Schladminger Tauern – Biken auf der Südseite des Ennstals

Text Bastian Bäumer Bild Paul Masukowitz
Reise

Schladminger Tauern
Alles in einem

Alle Wünsche unter einen Hut zu bekommen, ist bekanntlich schwer. Häufig ist es gar unmöglich: zu steil, zu flach, zu weit, zu nah, zu warm, zu kalt, zu turbulent, zu ruhig. Was dem einen ein Graus, ist dem anderen eine Wonne.

 
 

Auch wir sehen uns mit einem solchen Dilemma konfrontiert – aber zugegebenermaßen mit einem der höchst angenehmen Art. Die Osterfeiertage liegen gerade einmal ein paar Wochen hinter uns und mehr als ein paar lockere Runden auf der heimatlichen Feierabendrunde waren bisher noch nicht drin. Ein langes Wochenende steht vor der Tür und bislang ist nur eines klar in der Planung: Mountainbiken. Nur die immerwährenden Fragen quälen: Wohin? Was tun? Genüssliche Panorama Trails, rasanter Downhill oder eine kombinierte Enduro-Runde?
Zunächst legen wir die grobe Richtung fest. Andi und Matti starten aus Innsbruck; Lynn, Paul und meine Wenigkeit aus München. Treffen auf der A8 gen Osten. Das klingt nach einem fairen Kompromiss. Von dort aus Richtung Steiermark. Konkreter gesagt: Richtung Planai. Denn dort liegt – den meisten wohl bekannt – mit dem Bikepark die Hochburg der Mountainbiker der Steiermark. Aber dieser sollte uns nur für einen kleinen Ausritt dienen, denn uns steht der Sinn eher nach naturbelassenen Trails, dem süßen Duft der grünen Frühjahrswälder und der Einsamkeit in schroffer alpiner Natur. Ja, der Blick auf die AV-Karte verspricht viele Optionen in dieser Region, um von Tag zu Tag aus der Laune heraus zu entscheiden.

Tag 1 – im Osten nichts Neues

Wird in der Mountainbike-Szene über die Planai bei Schladming gesprochen, drehen sich schnell alle Themen um den Bikepark. Nicht grundlos, denn seine Qualität und Wettkampftauglichkeit stellt der Park seit Jahren beim European Downhill Cup unter Beweis. Und warum sollte das Rad auch neu erfunden werden?! Mit seinen über 1.000 Höhenmetern Abfahrt ist der Bikepark nicht nur der größte der Region, sondern stellt auch die längste Downhill-Strecke Österreichs dar. Mit Saisonstart Mitte Mai bis Zapfenstreich Mitte Oktober ist die Saison der Zweiradler hier sogar länger als die Skisaison. Durch die ständigen Erweiterungen ist der Bikepark Planai aber nicht nur für die Leistungssportler erstes Reiseziel, sondern auch für diejenigen, die erste Erfahrungen im Downhill-Bereich sammeln wollen. In Summe pflügen wir am ersten Tag unseres Trips durch insgesamt sechs unterschiedliche Lines von Rookie bis Pro. Ergänzt wird das Setup durch den Dirt Park und Pumptrack im Auslauf des Downhill Parcour. Bikerherz, was möchtest du mehr für den Einstieg in die Saison?! Von Run zu Run kehrt das Gefühl für die Kurvenlage zurück. Das Gespür für den Untergrund gedämpft durch den Federweg unserer Velos. Die Antizipation, die uns wieder eins werden lässt mit unserem Sportgerät. Nur die Unterarme brauchen wohl noch ein paar Tage mehr, um sich an diese Belastungen wieder zu gewöhnen. Die Vorfreude auf die Almhütte, die wir uns für die Unterkunft ausgeguckt haben, lässt die Schmerzen aber schnell vergessen.
Am Abend finden wir uns im Almdorf Reiteralm ein, dem Ausgangsort unserer Tagestrips. Die großzügige offene Wohnküche des Chalets lädt zum Kochen und gemeinsamen gemütlichen Abenden ein. Zu kochen ist auch dringend nötig, denn die Endorphinschübe auf den Trails ließen am heutigen Tag keinerlei Platz für den Gedanken an etwaige Nahrungsaufnahme. Umso schöner ist es, genau das nun in der behaglichen Umgebung des Almdorfs nachzuholen. Spätestens beim kühlen Hopfengetränk auf der Terrasse versteht man, weshalb das Chalet auf den Namen „Bergbaron“ getauft wurde. Denn genau so fühlt man sich beim Panoramablick hinüber zum imposanten Dachsteinmassiv, einem der acht österreichischen UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten.

Die Natur in den Bergen hat einen ganz besonderen Charme.

Tag 2 – die Tugend nie ihren Charme verliert

Abfahrtsmeter und brennende Unterarme am Tag zuvor, 1.000 Höhenmeter bergauf für die Oberschenkel am Tag danach. Von der Reiteralm aus rollen wir gemütlich hinunter ins Preuneggtal. In sanfter Steigung zieht sich die Mautstraße die ersten Kilometer bis zum Talschluss hinein. Ab der Moarhofalm beginnt der kräftezehrende steile Anstieg – vorbei an der Ursprungalm, an dessen Ende eines der beliebtesten Wanderziele der Region liegt: der Giglachsee. So früh in der Saison sind die Wanderer aber noch fern in den Gefilden hoch über der Baumgrenze. Ablenkung bei jedem einzelnen Tritt in die Pedale verschafft der Blick über die Schotterstraße hinaus. Immer wieder schlängeln sich einzelne Pfade als Abkürzung durch die Wiesen. Das verspricht eine verspielte Abfahrt zu werden. Aber zunächst bleiben wir bei unserer Tugend, sich die Abfahrt erst erarbeiten zu müssen. Boten sich uns am ersten Tag noch sattgrüne Almwiesen und eine staubende Downhillstrecke, stehen wir am Preuneggsattel vor den letzten Zeugen der kalten Jahreszeit. Auf den letzten knapp 100 Höhenmetern sind wir zum Absteigen gezwungen und schieben oder tragen unsere zweirädrigen Gefährten durch die tiefen Schneefelder. Graue Wolken versperren den Weg für wärmende Sonnenstrahlen. Na, das wird ein Spaß bei der Abfahrt … Im Gegensatz zu Matti und Andi wird das mein erster Versuch einer Schneeabfahrt werden.
Wir erreichen den Oberen Giglachsee. Erst seit wenigen Tagen scheint hier die Natur auf den Südhängen aufzublühen und so empfängt uns eine mystisch anmutende hochalpine Atmosphäre – gepaart mit steilen Anstiegen und verblockten Trails. Außer uns umkreisen nur noch ein paar Schafsherden den See. Der kühle Wind, der unbarmherzig über seine Oberfläche zieht, scheint den Schafen in ihrem Kleid aus dicker Wolle nicht zu Leibe rücken zu können. Bei uns Menschen sieht das anderes aus. Dick verhüllt in unsere wetterfeste Kleidung findet der kühle Hauch dennoch seinen Weg. Aber das Ziel unserer Tour ist nah. Ein paar anspruchsvolle Trailmeter oberhalb des Westufers trennen uns noch … von der heißen Suppe auf der der Ignaz-Mattis Hütte.

Tag 3 - Altbekanntes neu entdeckt

Die grauen Wolken des Vortages lichten sich. Nur ein paar frühsommerliche Nebelschwaden schieben sich über das Tal, auf das wir von der Reiteralm hinunterblicken. Nach der Tagestour zum Giglachsee zieht es uns zurück nach Schladming. Denn beim abendlichen Studium des Kartenmaterials haben wir gesehen, dass sich neben dem Bikepark noch zahlreiche Alternativen für Enduristen zu bieten, wenn man den Tritt in die Pedale nicht scheut. Unser Plan: vom Bikepark Planai über den Hauser Kaibling nach Haus und zurück nach Schladming. Knappe 1.800 Höhenmeter Abfahrt, bei 800 Höhenmetern bergauf.
Zunächst nutzen wir die Gondel des Bikeparks Planai, um die ersten 1.000 Höhenmeter zu überwinden und in die Berge der Schladminger Tauern vorzudringen. Von hier aus geht es auf die erste Abfahrt. Zunächst mit langer Querung Richtung Mitterhausalm und von dort aus hinunter zur Gföllalm. Ein Duft von Frühling umgibt uns. Die Almwiesen sind teilweise noch durchnässt von den Regenschauern des Vortages. Durch die mittlerweile hochstehende Sonne können wir den Trails aber buchstäblich beim Trocknen zusehen. Ab der Gföllalm stehen die Zeichen aber wieder auf „hoher Sattelstütze“. Von hier aus haben wir schon freien Blick auf unser Ziel des Tages: den Hauser Kaibling. Den Gipfel überlassen wir allerdings den Wanderern, denn eine ausgiebige Jause an der Krummholzhütte in der Ruhe der Vorsaison steht uns eher im Sinn. Schließlich wollen wir genügend Kraft für das eigentliche Highlight des Tages haben: der Trail hinunter nach Haus. Knapp 1.200 Höhenmeter Abfahrt reinsten Trialvergnügens – teils technisch, teils flowig – warten auf uns. Weicher Waldboden führt uns durch verwunschene grüne Wälder. Dann wieder Wurzelpassagen. Nicht einem einzigen weiteren Menschen begegnen wir an diesem Nachmittag, bis wir uns, endorphindurchflutet, in der Gemeinde Haus wiederfinden. Schließlich rollen wir entlang der Enns gemütlich der im Westen untergehenden Sonne entgegen, bis wir zurück an unserem Ausgangsort in Schladming sind.

Und schon sind wir wieder über der Baumgrenze im hochalpinen Bereich. Die Wege einsam, die Hütten verlassen, wir sind begeistert.

Tag 4 – eine „Feierabendrunde“ zum Abschied.

Das Tüpfelchen auf dem „i“ stellt auf der Reiteralm die kleine Enduro-Runde dar, in die man direkt vor der Haustüre einbiegen kann. Die ersten Trailmeter starten schon knapp unterhalb der Alm. Bis ins Tal ist dieser Trail zwar nicht lohnenswert, aber über diesen gelangt man direkt zur Preunegg-Bahn. Nach den intensiven vergangenen Tagen ist uns diese technische Hilfe mehr als willkommen, um entspannt auf den Hausberg der Gemeinde Pichl, der Gasselhöhe, zu gelangen. Bei dieser Bahn ist allerdings zu beachten, dass sie nur an wenigen Tagen der Woche geöffnet ist. Alternativ zur Gondel kann aber auch die wenig befahrene Bergstraße zur Reiteralm- und Gasselhöhehütte genutzt werden. Oberhalb der Gondelstation ist das Gebiet eher den Wanderern und Familien vorbehalten und viele Trails sind für uns Mountainbiker gesperrt. Eine Variante aber zieht sich anspruchsvoll durch den Wald hinunter bis vor die Pforten des Hüttendorfes. Eine wunderbare Feierabend- oder, wie in unserem Fall, Abschiedsrunde. Denn leider ist mit dieser kurzen Runde für uns auch schon wieder die Zeit gekommen, die Räder sicher für die Rückreise zu verstauen und uns von der Bikeregion zu verabschieden.

Ein letztes Mal Architektur, ein letztes Mal Trails und ein letztes Bier im Whirlpool.

Der Schladminger Bikepark, die letzten Schneefelder des Winters am Giglachsee hoch über der Reiteralm und die grünen Trails in den Wäldern der Gemeinde Haus: Wir haben abwechslungsreiche Eindrücke im Gepäck. Und dabei haben wir gerade einmal die Südseite des Ennstals erkundet. Die Reiteralm werden wir sicher ein weiteres Mal von unserer Base aus aufsuchen – als Entfernungskompromiss zwischen Innsbruck und München … Und als Ausgangpunkt, um den Norden des Tals zu erforschen. Für die nächste Unternehmung wartet dort das vielversprechende Plateau am Fuß des Wächters der Steiermark, des Dachsteins, dessen Anblick wir auf diesem Trip nur aus der Entfernung genießen durften.

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