Sieben bis acht Downhillrennen an einem Wochenende, nur ohne Lift und Doppelbrücken Gabel – das in etwa sind die Enduro World Series. Viele Profis sind sich darüber einig, dass sie die härteste Disziplin im Mountainbike Sport sind. Was man leicht vergisst, wenn man die Berichterstattung über die Top Fahrer und Fahrerinnen mit ihren Teams, Trainern und Trucks verfolgt: Die Mehrheit sind sogenannte „Privateers“, also Menschen, die sich mit Ausnahme von Material Sponsoring alles selbst organisieren und damit den „Spirit of Enduro“ lebendig halten. Eine von ihnen ist Tanja Naber. Neben einem Vollzeitjob als Ingenieurin nimmt sie 2019 an allen europäischen EWS Rennen teil. Sie beweist: Fehlender Team Support lässt sich ausgleichen – und zwar mit überbordender Leidenschaft.
Mit Leidenschaft bei den Enduro World Series
Bild Thomas Rychly
Hannah Röther: Liebe Tanja, du fährst in deiner Freizeit Rennen, die von Voll Profis als die „härteste Disziplin ever“ bezeichnet werden. Warum?
Tanja Naber: Ins Rennenfahren bin ich eher reingerutscht. Irgendwann hat es mich einfach interessiert – wie gut oder schnell ist man eigentlich, so im Vergleich zu anderen? Und dann habe ich ziemlich schnell Blut geleckt. Mich treibt dieses gute Gefühl an, wenn man was dazu gelernt hat. Wenn du immer ein bisschen dazu lernst, dann kommst du in den Flow des Lernens rein. Und beim Rennenfahren eben auch.
Hannah Röther: Wie bereitest du dich auf die Rennen vor?
Tanja Naber: Das war jetzt die zweite Vorsaison, in der ich wirklich trainiere – also mit Traningsplan. Das habe ich mir alles aus Büchern und Interviews zusammengesucht, über Social Media kriegt man auch sehr viel mit von dem, was die Pro's halt so machen.
Hannah Röther: Wie viele Stunden pro Woche trainierst du?
Tanja Naber: Wirklich effektives Training mache ich bis zu 15 Stunden in der Woche. Ich habe mein Arbeitspensum vor Kurzem auf 90 Prozent reduziert, das ist etwas entspannter. Mit ein paar Überstunden bin ich dann aber doch wieder bei 40 Stunden, und dann wird’s echt kritisch: Heimkommen, Trainingsklamotten an und los geht’s. Bestenfalls steht Biken auf dem Plan, das ist dann eh cool, vor allem im Sommer, aber im Winter musst du halt dann bei Nacht raus.
Hannah Röther: Wie ist die Stimmung unter den Fahrerinnen bei den EWS Rennen?
Tanja Naber: Eigentlich immer ziemlich locker, das hätte ich mir nie so vorgestellt. Solange die Transferzeiten nicht super eng sind, wird sich rege unterhalten. Man lernt neue Leute kennen, man freut sich, die Bekannten zu treffen – das ist alles ziemlich freundschaftlich.
Hannah Röther: Fährst du immer alles oder gibt es Stellen, die dich an deine Grenzen bringen?
Tanja Naber: Es gibt pro Rennen so ein, zwei Stellen, die ich nur fahre, wenn ich im Rennen gut drauf bin. Extrem riskante Linien oder Drops, mit denen man eine Sekunde rausholt, lasse ich manchmal weg – das ist es mich nicht wert, dass ich stürze. Auf Madeira musste ich auch mal absteigen und eine Spitzkehre mit Absatz runterklettern.
Hannah Röther: Letztes Jahr hattest du gleich mit zwei Verletzungen zu kämpfen. Was war passiert?
Tanja Naber: Bei der EWS in Olargues bin ich vorne über den Lenker gegangen, im Steinfeld gelandet und habe mir zwei Wirbel gebrochen – das war aber relativ glimpflich, es waren nur die seitlichen Wirbelfortsätze. Ich bin damals sogar das Rennen noch fertig gefahren. Beim Hochfahren hab ich schon gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt, bin die letzte Stage aber noch gefahren, einfach aus „keinen Bock aufzugeben!“ Fünfeinhalb Wochen später habe ich mich dann direkt wieder abgelegt: Auf der Heimstrecke habe ich mir den Beckenkamm gebrochen. Das war aber wieder relativ glimpflich; ich hab erst gar nicht gedacht, dass was gebrochen ist. Nach einer Woche bin ich zum Orthopäden, aber der hat gemeint, das ist schon fast wieder zusammengewachsen. Nur musste ich dann noch mal sechs Wochen Pause machen.
Hannah Röther: Wie gehst du mit solchen Pausen um?
Tanja Naber: Das waren die ersten Male, dass ich wirklich verletzt war! Nach ein, zwei Wochen hat mich das schon zermürbt... Es war Sommer, ich wollte raus, und dann habe ich halt das gemacht, was ging: Ich habe mich aufs Mountainbike gesetzt und bin auf der Straße Touren gefahren, 70, 80 Kilometer irgendwo in der Pampa. Einfach nur, um draußen zu sein und zu schwitzen.
"Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass mir die Arbeit die Zeit für´s Biken raubt. Ich würde aber auch nie nur biken wollen."Tanja Naber
Bild David Schultheiß
Hannah Röther: Was würdest du tun, wenn du nicht mehr mountainbiken könntest – hast du einen Plan B?
Tanja Naber: Hm, durch die Verletzungen ist mir relativ klar geworden, dass ich wenig sonstige Hobbys habe. Ich geh schlafen, ich geh arbeiten, und ich geh mountainbiken. Ich fahr seit zwei bis drei Jahren eigentlich fast kein Ski mehr, weil die Winter eh kacke sind. Sich ständig mit Lawinen auseinandersetzen ist auch anstrengend und zeitfressend, da muss man mehr lesen, als dass man draußen ist. So wirklich einen Plan B gibt’s nicht.
Hannah Röther: Rennenfahren und Vollzeit Job – wie bekommst du das alles unter einen Hut? Gerätst du nie in Stress?
Tanja Naber: Die Arbeit und der Freizeitsport schaukeln sich für mich gegenseitig auf. Je mehr ich im Büro arbeite, desto mehr habe ich Bock auf Biken. Es ist doch so: Du radelst heim, da fährt der Kopf schon ein bisschen runter, und dann setzt du dich aufs Bike und spätestens dann ist der Kopf leer vom Job. Das ergänzt sich einfach gut. Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass mir die Arbeit die Zeit fürs Biken raubt, ich würde aber auch nie nur biken wollen. Ich habe das ja mal getestet, in Finale acht Wochen als Guide, da habe ich schon festgestellt: Ständig biken zu müssen, das kann ich nicht. Ich glaube, man braucht auch dieses andere Thema im Leben.
Hannah Röther: Welche Unterstützung bekommst du von deinen Sponsoren?
Tanja Naber: Mein Bike kommt aus Kalifornien: Seit 2017 unterstützt mich Juliana, ich fahre das Roubion. Bremsen und Fahrwerk sind aus der Region: von Trickstuff und Intend, die ja beide wie ich „Freiburger“ sind – so bekomme ich nicht nur das Material, sondern Expertenwissen und lustigen Tech Talk noch gratis dazu. Die Jungs und Mädels von Juliana sehe ich dafür auf Events wie zum Beispiel den Bike Women Camps, bei denen ich als Guide aushelfe. Dort bekommt man dann noch neue Bekannte wie Anka Martin, Steve Peat und viele mehr!
Hannah Röther: Angenommen, jemand bietet dir einen kompletten TeamSupport an – nimmst du an?
Tanja Naber: Ja, das würde mich schon reizen – aber nur, wenn das Umfeld passt. Ein Juliana Pro Team wäre cool! Aber eigentlich finde ich es als „Privateer“ schon ganz gut. Wenn man den kompletten Team Support hinter sich hat, macht man sich nur noch mehr Druck. Meine Sponsoren sagen „Hey, mach worauf du Bock hast und verletz dich nicht“ – und trotzdem, so ein bisschen Stress macht man sich schon.
Hannah Röther: Wo kann man dich in dieser Saison treffen?
Tanja Naber: Als Guide bei den Women Bike Camps, da kann man dann auch Juliana Bikes testfahren. Von der EWS fahre ich die europäischen Stopps mit, dann die Transprovence und einzelne Rennen der Trailtrophy und der neuen Alpine Enduro Serie. Und unter der Woche bin ich meistens in Freiburg. Und vielleicht mache ich, wenn noch irgendwie Zeit dafür ist, auch noch ein bisschen Urlaub.
Hannah Röther: Wie – ist ein EWS Rennen etwa kein Urlaub?
Tanja Naber: Najaaaaa.... ich weiß nicht, was Urlaub ist (lacht). Also Urlaub ist für mich, wenn man nicht in der Arbeit ist. Wenn man nicht was machen muss, weil man Geld dafür bekommt. Und weil ich das aus eigener Motivation mache, ist das schon Urlaub, doch.
Hannah Röther: Aber kein Strandurlaub?
Tanja Naber: Nein. Ich wüsste auch gar nicht, was man da macht. Was macht man denn, wenn man nichts macht? Mein letztes Buch liegt immer noch daheim neben dem Bett. Biken ist schon das beste Urlaubserlebnis für mich.