angebot stehen auch kürzere, aber nicht weniger attraktive Runden mit 47, 66, oder 103 km. Es ist wohl die Streckenführung durch eine faszinierende alpine Landschaft, die den Marathon letztlich zum Highlight meiner Bike Saison 2016 gemacht haben. Zwischenzeitlich stellte ich mir ab und an tatsächlich die Frage ob ich nicht etwa langsamer fahren sollte um mehr von dem einzigartigen Panorama genießen zu können.
Der Marathon führt durch den Nationalpark Engadin und somit durch gänzlich unbebautes Land. Keine Gondeln, keine Liftschneisen, keine Bettenburgen, selbst Almen und Kühe beschränken sich auf ein Minimum. Zumeist fahre ich auf einem Trail oder Forstweg durch unberührte Natur. Besonders das Hochtal das zwischen Fuldera und Livigno durchfahren wird mutet an wie eine Szene aus „Herr der Ringe“. Nur das die Hauptcharaktere hier mein Bike, Ich und als Star ein verspielter fast 10km an der Höhenlinie entlangführender Singletrail sind. Gänsehaut im Renntempo.

Der ambitionierte Rennfahrer, dem die Scheuklappen des Vorwärtsdrangs den Blick nach links und rechts verwehren, der sollte bei diesem Schmankerl-Marathon die ein – zwei Sekunden Zeiteinbuße riskieren. Im Nachhinein sind diese Momente, diese Bilder die freudig im Gedächtnis bleiben.

Zumindest während den ersten drei von meinen sechs Rennstunden hatte ich ab und an Muse für die bizarren Felskanten die über den einsamen Hochtälern thronen. Spätestens ab Livigno, dass bei Kilometer 80 passiert wird und als Ausgangpunkt für den Anstieg zum Chaschauna fungiert hatte ich aber größtenteils mit mir selbst zu kämpfen. Hier erfährt mein Köper die Grenzen des Mensch seines. Auf dem Weg vom Hochtal Livigno auf 1800 Meter hinauf zum Chaschauna Gipfel auf 2700 ist die Luft merklich dünn, Schatten finden nur Kleinstlebewesen unter Felsbrocken und um dem Sportler auch mental zu fordern sind die 8km Trail vom Anfang bis Ende einsehbar. Ein zermürbendes Gefühl, den Weg und das Ziel zu sehen, immer wissend welche Kraftprozedur einem noch bevorsteht.

Zusammenfassend ist der Nationalpark Bike Marathon ein gnadenloses Sinnens-Erlebnis. Nirgends sonst in den Alpen habe ich bisher die Dualität zwischen eiserner Härteprobe und anmutiger Schönheit intensiver erlebt.

Im Ziel, zurück im Wohnmobil auf dem TCS Campingplatz, der an diesem Wochenende von zahlreichen Mountainbiker frequentiert wird, stellt sich wohl auch deshalb eine behagliche Gemeinschaftlichkeit zwischen den Teilnehmern ein. Es wird über Aussichten und Einsichten diskutiert und das Erlebnis Nationalpark Bike Marathon zum sozialen Bindestück.
Häufiger sollten wir Menschen derart mit uns selbst in Kontakt treten wie es die meditative Erfahrung eines Mountainbike Marathon ermöglicht. Die Probleme der scheinbaren „Realität“ werden plötzlich sehr klein. Hier auf dem so angenehm daliegenden Campingplatz zwischen Pinnen, dem noch sehr wilden Inn und den Gipfeln des Engadins stellt sich ein kollektives Gefühl der Freude ein. Eine Energie die Gleichschwingend über all den erschöpften Körpern und zufriedenen Seelen liegt, behaglich und völlig friedlich.

www.bike-marathon.com

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