Lutz Scheffer steht uns Rede und Antwort – Ein Visionär im Gespräch

Interview Norman Bielig Bild privat
Interview

Das Bike und Lutz Scheffer

Jeder der ein Fahrrad der Marke Canyon fährt sollte ihn kennen. Warum? Nun ja, wahrscheinlich stammt es aus seiner Feder, oder er hat zu mindestens daran mitgearbeitet. Heute beschäftigt er sich hauptsächlich mit der Frage wie Bikes in Zukunft aussehen könnten. Seine Antwort darauf und eine Liebeserklärung an die Natur findet ihr im nachfolgenden Interview.

 
 

world of mtb: Hallo Lutz, stell dich doch bitte kurz vor.

Lutz Scheffer: Ich bin 50 jahre alt , gebürtiger Schwarzwälder aus Freiburg und beschäftige mich seit der Kindheit mit dem Geländeradfahren. Mit 12 Jahren , also Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts habe ich entdeckt, wie man mit selbstgebauten Fahrrädern den Kandel, ein Berg bei Freiburg über die Wanderwege runter nach Denzlingen fahren kann. Inzwischen, wie leider überall in Baden Württemberg, ein immer noch sehr schöner aber illegaler Trail. Mit Trommelbremsen und Mofa- Federgabeln haben wir in unserer Fahrrad- Jugend- Gang experimentiert. Schon damals suchten wir nach Freiheit mit dem Rad abseits der Straßen. Nach dem Industrie und Fahrzeug Design Studium in Pforzheim und nach ersten „Lehrjahren“ bei der Firma Votec , gründete ich mit Freunden zusammen die Firma Bergwerk (anfänglich Kraftwerk) mit angeschlossener eigener Rahmenfertigung.

world of mtb: Was genau machst du bei Canyon?

Lutz Scheffer: Ich bin seit 15 Jahren bei Canyon als freiberuflicher Produktentwickler und Industriedesigner tätig. In der Aufbauphase von Canyon war ich Entwickler und Head of Design. In den letzten Jahren war mein Schwerpunkt im Entwerfen von Concept Design- Studien und im Testen von neuen MTB und eMTB Konzepten.

world of mtb: Wenn ich mir deine Social Media Timeline so anschaue, dann habe ich das Gefühl, dass du ziemlich viel Zeit am Berg verbringst. Kannst du dir deine Zeit entsprechend frei einteilen oder täuscht der Eindruck?

Lutz Scheffer: Ein ultimativer persönlicher Tipp für mehr Zeit für Natur und Sport: Schafft einfach das Smartphone ab und startet direkt von der Haustüre zu euren Touren: schon hast Du Zeit für mindestens 2 Stunden Sport täglich ;-) Aber jetzt ganz seriös: Praktische Erprobung ist ein wichtiger Bestandteil meines Berufes : Um zu wissen was mit einem Bike möglich ist muss man immer neue Spielarten des Geländeradfahrens testen. Für mich ist der „Outdoor-Lebenstil“ vollkommen selbstverständlich und ein täglicher unverzichtbarer Bestandteil. Rund um mein Wohn- und Arbeitsort Garmisch-Partenkirchen sind die Möglichkeiten dazu ideal. Neben dem Mountainbiken, gehe ich gerne Bergsteigen, Trailrunning und Klettern sowie im Winter auf Skitour und Langlauf. Außerdem bietet Oberbayern herrliche Seen auf den ich mit dem Seekajak die Ruhe genießen kann. Wichtig bei allem: Hauptsache man kann die Natur, Tiere und Pflanzen erleben . Eine unerschöpliche Inspirationsquelle für neue Ideen. Wenn das Wetter ganz übel ist, gehe ich regelmäßig zum Bouldern in unserer Alpenvereins Halle. Dann bleibt der ganze Körper in Schwung und man bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit von der typische Zivilisationskrankheit „Rückenbeschwerden “hoffentlich verschont .

world of mtb: Wo fährst du meistens und wie schauen deine Touren typischerweise aus?

Lutz Scheffer: Ich fahre so gut wie ausschließlich in den Alpen. Meine Touren haben sich in den letzten Jahren etwas weg vom klassischen Mountainbiken entwickelt. So ist das Bikebergsteigen und Bike&Hike und Bike& Climb in den Vordergrund getreten. Ich versuche zudem möglichst viele Touren direkt von der Haustür aus zu starten ohne das Auto oder Bergbahnen zu benutzen. Ich habe natürlich in dieser Hinsicht einen enormen Standortvorteil. Im Nordschwarzwald wo ich lange gelebt habe, findet man dafür ein phantastisches flächenddeckendes Labyrinth von Trails und die Möglichkeit ganzjährig zu biken.

world of mtb: Du bist in letzter Zeit auch viel auf dem eBike unterwegs, was fasziniert dich daran?

Lutz Scheffer: eMTB ist eine vollkommen neue Sportart. Man verbringt pro Tour exorbitant mehr Zeit auf Trails. Insbesondere Bergauf sind viele neue Trails fahrbar welche vormals mit einem klassischen Bike unfahrbar gewesen sind. So hat sich mein Streckennetz und die Tourenmöglichkeiten für mich schlagartig mehr als verdreifacht. Mir macht es Freude neue Fahrtechniken zu üben welche im Uphill erforderlich sind : zu den klassischen S1-S5 Singeltrailskala bergab, kommen sozusagen plötzlich 5 neue Uphill- Schwierigkeitstufen hinzu. Die Trainingsintensität ist dabei mindestens auf dem gleichen Niveau: letztlich Pedaliert man mit dem eMTB auf schwierigen Trails immer voll Power.

world of mtb: Was glaubst du wird uns in den nächsten zwei Jahren an Entwicklungen im eBike-Bereich erwarten?

Lutz Scheffer: eMTB wird sich weiter differenzieren: neben MTB –ähnlichen einigermaßen leichten Bikes wird es Supertrail-eMTBs geben mit denen man noch besser auf schwierigen Trails fahren kann. Die Effizienz von den Fahrwerken, Reifen und Federung kommt dabei eine überragende Bedeutung zu: nur so kann man zusammen mit größeren Batterien eine akzeptable Reichhöhe erzielen. Heutzutage muss ich bei allen Touren die länger wie 1,5 Stunden dauern, leider eine zweite Batterie im Rucksack mitnehmen.

world of mtb: Du lebst in den Bayerischen Alpen, wie entwickelt sich das Mountainbiken dort und wie das Miteinander?

Lutz Scheffer: Wesentlich unproblematischer wie vermutet: sehr viele Wanderer und Bergsteiger sind sehr an der neuen Technik interessiert. In den Gebieten rund um Bergbahnen bei denen sich üblicherweise meist verbale Konflikte abspielen, kann man mit dem eMTB einfach meiden.: die Alpenwelt ist groß. Mit dem eMTB ist man auf keine Bergbahn und sonstige Hotspots angewiesen. Persönlich hängt es sehr viel vom eignen Verhalten ab : wenn man Wanderer freundlich begegnet und anhält, löst sich der Ärger und potentiales Gemecker schnell in Luft auf. Wichtig dabei: Fullfaces- Helme gehören in den Bike- Park und nicht auf alpine Trails . Hier fährt man auf Sicht und kann jederzeit bei einer Begegnung mit einem Bergsteiger oder Wanderer anhalten.

world of mtb: Was glaubst du braucht es damit Mountainbiken zum Breitensport wird?

Lutz Scheffer: Wenn ich mich hier in Garmisch so umschaue ist Mountainbike und eMTB fahren bereits Breitensport

world of mtb: Wie ist dein designorientierter Blick auf Mountainbikes und eBikes? Was wird sich hier tun in den nächsten Jahren?

Lutz Scheffer: Klassische MTB sind bereits sehr ausgereizt hier passiert nichts weltbewegendes mehr. Beim eMTB stehen wir am Anfang der Entwicklung. Großes Potential haben unterschiedliche Laufradgrößen: sprich vorne groß und hinten klein. Das Hinterrad muss stabil und leicht sein sowie gleichzeitig ein möglichst traktionsstarken und durchschlagresistenten Reifen führen. The good old 26“ Wheel scheint hier mit einem 3“ Reifen auf kurz oder lang das Rennen machen. Die Federung muss im Gegensatz zum antisquatorientierten Fahrwerk der klassische MTBs extrem antriebsneutral sein , damit der Motorlauf beim federn, das auch bergauf von großer Bedeutung ist, nicht behindert wird. Stichwort „Motorrückschlag“ . Die Batterien werden von derzeit 500Wh schrittweise bis zu 1000Wh anwachsen . Platz am Unterrohr ist für die Volumenzunahme der Batterie von aktuell 2,5 auf 3,5 Liter problemlos da. Was eindeutige steifer und besser werden muss sind die Federgabeln: 36 Standrohrdurchmesser und 160mm FW sind für alpines Trailriding das Minimum. Wenn ich so auf meine Motorrad USD Gabel mit 43mm Standrohrdurchmesser und 53 Tauchrohre anschaue, denke ich das in abgespeckter Variante USD Gabeln Stand der Technik in Zukunft werden. Eine Einschränkung: Doppelbrückengabel haben bei Trail Bikes keine Chance: enge Bergaufkehren erfordern den vollen Lenkeinschlag.

world of mtb: Wie möchte Canyon das Thema eBike als Direktvertrieb angehen? Gibt es hier schon konkrete Pläne?

Lutz Scheffer: Ganz klar auch bei Canyon ist eMTB ein wichtiges Zukunftsthema. Ob der Vertrieb letztlich über Händler oder direct to consumer verläuft bleibt weiterhin persönliche Geschmackssache und hat mit Canyon speziell nichts uz tun. Wir werden unabhängig vom Thema eBike unser Service–Konzept weiter verbessern und perfektionieren.

world of mtb: Wie würdest du Menschen das Mountainbiken schmackhaft machen, die es noch nicht probiert haben?

Lutz Scheffer: Ich habe in meine Leben schon viele Outdoor-Sportarten ausgeübt oder übe sie noch aus: Segelfliegen, Drachenfliegen, Gleitschirmfliegen, Klettern, Bergsteigen, Kayak, Motorradfahren, Trailrunning , Skibergsteigen, Langlauf … (ich habe sicher noch etwas vergessen..) aber Mountainbike ist mit Abstand für mich die universellste Outdoorsportart : mit Freunden oder allein kann man sie in nahezu jeder Umgebung bei jedem Wetter betreiben und benötigt außer einem Pfad keine spezielle Infrastruktur. Auch mit wenig Trainingsaufwand und angerosteten Gelenken kann wirklich jeder trotzdem sein Fahrlevel finden und Freude in der Natur haben. Letztlich ist unsere Lebenszeit begrenzt und man schöpft sehr viel Lebensfreude, Gesundheit und Energie aus einem täglich verfügbaren Sport. Mountainbiken ist ideal und man kann es zusammen mit Freunden und Familie betreiben. Das gilt für eMTB fast noch mehr : hier sind Trainingsunterschiede nicht so stark von Bedeutung.

So könnte die Zukunft aussehen

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