Im Freundes- und Bekanntenkreis werde ich häufig um Rat gefragt, wenn der Kauf eines neuen Bikes oder auch von Komponenten fürs Rad ansteht. Ob wir das schon getestet haben, ob Alu oder doch lieber Carbon, welcher Federweg Sinn macht, welche Laufradgröße und wie viele Gänge die Schaltung haben muss, sind immer wieder Thema. In manchen Fällen geht es bis zur Gummimischung der Reifen, und selbst der Lenkwinkel wird bis auf ein halbes Grad genau ausdiskutiert. Klar, es ist sinnvoll sich mit all diesen Parametern auseinander zu setzen. Was ich aber oft vermisse, ist die Frage danach, ob das Endprodukt dann auch zum Körper des Fahrers passt. Ich will daher das Thema Ergonomie näher beleuchten und vor allem den Schnittstellen zwischen Fahrer und Fahrzeug etwas mehr Aufmerksamkeit schenken.
University Ergonomie - Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine
Was braucht wer?
Jeder Fahrer stuft sich vom Fahrkönnen her irgendwo ein, ist ambitioniert oder eher nicht. So wählt der eine ein langhubiges Enduro-Bike, um dann damit Strecken zu fahren, für die das Rad „overdosed“ ist, weil die Radgattung gerade „in“ ist. Andere holpern auf einem Hardtail durch ruppiges Gelände, weil sie denken, Fullys wären noch immer so unzuverlässig und kraftraubend wie die Modelle der ersten Jahre. Da hat jeder die freie Wahl und kann sich beim guten Händler oder evtl. auch der kompetenten Versender-Hotline beraten lassen. Was leider oft zu kurz kommt, nicht nur beim Internetkauf, ist die Anpassung des Rades an den Fahrer. Liegen gesundheitliche Einschränkungen vor? Ist das Verhältnis von Körperlänge zu Schrittlänge untypisch? Passt die Einstellbarkeit der Hebelweite der Bremse zur Größe der Hand? Jeder Mensch ist anders. Trotzdem bekommen verschiedene Körper mit gleicher Größe meist dasselbe Rad, wenn sie die gleichen Anforderungen benennen. Hier ist Raum für Verbesserungen.
Was meint Ergonomie?
Der Begriff geht auf das Altgriechische zurück und ist zusammengesetzt aus „ergon“ für Arbeit und „nomos“ für Regel/Gesetz. Wissenschaftlich betrachtet möchte die Ergonomie eine Situation schaffen, in der ein Mensch besonders effizient arbeiten kann. Dazu gehört, dass der Mensch weder geschädigt wird noch frühzeitig ermüdet. Die gewonnenen Erkenntnisse führen zum Beispiel zu verbesserten Werkzeugen oder Schreibtischstühlen. Auch beim Biken leistet der Mensch etwas; er verrichtet Arbeit, erbringt eine Leistung. So ist eine physiologische Anpassung des Arbeitsgeräts logisch.
Das heißt: Ein optimal angepasstes Rad sorgt für mehr Leistung, spätere Ermüdung und somit einfach mehr Spaß beim Biken. Auch reduziert es erheblich die Wahrscheinlichkeit von Folgeschäden, zum Beispiel Rückenproblemen, einschlafenden Händen usw.
Wo anfangen?
Wenn das Rad nicht zu einem passt, ist ein Neukauf unausweichlich. Ein zu großer oder zu kleiner Rahmen lässt sich schwer kompensieren. Doch auch, wenn das Bike sich gut anfühlt, kann ich nur empfehlen, sich die drei wichtigen Kontaktpunkte genau anzusehen. Diese sind: Cockpit (Griffe, Lenker, Vorbau), der Sitzbereich (Sattel und Sattelstütze) und der Antrieb (Pedale und Kurbel).
1- Das Cockpit
In den letzten Jahren war der Trend ganz klar: Der Lenker sollte möglichst breit sein und die Front tief. Das ist nicht uneingeschränkt sinnvoll. Als Faustregel gilt: Der Lenker sollte so tief stehen, dass immer genug Druck auf dem Vorderrad gewährleistet ist, zum Beispiel beim Klettern. Er sollte aber noch so hoch sein, dass in steileren Abfahrten nicht sofort Überschlagsgefühle aufkommen. Die Höhe des Griffbereichs lässt sich über drei Parameter regulieren: die Zahl der Spacer zwischen Steuersatz und Vorbau, den Winkel des Vorbaus und die (nach oben gerichtete) Kröpfung des Lenkers, genannt Rise.
Es ist theoretisch jede Kombination aus Lenker und Vorbau möglich. Bewährt haben sich eher schmalere Lenker um die 680 Millimeter mit Vorbauten zwischen 70 und 100 Millimetern für Einsätze im Marathon und CrossCountry. Hier geht es um jede Sekunde bergauf, da darf die Front auch gern etwas tiefer stehen. Für Trailrider und Enduristi empfehle ich Lenker zwischen 760 und 780 Millimetern mit Vorbauten von 50 Millimetern oder kürzer. Je nach persönlicher Ausrichtung platzieren sich Tourenfahrer dazwischen.
Ich rate von der Paarung „kurzer Vorbau und schmaler Lenker“ bzw. „langer Vorbau und breiter Lenker“ ab. Ersteres macht die Lenkung sehr nervös, zweites sehr träge. Moderne Rahmengeometrien haben zunehmend längere Fronten und erfordern den Einsatz eines tendenziell kurzen Vorbaus.
Die Breite des Lenkers habe ich ja schon angeschnitten. Wer noch eins der Modelle deutlich unter 70 Zentimetern an seinem Schätzchen fährt, sollte dringend etwas Breiteres probieren. Das spürbare Plus an Kontrolle ist diese Investition sicher Wert. So verläuft die Abfahrt entspannter und man kann bei verschiedenen Fahrmanövern oder im Wiegetritt leichter Druck aufbauen; das spart Kräfte. Natürlich gilt hier aber nicht, dass breiter immer besser ist. Eine Person mit 160 Zentimetern Körpergröße und schmalen Schultern wird mit einem 780er Lenker genauso wenig glücklich werden wie jemand, der viel auf sehr engen, verwinkelten Trails unterwegs ist.
Neben der Breite und Höhe der Lenkstange will der Winkel, mit dem die Lenkerenden sich von ihrer Mitte nach hinten biegen, beachtet werden. Etabliert ist ein Winkel um die acht Grad. Es gibt ausgefallene Modelle mit bis zu 16 Grad Backsweep. Wir haben im Selbstversuch eine besonders bequeme Haltung der Hand erfahren, fühlten uns aber in unserer Fahrweise im ruppigen Gelände etwas eingeschränkt. Wer sich hier unsicher ist, sollte Folgendes beachten: Ausgangsbasis sollte ein Backsweep um die acht Grad sein. Mehr als zehn sind gewöhnungsbedürftig, weniger als sechs Grad sind einfach unangenehm. Je breiter der Lenker, umso stärker der Backsweep. Das kann man sich leicht verständlich machen: Einfach einen Besenstiel mit beiden Händen mittig umfassen und ihn waagerecht, mit ausgestreckten Armen, vor sich halten, als wäre es ein Lenker. Je mittiger man greift, umso gerader stehen die Handgelenke; je weiter man den Abstand zwischen den Händen wählt, umso mehr muss man sie abknicken. Für eine natürliche Stellung müsste man den Besenstiel/Lenker biegen, daher der Backsweep.
Die zweite Biegung des Lenkers nennt sich Upsweep bzw. Tip. Das ist der Winkel nach oben. Er liegt meist bei ca. fünf Grad. Das bringt die Ellenbogen etwas mehr nach außen und gibt eine sportlichere, reaktionsfreudigere Armhaltung vor, die Fahrt wird stabiler. Hier macht alles außerhalb von vier bis sieben Grad kaum Sinn.
Es ist übrigens nicht immer das steifste Produkt, welches die größte Freude bereitet. Ein etwas flexiblerer Lenker kann den Komfort erhöhen.
Eine häufige Problemzone sind schmerzende Hände. Wenn der richtige Lenker bereits montiert ist und nicht zu viel Druck auf den Armen lastet, sollte man sich die Griffe genauer ansehen. Hier sind es vier Kriterien, die über Freud und Leid entscheiden: Breite, Dicke, Material, und Formgebung. Breite und Dicke sind schnell bestimmt: Der Griff sollte so breit sein, dass die Hand keinesfalls auf dessen Rand oder den Klemmringen aufliegt. Zwei bis drei Zentimeter freie Grifffläche ermöglichen einen Wechsel der Handposition. Der Durchmesser sollte ebenfalls zur Hand passen. Ein zu dicker Griff macht es unmöglich, die Hand weit genug zu schließen und es droht schlimmstenfalls der Kontrollverlust. Ein zu dünner Griff zwingt die Hand ebenfalls in eine unnatürliche Haltung, so dass das Halten des Lenkers sehr viel Kraft erfordert. Es kommen viele unterschiedliche Materialien zum Einsatz. Obwohl die Gummis sich auf den ersten Blick sehr ähneln, haben sie doch unterschiedliche Eigenschaften. Die ehemals beliebten Moosgummigriffe sind schwammig und geben kaum Aufschluss darüber, was gerade passiert. Zu harter Gummi dämpft dagegen nicht und die Hände schmerzen schnell. Ich empfehle, immer nur einen Griff zu tauschen und einen der „gewohnten“ am Rad zu belassen, so wird auf der Ausfahrt sehr schnell klar, was eine Verbesserung bringt. Das gilt auch für die Form. Inzwischen bieten zahlreiche Hersteller Griffe an, die eine gesunde Handhaltung unterstützen. Es gibt sie für praktisch jeden Einsatzbereich. Wenn das alles passt, ist eine korrekte Einstellung von Brems- und Schalthebeln unabdingbar. Dazu sollten alle Bedienelemente bei der normalen Handposition am Lenker ohne Umgreifen erreichbar sein. Die Hand sollte am Handgelenk möglichst wenig nach oben oder unten abknicken. Die Bremshebel sollten bequem erreichbar sein, aber bei völliger Blockade noch zwei Zentimeter zum Lenker haben. Lieber die Bremshebel weiter außen greifen als zu weit innen, das erhöht die Bremspower.
2-Sitzbereich
Wenn man nicht gerade Downhiller ist, verbringt man die meiste Zeit im Sattel sitzend. Man kann sich hier nicht auf den Rat des Trainingspartners verlassen: Der hat wahrscheinlich einen anderen Hintern und ein anderes Sitzpolster, ganz zu schweigen vom anderen Rad. Als Ausgangsbasis kann man den Sitzknochenabstand bestimmen. Das lässt sich einfach mit einem Stück Wellpappe bewerkstelligen. Diese auf einen Stuhl oder Hocker mit harter Sitzfläche legen und sich im besten Fall nackt oder in Unterwäsche darauf setzen. Jetzt die Füße auf die Zehenspitzen stellen. Die Sitzknochen hinterlassen einen Abdruck auf der Pappe. Der Wert von Mitte bis Mitte gemessen liegt irgendwo zwischen sechs und 17 Zentimetern. Addiert man zwei Zentimeter, dann hat man eine gute Ausgangsbreite für den eigenen Sattel. Generell gilt: Je stärker man nach vorne geneigt sitzt, umso weniger muss man dazu zählen; je aufrechter man sitzt, umso mehr. Wer also sehr sportlich gestreckt sitzt, kann einfach mit einem Sattel in der Breite seiner Sitzknochen fahren. Wer sehr aufrecht sitzt, kann schon mal fünf Zentimeter oben drauf rechnen. Um gesund zu sitzen, muss der richtige Sattel dann auch korrekt eingestellt werden.
Der Sattel sollte im Idealfall waagerecht ausgerichtet sein; dazu einfach eine Wasserwaage auf der Sitzfläche platzieren. Eine Neigung nach hinten ist nicht zielführend; eine Neigung der Sattelspitze kann helfen, wenn Druckschmerz im Schambereich auftritt. Das ist oft bei starker Überhöhung vom Sattel zum Lenker der Fall oder bei Frauen, bei denen das Schambein oft tiefer liegt. Gute Händler bieten die Möglichkeit, hochwertige Sättel auszuprobieren. Es kann durchaus ein Modell mit Loch in der Sitzfläche oder ein „Stufensattel“ zum Erfolg führen.
Die Sitzhöhe sollte so gewählt werden, dass die Beine beim Pedalieren nie vollständig durchgestreckt werden. Um das zu erreichen, kann man (ohne das Becken zu kippen) mit den Fersen und durchgestrecktem Bein pedalieren. Das sollte ungefähr deiner Innenbeinlänge x 0,885 entsprechen. Ich möchte nicht verschweigen, dass diese Ausrichtung aus dem Straßensport stammt. Für das Fahren im Gelände kann es, je nach persönlicher Vorliebe, angenehmer sein, den Sattel wenige Zentimeter niedriger zu fahren, um besser auf das Streckenprofil reagieren zu können. Fahrer, die tendenziell niedrigere Trittfrequenzen mit viel Kraft treten, sitzen eher höher; Fahrer, die hohe Trittfrequenzen treten, etwas niedriger. Das kommt der jeweiligen Physis und dem Bewegungsablauf entgegen.
Außer in der Höhe ist der Sattel auch nach vorne und hinten verstellbar. Um hier die Position passend einzustellen, bindet man einen Gegenstand an eine Schnur, um ein Pendel zu simulieren und bittet jemanden um Hilfe. Man setzt sich in „Normalposition“ aufs Rad und positioniert die Kurbel waagerecht. Von der Mitte des vorne stehenden Knies sollte das Lot jetzt durch die Pedalachse fallen. Wenn nötig, einfach den Sattel etwas nach vorne oder hinten verschieben. Auch der Wechsel auf eine andere Sattelstütze, mit mehr oder weniger Offset (Abwinkelung), kann helfen, die passende Sitzposition zu finden.
3- Antrieb
Die Schnittstelle Nummer drei ist die, an der die Kraft eingeleitet wird. Wir haben diese bereits touchiert, als wir die Sattelstellung danach ausgerichtet haben. Eines unterscheidet Pedale und Kurbel von Lenker und Sattel: Da sie durch das Innenlager direkt mit dem Rahmen verbunden sind, also nicht wie Lenker und Sattel in Form größenvariabler Komponenten, ist eine Einstellung auf persönliche Bedürfnisse nur bedingt möglich. Es geht um zwei Kriterien: Die Länge der Kurbelarme und den sogenannten Q-Faktor (Abstand der Pedale zur Rahmenmitte).
Die Länge der Kurbelarme bestimmt den Radius, den der Fuß beim Treten zurücklegen muss. So ist für größere Personen mit längeren Beinen eine lange Kurbel richtig und für kleinere Menschen mit kürzeren Beinen eine kurze. Die Längen variieren zwischen 160 und 180 Millimetern (mit Ausnahmen). Hier ist es schwer, eine Länge einer bestimmten Körpergröße zuzuordnen, da die Länge der Kurbel ja auch die Bodenfreiheit bestimmt. Kürzere Kurbel, mehr Bodenfreiheit, längere Kurbel, mehr Kraft auf der Kette und umgekehrt. Als Faustregel empfehle ich: Innenbeinlänge (in Zentimetern) multipliziert mit 2,12 ergibt die Kurbellänge (in Millimetern). Das Ergebnis entspricht meist nicht einer der verfügbaren Kurbellängen. Es muss die Länge gewählt werden, die am nächsten dran ist.
Der Q-Faktor ergibt sich aus dem Abstand von der Außenseite der ersten Kurbel bis zur Rahmenmitte addiert mit dem Abstand von der Außenseite der zweiten Kurbel bis zur Rahmenmitte. Man geht in der Regel davon aus, dass der Q-Faktor nicht übermäßig hoch sein sollte. Das passt zu den meisten Menschen, denn die Füße stehen normalerweise so weit auseinander wie das Becken breit ist. Neue Untersuchungen stellen dies jedoch ein Stück weit in Frage. Ein befreundeter Mediziner rät: Wenn jemand sehr breitbeinig steht und geht, dann hat er auch kein Problem mit einem hohen Q-Faktor, er ist für ihn wahrscheinlich sogar gut. Normalerweise liegt der Q-Faktor zwischen 155 und 175 Millimetern. Einfluss auf den richtigen Tritt haben auch die Pedale und die Schuhe. Die Pedale der verschiedenen Hersteller positionieren die Füße unterschiedlich und können einen hohen Q-Faktor gegebenenfalls sogar noch negativ verstärken. Manche Firmen bieten ihre Pedale mit verschiedenen Achslängen an. Auch die Einstellung der Pedalplatten am Radschuh sollte fachmännisch durchgeführt werden. Hier kann nicht nur der Spaß schnell ein Ende haben, sondern auch das gesunde Knie. Oft lassen sich mit speziellen Einlagen Korrekturen durchführen.
Ich möchte hier bewusst keinen Ratschlag geben – das Thema Q-Faktor und damit verbundene mögliche Knieprobleme sind etwas, das ein Fachmann im Einzelfall, nach eingehender Expertise, bewerten sollte.