Kolumne: Der Zurückgelassene

Text Lucas Arnhold Bild Andreas Meyer
Meinung

Der Zurückgelassene

Die Tage werden so langsam länger. Weißes Katastrophenpulver, besser bekannt als Schnee, taut endlich. Vielerorts blühen sogar schon die Frühblüher. Auch meine Freundin, die Sonne, nimmt endlich ihre Arbeit wieder auf. Der Startschuss für die neue Saison ist gefallen. Während einige im Flieger gen Süden oder im Auto Richtung Gardasee sitzen, feilen die Zurückgelassenen an ihren Schätzchen. Auch ich bin einer von ihnen.

Aus der Ausgabe 05.16

 
 

Bereits vom Bett aus blicke ich jeden Morgen und Abend auf mein XC-Bike. Von dem einstigen Serienbike ist kaum etwas übriggeblieben. Laufräder, Griffe, Sattel und Stütze sind allesamt schicker und leichter. Nun liege ich so da, mein Rad über mir, gewienert bis ins Letzte, und überlege mir: Was gibt es dieses Jahr Neues? Mit welchem Teil mach ich die neidisch, die unterwegs sind? Und da fällt es mir ins Auge: eine Dreifach-Kurbel mit 10-fach-Schaltwerk. Wie konnte ich die in den letzten Jahren nur übersehen? Ich bin schockiert. Absolut nicht zeitgemäß und viel zu schwer. Möchte ich weiterhin im Retrostyle durch die Wälder fahren? Mmmh – nein. Zum Schluss verhaftet mich noch die Stylepolizei auf dem nächsten Rennen.
Der Plan steht. Also ab an den Rechner und das beste Angebot mit dem geringsten Gewicht rausgesucht. Ich gerate regelrecht in einen Kaufrausch. Bis ich zum Schluss vor meiner Bestellung sitze. Eine Frage ist jedoch noch offen, welche Übersetzung wird es? 1 x 11 ist klar, alles andere sieht die Stylepolizei ungern. Nur welches Ritzel? Kettenblatt oval oder rund, 30, 32, oder doch die Pizzascheibe mit 34 Zähnen? Fragen über Fragen und nur so wenig Zeit. Schlussendlich entscheide ich mich für die sportliche Variante. Die große Kassette und selbstverständlich mit einem direktmontierten ovalen 32er Kettenblattblatt. Dazu Schaltwerk, Hebel, Kurbel – fertig! Es ist fast wie Weihnachten und Geburtstag zusammen, als die Pakete endlich ankommen. Im Rausch der Gefühle gehen mein Liebling und ich in den Keller zur Beautykur. Anschließend kommt der Moment, auf den ich so lange gewartet habe. Der Gang zur Waage. And the biggest loser is ... mein Rad! Ganze 500 Gramm habe ich gespart. Diese Freude teilen allerdings nicht alle mit mir. Viele kommen mit dem Spruch: „Geh vorher auf die Toilette, da sparst du genauso viel und das ist völlig kostenlos.“ Für die braun gebrannten Rückkehrer bin ich selbstverständlich der Held der Daheimgebliebenen. Die Beautykur meines Babys hat mich pro Gramm ca. 1 Euro gekostet. Dafür hätte ich wahrscheinlich auch mit verreisen können. War es das wert? Sicher. Werde ich dem Tuningwahn nächstes Jahr wieder verfallen? Vermutlich!

nach oben