Ein richtig eingestelltes Fahrwerk bietet dir mehr Komfort, mehr Sicherheit und damit mehr Fahrspaß. Ich arbeite seit langem als Fahrwerksingenieur und gebe dir hier weitere Tipps für dein perfektes Fahrwerks-Set-Up an die Hand.
Tuning Guide Gesamtfahrwerk von Stefan Kecht - Anyrace Suspension
Stefan Knecht
Sogar ich brauche viel Muße und Konzentration, um mit den Klicks und Einstellmöglichkeiten das Maximum aus einem Bike herauszuholen. Ein unbedarfter Fahrer ist mit den ganzen Einstellmöglichkeiten und Wechselwirkungen überfordert. Du versuchst dein Bike ruhiger in die Luft zu bringen, und plötzlich rutscht dir dein Hinterrad in jeder Kurve weg? Im Tuning-Guide versuche ich, dir zu helfen, das Beste aus deinem Fahrrad herauszuholen.
Tipps
• Immer nur eine Änderung auf einmal durchführen: Die Grundregel, wenn du den Einfluss eines Verstellers erleben möchtest: Nimm dir die Zeit und ändere immer nur eine Einstellung auf einmal.
• Profitipp: Mach dir genaueste Aufzeichnung von Strecke, Wetter, Teilen, Fülldrücken, Federhärte, Klicks, Reifen usw. Außerdem solltest du dir exakte Notizen von deinen Fahreindrücken machen.
• Beim Abstimmen empfehle ich die iterative Abfolge: Federrate, Zugstufe, Druckstufe.
1. Sitzposition
Die Sitzposition ist Geschmackssache, du solltest dDich auf jeden Fall wohlfühlen. Wenn du dann in manchen Fahrsituationen merkst, dass du fast über den Lenker fliegst: Vorbau höher montieren, Lenker weiter nach hinten drehen.
Wenn du das Gefühl hast, von deinem Vorderrad „getrennt“ zu sein, und keinen Druck vorne aufbauen kannst: Vorbau tiefer montieren, Lenker weiter nach vorne drehen.
Zu keinem Zeitpunkt sollte dir der Sitz im Weg umgehen. Der Po muss sich weit nach hinten bewegen können, und man sollte niemals beim Absprung den Sattel berühren (sonst überholst du in der Luft sehr schnell dein Bike).
2. Grund-set-up
Es ist sinnvoll, mit den Herstellerempfehlungen zu beginnen. Wenn du während der Abstimmung sehr weit davon abweichst, ist es gut möglich, dass du dich auf dem Holzweg befindest. Falls du keine genaueren Informationen findest, empfehle ich folgende SAG-Werte:
• Downhill-Gabel: 25–30 % SAG, Downhill-Hinterbau: 30–40 % SAG (abhängig vom Rahmen)
• Enduro-Gabel: 20–25 % SAG, Enduro-Hinterbau: 25–35 % SAG (abhängig vom Rahmen)
Bei der Einstellung des Dämpfers empfiehlt es sich, die Internetseiten der Rahmen- oder Dämpferhersteller zu besuchen. Hier finden sich manchmal detaillierte Informationen über das empfohlene Setting.
Faustregel
Einstellung Negativfederweg (SAG):
Normalerweise findest du auf deiner Gabel/deinem Federbein im Tuning-Guide oder auf der Homepage des Herstellers eine Tabelle, nach der du den Fülldruck deines Federelements auf dein Gewicht abstimmen kannst. Bist du gerade in Wald und Flur unterwegs, kann dir unsere Faustregel zu einem angenehmen Set-up verhelfen. Merke: Zumindest deinen Federweg bzw. Hub solltest du aber wissen!
Auf das Bike setzen, Gabel/Federbein kräftig einfedern.
O-Ringe nach unten schieben. Nun locker in Fahrposition draufsetzen. O-Ring sollte bei der Federgabel auf einer Höhe von 25 bis 30 Prozent, der Hinterbau bei 30 bis 40 Prozent des Federwegs/Hubs sitzen.
Beispiel, Einsatzzweck Downhill: O-Ring sollte bei der Federgabel auf einer Höhe von 25 bis 30 Prozent, der Hinterbau bei 30 bis 40 Prozent des Federwegs/Hubs sitzen.
Weniger als etwa 25 Prozent vorne bzw. 30 Prozent hinten bedeutet: Luft raus. Mehr als etwa 30 Prozent vorne bzw. 40 Prozent hinten bedeutet: Luft rein.
3. FeinEinstellung Feder
Stellhebel
Federrate = Federhärte der Stahl-/Luftfeder:
• Erhöhung führt zu lebendigerem und härterem Fahrverhalten
• Erniedrigung korreliert direkt mit dem Fahrkomfort
• Achtung! Federenergie muss mit Zugstufe kontrolliert werden
• Körperposition ist wichtig für die Auswirkung
• Federrate Gabel anheben: Die Front wird etwas kicken beim
Abspringen eines Sprunges
• Federrate hinten anheben: beim Springen wird das Heck mehr kicken und das Bike verliert hinten eher Grip
Federvorspannung (Stahlfeder wird z. B. über Federteller vorgespannt):
• Legt nur den SAG fest und beeinflusst damit natürlich wieder die Körperposition
• Mehr Federvorspannung kann z. B. verwendet werden, um eine weichere Feder fahren zu können, ohne zu viel SAG zu haben
Luftfeder / Fülldruck:
Erhöht die Federrate, aber auch die Federkraft bei Federweg =
null Millimeter, sprich: Hiermit wird der SAG verstellt
Luftfeder / Volumenspacer:
Erhöht die Federrate und die Endprogression, hat wenig Einfluss auf den SAG
4. FeinEinstellung Dämpfer
Bei der Dämpfereinstellung muss man bei konventionellen Systemen einen geeigneten Kompromiss aus Rad und Aufbaudämpfung finden. Das Rad (ungefederte Masse) braucht nicht so viel Dämpfung für den besten Komfort und Grip, also geringste Schwingungen. Der Aufbau (gefederte Masse = Rahmen, Standrohre, Anbauteile + Fahrer!) will sehr viel Dämpfung für Sicherheit, Ruhe im Aufbau, Linientreue. Wenn dein Rad z. B. dem Untergrund nicht mehr folgen kann, ist es ein Zeichen dafür, dass es schon überdämpft ist.
Stellhebel am Dämpfer und ihre Auswirkungen:
Falls dein Fahrwerk keine „High Speed“-Verstellung bietet, ist das nicht zwangsläufig schlecht, im Gegenteil: Das kann sogar einige Performance-Vorteile bieten. In dem Fall wird die Dämpfung maßgeblich vom Ventilsystem und dem Shimstack bestimmt.
Stellhebel
Generell: Das Zug-Druck-Verhältnis muss passen, sonst entstehen Verhärtungseffekte bei wiederholten Anregungen. Ein Beispiel aus der Praxis: Der Fahrer wünscht sich mehr Komfort und dreht die Druckstufe vollständig auf. Durch die weite Spreizung der Zug- und Druckstufen-Dämpfung (Einstellung) verstimmst du das Zug-Druck-Verhältnis zu stark und das Fahrwerk verhärtet.
„Low Speed“-Zugstufe:
+ Trägheit des Bikes (zu Lasten der Agilität)
+ Laufruhe, Zielgenauigkeit in Anliegern
• Zu viel vorne: Grip vorne wird weniger
• Zu viel hinten: Grip hinten wird weniger
„High Speed“-Zugstufe:
+ Laufruhe
• Vorne erhöhen: Front kickt weniger beim Springen
• Hinten erhöhen: Heck kickt weniger beim Springen
„Low Speed“-Druckstufe:
+ Straffheit
Bei zu viel: Das Bike beginnt über Bremswellen zu hoppeln, wird agiler im Antritt, steht höher im Federweg und linientreu in Anliegern. Achtung!
Zu viel Druckstufe hinten spürt man auch oft vorne in den Händen.
„High Speed“-Druckstufe:
Sollte harte Landungen abfangen, unterstützt beim Springen
• Vorne erhöhen: Front steigt bei Kickern in der Luft
• Hinten erhöhen: Beim Springen wird das Heck mehr kicken
Jedes Shim wird beim Zusammenbau hundertprozentig kontrolliert.
5. Fehlerursachen
für typische Phänomene in der Praxis
Stefan Kecht im Interview
1. Bei starker Bremsverzögerung oder in Steilstufen bergab taucht die Front bzw. die Federgabel stark in den Federweg ab?
Zuerst würde ich versuchen, vorne die „Low Speed“-Druckstufe zu erhöhen, falls das der Komfort noch zulässt, ist es die beste Wahl. Ansonsten musst du die Federrate erhöhen.
2. Ich nutze in keiner Fahrsituation den gesamten Federweg aus?
Ich empfehle, die Federrate zu senken, das bringt meist auch weitere positive Effekte mit sich wie z. B. die Steigerung des Komforts, Laufruhe sowie mehr Fahrsicherheit.
3. Beim Absprung eines Sprunges kickt das Hinterrad nach und ein frontlastiges Fluggefühl tritt auf?
Zu wenig Zugstufe hinten bzw., wenn einstellbar, zu wenig „High Speed“-Zugstufe ist das häufigste Problem. Andere Einflussfaktoren wären die Erhöhung der Federrate vorne oder das Absenken der Federrate im Federbein. Eine dritte Möglichkeit ist, die „High Speed“-Druckstufe vorne zu erhöhen bzw. im Federbein zu reduzieren.
Beim Interview in den Münchner Räumlichkeiten von Anyrace
4. In Bremswellen oder auf Wurzelfeldern fühlt es sich an, als würde sich das Fahrwerk verhärten, und wird dadurch unkomfortabel?
Oft tritt das Problem an der Federgabel auf. Versuche hier zuerst, die „Low Speed“-Druckstufe zu erhöhen. Oft führt es dazu, dass du die Federrate absenken kannst – auch das hilft. Falls es keine Verbesserung bringt, kann auch das Erhöhen der „High Speed“-Druckstufe weitere Verbesserung mit sich bringen. Im Spezialfall, falls du eine Federgabel mit einer Motion Control Dämpfung fährst, hilft es nicht, die Druckstufe zu erhöhen, sondern die Druckstufe offen zu fahren.
5. Nach kurzer Fahrzeit auf rauen Trails schmerzen die Arme bzw. Hände?
Das ist ein sehr häufig gehörtes Problem, sehr oft sind die Reibungen der Gabeln zu hoch. Da hilft ein Service mit leicht laufenden Dichtungen und hochwertigen Ölen, weil die Reibung sehr stark mit dem Komfortverhalten übereinstimmt.
Oft wird in diesem Fall auch die Druckstufe immer weiter geöffnet, um Komfort zu erreichen. Das fühlt sich auch tatsächlich weicher an, z. B. im Parkplatz-Test, ist aber z. B. bei wiederholten Anregungen oft unkomfortabel, da das Federelement dann zum „Verhärten“ neigt. Das entsteht aus einer Disbalance zwischen Zug- und Druckstufe. Dann hilft es, die Druckstufe wieder zu erhöhen wie bei der vorherigen Frage. Natürlich hängt das auch stark vom Dämpfungssystem ab. Z. B. gebe ich beim Golden Ride eine Garantie, dass keine Schmerzen im Hand-Arm-System mehr auftreten!
Tipp: Ab und an das Bike über Kopf stellen, damit sich das Schmieröl wieder besser im gesamten System verteilt und so für optimale Gleitfähigkeit sorgt.