Sram EX1 im Detail

Text Christian Ettl Bild Andreas Meyer
Material

Einfach logisch - Die Entwicklung der Sram EX1 Schaltgruppe

Es ist noch gar nicht so lange her. Christoph und ich kamen freudestrahlend und grinsend mit E-MTBs um die Ecke geschossen. Die Kollegen beäugten uns skeptisch, bis sie es schließlich selbst versuchten, und auch sie hatten ein dickes Grinsen im Gesicht. Und das, obwohl alle bekannten Argumente gegen die neue Mountainbike-Klasse von ihnen ins Feld geführt worden waren. Inzwischen befindet sich die Szene im Wandel. E-MTB wurde von der Branche zum Trend gekürt und jeder, der es ausprobiert, hat sofort Spaß daran.

Aus der Ausgabe 12.16

 
 

Überforderte Schaltgruppen
Was bei unserem ersten Test, vor rund drei Jahren, schon klar wurde und noch heute teils problematisch ist, ist die Kombination von Komponenten aus dem „normalen“ Bike mit den starken Mittelmotoren. Wir hatten unter anderem gerissene Ketten und defekte Freiläufe zu beklagen. Die Schaltvorgänge fanden zwar statt, aber das Knallen, mit dem die Kette die Gänge unter Last wechselte, machte selbst den technisch unbegabtesten Testern sofort klar, dass der Motor die Antriebskomponenten gerade ans absolute Limit bringt. Das spiegelt sich dann auch beim Verschleiß wider. Beim elektrisch unterstützten Geländerad kommen im Regelfall dieselben Komponenten zum Einsatz, die für unmotorisierte Räder entwickelt wurden. Bei vielen Teilen ist das nicht optimal, das höhere Fahrzeuggewicht und höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten stellen zum Beispiel für Reifen und Bremsen ein Problem dar. Am heftigsten trifft es aber die besagte Schaltgruppe, hier greift die zusätzliche Power des Elektromotors direkt an.
Nach dem klassischen E-Bike wird inzwischen auch das E-MTB zunehmend ernst genommen. Die Geometrie, die Kinematik und auch die Komponenten werden spezifisch für die neue Klasse entwickelt. Die Antriebsleistung, normal in einer sinusförmigen Kurve abgegeben, wirkt jetzt praktisch konstant, linear und mit mehr Kraft auf Kette, Antriebsritzel und Casette. Sram hat sich des Themas Antrieb als erste Firma angenommen.

Das Lastenheft der EX1 Entwicklung
Die Lasten auf dem Antrieb sind höher. Dabei verkraftet es eine konventionelle Paarung von Ritzel und Casette einigermaßen gut, wenn einfach gefahren wird. Das Schalten unter Volllast funktioniert, nur fühlt und hört es sich nicht gesund an. Es gibt häufiger Defekte und der Verschleiß ist hoch. Weiterhin schalten fast alle Nutzer mehrere Gänge auf einmal. Das resultiert aus der zusätzlichen Power, die feine Abstufungen überflüssig macht. Somit entschied man sich dazu, größere Gangsprünge zu wählen und die Zahl der Gänge zu reduzieren. Nach viel Herumprobieren hat sich in der Praxis ein Gangsprung von rund 30 Prozent als optimal herauskristallisiert, bei einer konventionellen Schaltung sind es übrigens um die 13 Prozent. Weiterhin ist auch für die meisten Motoren ein Gangsprung von rund 30 Prozent optimal, das entspricht ihrem „Wohlfühlbereich“. Das größte Ritzel musste größer sein als bei einer 1x11-Schaltung. Mit modernen E-MTBs, zum Beispiel mit Plusbereifung, fährt man auch über einen längeren Zeitraum so steile und ausgesetzte Trails bergauf, dass man sich für ein 48 Zähne-Ritzel entschied. Das kleinste Ritzel hat elf Zähne und es stehen acht Gänge zur Verfügung. Es ergibt sich eine Übersetzungsbandbreite von 436 Prozent. Durch die fehlende Notwendigkeit eines 10er Ritzels, wie bei den 11-fach- und 12-fach-Schaltungen, ist kein XD-Driver mehr notwendig. Mit einem Spacer versehen, passt die Casette auf konventionelle Freiläufe. Sie ist durch die Zahl der Gänge schmäler, was für den Schräglauf der Kette gut ist, der sich deutlich reduziert. Über eine spezifische Nabe denkt man bereits nach. Überhaupt war die Casette am aufwendigsten zu optimieren. Das Ergebnis kann sich aber auch sehen lassen. Sie wiegt trotz ihrer Größe nur etwa so viel wie eine XO1 Casette. Im Fahrbetrieb wird es spürbar: Die Kette wechselt nicht mehr mit einem lauten „klonk“ auf die schwereren Gänge. Das Schalten fühlt sich fast ein bisschen „stufenlos“ an. Das funktioniert dank einer größeren Zahl möglicher Schaltgassen auf der Casette. Die Kette liegt stabiler während des Schaltvorgangs auf den Ritzeln, statt „von Gang zu Gang zu springen“. Schnelleres Schalten wird möglich. Der Preis der Casette ist hoch. Es ist angedacht, die kleinen Ritzel als einzelne Ersatzteile anzubieten, denn die werden am meisten in der Praxis genutzt.

"E-MTB ist eine Demokratisierung des Mountainbikens, jeder kann Spaß haben ...“"

Kein mühsemes Vermessen von Hand, sondern optische 3D Vermessung. Die erlaubt präzise Kontrolle von Bauteilen mit dem CAD-Modell, aber auch das Erkennen von Verschleißstellen bei getesteten Produkten.

Was nicht passt, wird passend gemacht
Die größeren Gangsprünge reduzieren Schaltvorgänge und damit den Verschleiß. Neben der Haltbarkeit erweist die Casette dem Kunden noch einen weiteren Dienst. Nicht nur, dass er sich an einer hohen Übersetzungsbandbreite erfreuen darf, die optimierte Übersetzung und die passenden Gangsprünge sollen auch mehr Höhenmeter erlauben. Das darf man glauben, schließlich waren Bosch und Brose in die Entwicklung der Schaltgruppe involviert. Zu der Casette gehört natürlich auch eine Kette. Diese entspricht in ihrer Geometrie einer 10fach-Kette. Jedoch sind die inneren Laschen, zugunsten geschmeidiger Schaltvorgänge, anders geformt, und die Oberflächen sind deutlich härter. Das Schaltwerk selbst weist die Merkmale anderer, hochwertiger Sram Schaltwerke auf. Die Schaltvorgänge erfolgen unter höherer Last und bei geringerer Drehzahl, darauf ist es ausgelegt. Der Offset für das Schaltröllchen ist größer, zur Einstellung wird eine Lehre mitgeliefert. Der Trigger ähnelt optisch den bekannten Modellen, etwa dem der GX. Er schaltet aber nur einen Gang auf einmal. Bei zwei Gängen pro Schaltvorgang wäre das schon ein Gangsprung von rund 60 Prozent, dies wird so verhindert. Der Hebelweg ist etwas länger, hierfür wird aber rund 25 Prozent weniger Fingerkraft benötigt. Neben Kurbelarmen für Bosch und Brose in verschiedenen Längen werden auch die passenden Ritzel angeboten. Die richtige Oberflächenhärte stand dabei im Fokus. Zu hart killt sehr schnell alle Ketten, zu weich ist schnell durch. Die Kettenblätter bzw. Motorritzel sollen mit allen 10- und 11-fach-Ketten funktionieren und dank sogenanntem X-Sync Profil die Kette besonders gut führen. Es gibt sie auch als Nachrüst- oder Ersatzteil im Handel.

In diesem Prüfstand werden bei zwei Schaltwerken gleichzeitig die Roller Bearing Clutch malträtiert.

Etwas weniger sorgsam wird mit den Testbikes umgegangen, da die Schaltung auch auf dem Trail halten muss, was sie im Labor verspricht.

Der Markt überholt die Gesetzgebung
Ein großer Teil der Anforderungen an das Produkt können durch Gespräche zwischen Ingenieuren und Kunden geklärt werden. Auch über eine elektronische Schaltung wurde nachgedacht. Man entschloss sich aber, hierbei die Dinge anzupacken, die nicht perfekt waren, und das waren rein mechanische Probleme bei den Bauteilen, nicht die Betätigung. Auch wäre eine elektrische Lösung in der Funktion kaum besser, aber deutlich teurer. Die EX1 wird wohl primär von Herstellern an den Neurädern verbaut werden. Sram bietet sie auch den Aftermarket Kunden an, die sollten sich aber vom Bikehersteller eine Freigabe aussprechen lassen. Eine klare Regelung dazu gibt es nämlich noch nicht. So, wie es auch noch keine klaren Prüfstandards für E-Bikes gibt. Dafür hat sich diese Sparte in den letzten Jahren einfach zu schnell entwickelt. In Europa ist das E-Bike bereits voll angekommen. Mit Spannung wird die Entwicklung in den USA erwartet.

Länder und Gebiete übergreifende Teamarbeit
Um schließlich ein gutes Produkt in der Serie umsetzen zu können, korrespondiert das Entwicklungsteam in Deutschland ständig mit dem Team in Asien. Die Kollegen dort prüfen die Ideen auf ihre Umsetzbarkeit in der Masse. Das Designteam besteht aus rund 40 Menschen, diese arbeiten in Schweinfurt, den USA und Taichung. Sie stellen auch sicher, dass die Erzeugnisse in Sachen Schadstoffbelastung den Vorgaben entsprechen. Diese sind in Europa strenger als zum Beispiel in den USA und bei einem Kinderrad strenger als bei einem Erwachsenenrad. Auch müssen für eine Produktgruppe bis zu hundert verschiedene Oberflächen eine Freigabe erhalten. Das Team hat nicht einfach nur Bauteile anderer Gruppen genutzt. Die Optik sollte technisch sein, dynamisch und trotzdem sachlich. Bei der ersten Schaltgruppe für motorisierte Fahrräder liegt eine Orientierung an der Automobilindustrie nahe. Das wird klar, wenn man das Logo der EX1 Gruppe näher betrachtet. So kann das E durchaus als liegender On/Off-Button interpretiert werden. Sehr passend für E-Bikes, grafisch und inhaltlich. Auch bei anderen Elementen folgt die Form der Funktion. So sind zum Beispiel die Stege des größten Ritzels geformt wie die einer Bremsscheibe: optimaler Kraftfluss bei möglichst wenig Materialeinsatz.

Made in Germany
Auch wenn die Fertigung der Serie nicht hier erfolgt, ist die Gruppe doch ein Schweinfurter Produkt. 185 Leute arbeiten am Standort. Davon 120 im Ingenieurs- bzw. Entwicklungsteam. Der Altersdurchschnitt liegt bei 42 Jahren. In den Großraumbüros mit zahlreichen Besprechungsräumen sitzen Mitarbeiter mit viel Erfahrung und auch solche, die direkt von der Uni kommen, alle sind sie begeisterte Radfahrer. Ihren Entwicklungen entsprechend fertigt der Musterbau die Prototypen. Hier wird nicht mit höchster Geschwindigkeit, sondern mit höchster Präzision gearbeitet. Sichergestellt wird das durch eigene Messfachleute. Durch eine optische Vermessung kann zum Beispiel schon ab dem ersten Teil ein „Soll-Ist-Vergleich“ durchgeführt werden. Wenn alles so ist, wie gewünscht, müssen die neuen Parts an einem Messrad zeigen, was sie können. Zur mobilen Messdatenerfassung läuft das Rad dann nicht nur in Franken. So musste die EX1 auch an den steilen und langen Anstiegen rund um Oberstdorf im Allgäu zeigen, was sie kann. Die Auswertung zeigt dann, welche Anforderungen gegeben sind, was der Motor macht, was der Antrieb leisten kann und muss. Parameter wie die Haltbarkeit werden auf selbst entwickelten Prüfständen gecheckt. Eine High-Speed-Kamera zeigt exakt, was bei Schaltvorgängen passiert, und der Prüfstand „Death Star“ foltert die Teile bis zum bitteren Ende.

"Wir haben bei der EX1 Entwicklung viel gelernt, was sich auf die normale Schaltung übertragen lässt"

Was noch?
Die Schaltung fürs E-Bike ist der logische Schritt gewesen. Auch gibt es von Sram, mit der Guide RE, eine passende Bremse für die besonderen Ansprüche eines E-MTBs. Es wird aber schon an weiteren Innovationen getüftelt. Ein spezifisches Fahrwerk würde Sinn machen. Vielleicht sogar elektronisch, Strom wäre ja schon mit an Bord.

Eine der zahlreichen Highspeed Kameras, die das exakte Beobachten von Schaltvorgängen erst ermöglicht.

nach oben