Atemberaubende Ausblicke im Bregenzerwald

Text Casper Gebel Bild David Schultheiss
Reise

Weitblick(e)
Österreich - Vorarlberg - Bregenzerwald

„Tief im Westen“ – seit Herbert Grönemeyer ist das für uns das Ruhrgebiet, weit weg von allen Bergwelten des Landes. In Österreich könnte man diesen Song mit dem Bregenzerwald assoziieren, denn der liegt ganz weit weg vom Zentrum der Alpenrepublik an der Nordspitze von Vorarlberg und nimmt bereits damit einen Sonderstatus ein. Außerdem ist er vom Rest des Landes aus nur schwer zu erreichen, nämlich über Arlbergpass oder -tunnel. Für den Süddeutschen ist er jedoch ganz nah – dieser nähert sich der Region von der Seeseite her, durcheilt vielleicht den wichtigsten Bodenseehafen Österreichs, Bregenz. Von hier aus wurde der Wald im übrigen vor gut 1.000 Jahren erschlossen, was dazu geführt hat, dass die Gegend auch sprachlich mehr mit dem nahen Allgäu zu tun hat als mit dem Rest von Österreich.

 
 

Die Sache mit dem Wald

Allerdings hat die Besiedelung auch einen Haken: Vom Wald ist längst nicht mehr viel übrig. „Anthropo-gene Grasberge“ sagen die Fachleute, wenn sie die Folgen jener großflächigen Rodungen beschreiben. Dem Besucher präsentiert sich der Bregenzerwald als weitläufige Almenlandschaft, von schroffen Bergkämmen durchzogen – und damit ist die Gegend ein attraktives Ziel für alle, die die Kombination von weitem Blick und abwechslungsreichem Profil schätzen, Wanderer und Mountainbiker etwa.
Letztere sind die, dürfen wir’s sagen?, Lieblingsgäste der Familie Reich, die in Au das Hotel zur Post betreibt. Was natürlich auch an den Vorlieben des Chefs liegt, denn Christian Reich führt nicht nur motorisierte Zweiradfahrer gern durch seine Region. Er ist auch sehr aktiv daran beteiligt, in der Region neue Bike-Routen zu erschließen; mit seiner Hilfe ist im Ort sogar ein kleiner Bikepark entstanden, der drei kürzere, aber durchaus sehenswerte Flow-Abfahrten bietet. Passend zur Region ist an das Hotel ein Simplon-Testcenter angeschlossen, sodass man die aktuellen Modelle der Marke aus dem nahen Hard ausgiebig Probe fahren kann.

Morgenlicht überm Tal

Dass wir uns ganz schnell ins Hotel zur Post verliebt haben, ist kein Wunder: Der Kachelofen verspricht Gemütlichkeit in der Bike-freien Zeit, die Zimmer mit ihren edlen Holzdielen sind modern, strahlen aber auch jene Tradition aus, ohne die es im alpenländischen Raum nicht geht. Von der Qualität des hausei-genen Weinkellers können wir uns noch am Ankunftstag überzeugen, vors Frühstück haben die Götter freilich den Schweiß gesetzt. Christian Reich hat uns nämlich geradezu gedrängt, uns noch bei Dunkel-heit auf den Weg zur Annalpe zu machen, um dort den Sonnenaufgang zu erleben. Auf Schotterpfaden und Feldwegen rollen wir durch die kühle Luft bergan; die Strecke ist so gut ausgebaut, dass wir die Akkuleuchten getrost im Hotel hätten lassen können. Schon liegt ein feiner Schimmer über dem Him-mel, gegen den sich immer wieder kleine Baumgruppen dunkel abheben. Gerade, als wir am Ziel ange-kommen sind, gleißen im Westen schroffe Felsrücken auf; die schrägen Strahlen der Morgensonne bringen den Dunst überm Tal zum Leuchten. Eben noch in Grau- und Blautönen gehalten, bricht nun die Farbenpracht des Spätsommers hervor mit dem Gelb der Almen und dem Grün der Wäldchen, die hier und da schon rostrote Einsprengsel zeigen, welche sich von den dunklen Nadelbäumen abheben. Wir halten inne und nehmen ein Schauspiel in uns auf, das wie ein Versprechen den neuen Tag einleitet.
Bald hat die Sonne ihre volle Kraft erreicht, und dies ist der Moment, sich wieder auf den Weg nach unten zu machen – nun freilich über anspruchsvolleres Gelände. Von Christian instruiert, finden wir einen Trail, der unsere Vorstellung von Morgengymnastik perfekt trifft: Ein paar kleinere Drops, zwei oder drei Spitzkehren, und schon erreichen wir den oberen Teil des Bikeparks, von wo aus wir es nicht mehr weit zum Hotel haben – und zum Frühstücksbuffet, das, ob wir es uns verdient haben oder nicht, vorzüglich ist.
Der Tag ist noch jung und auch nach einer längeren Pause bleibt und genug Zeit für eine zweite Einheit. Durchs Tal fahren wir in den Nachbarort Rehmen, von wo wir bergauf dem „Alpgang“ folgen, dessen Stationen dem Besucher eine Vorstellung von der lokalen Almwirtschaft geben. Highlight aus unserer Sicht ist die urige „Streuehütte“, ein alter kleiner Heuschober, auf dessen Heubett Wanderer oder Biker ihre Siesta einlegen oder zur Not auch die Nacht verbringen können. Kleine Stoffherzen hängen vom Gebälk herab – hmmmm, sieht gemütlich aus! Auf einer Tafel in der Hütte haben Besucher mit Kreide nette Worte hinterlassen, aber auch ein paar wirklich krasse Sachen.

Hochalpin geht es zu im Dreiländereck zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Rundumblick

Hier, auf rund 1.100 Meter Höhe, sehen wir auch endlich mal Bäume in größerer Zahl – der Bregenzer-wald ist dort stehen geblieben, wo sich Vieh- oder Graswirtschaft nicht gelohnt haben. Das wirkt sich natürlich auch auf die Trails aus; einerseits winden sie sich flowig um die Stämme herum, andererseits fordert knorriges Wurzelwerk Federelemente wie Fahrkönnen. Im Nu sind die Höhenmeter wieder ver-pufft, und wir stehen mit unseren Bikes im Tal. Das liegt hier auf etwa 830 Meter Meereshöhe, und ent-sprechend begrenzt ist der Weitblick. Bessere Chancen auf gute Sicht erhoffen wir uns vom Diedams-kopf, der unseren Standort mit 2.090 Metern deutlich überragt. Seine Beliebtheit sommers wie winters verdankt der Berg nicht zuletzt seiner Seilbahn, die den Erholungssuchenden die technisch einfache, aber kraftraubende Besteigung erspart. Uns auch, beschließen wir, und besteigen mitsamt den Bikes die Gondel, die uns allerdings nur bis zur Mittelstation befördert. Die letzten 300 Höhenmeter legen wir aus eigener Kraft zurück. Im den großen Ferien wie im tiefen Winter drängen sich hier die Urlauber, doch jetzt im Spätsommer geht es am Diedamskopf geruhsamer zu. Im empfehlenswerten Gipfelrestau-rant treffen wir auf allesamt freundliche, entspannte Wanderer sowie ein paar Paraglider. Die Luft ist klar, und so können wir uns am berühmten Panoramablick erfreuen, der ganze 300 Gipfel umfassen soll. Highlight ist die Silvretta im Süden mit dem höchsten Gipfel Vorarlbergs, dem Großen Piz Buin (3.312 m); nach Westen hin kann man auch den Bodensee erspähen.
Das Ende des Sommers bringt kürzere Tage und kühle Abende mit sich, und so machen wir uns schließ-lich bereit zur Abfahrt. Wer nichts gegen Windjacke und Handschuhe einzuwenden hat, sollte die Regi-on ohnehin zu dieser Zeit besuchen, denn diese Landschaft gewinnt dadurch, dass man oben an den Hängen nur weniger Menschen trifft, dass keine bunten Tupfer im Grasland und zwischen den Baum-gruppen die Blicke auf sich lenken. Auf den technischen Trails hinunter ins Tal sind wir allein mit unse-ren Bikes und der kargen, von landwirtschaftlicher Nutzung geprägten Szenerie. Doch gerade den um-fassenden Rodungen verdanken wir die immer neuen Ausblicke, die wir auf unserer Fahrt bergab be-wundern können – ein durchaus zwiespältiger Landschaftsgenuss. Der Nutzcharakter auch der Wege fällt uns weiter unten dann noch einmal ganz besonders auf. Oder besser, springt uns an: Das letzte Stück, ein Schotterweg, ist geradezu ein Minenfeld aus Kuhfladen – eine „Bregenzerwald-Taufe“, die vielleicht jeder mal über sich ergehen lasen muss, und über die wir noch beim Abendessen in der Post lachen können.

Ausspannen kann man sehr gut im Bregenzer Wald. Guter Wein, leckeres Essen und eine Menge Happy-Places sorgen dafür.

Wissen

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Die bei der Käseproduktion anfallende Molke wird beim Bergbauernhof Metzler zu hochwertigen Pfle-geprodukten verarbeitet. Ohne Tierversuche, chemische Wirk- oder Farbstoffe. Molkeprodukte>>
Im Bregenzerwald gibt es zwei Kreisverkehre und keine Ampel.

Highlights

Im Ranking der bedeutendsten Welt-Architekturregionen belegte Vorarlberg mit Sicherheit einen der ersten Plätze. Ein Spaziergang durch Hittisau, Schwarzenberg oder Bizau befrie-digt die Neugier Architekturinteressierter.
Das Jöslar in Andelsbuch: Ein Wirtshaus, in dem der Wirt im Mittelpunkt steht und der Gast immer et-was zum Erzählen haben sollte. Das muss aber nicht immer wahr sein. Außerdem gibt’s einen Laden mit Gebrauchswaren aller Art, handgemacht in aller Herren Länder. Jeden ersten Sonntag im Monat Film-vorführungen mit den Hans Bach Lichtspielen. Jöslar>>, Hansbach>>

Reisezeit

Mai – Oktober

GPS-Daten

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Kartenmaterial
Kompass WK 2 Bregenzerwald - Westallgäu

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