Monatsfrau – Claudia Knoll

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Kurvenreich

Vom Alltag als Bauingenieurin zur Bergsportschule

„Wenn ich in Bewegung bin, fühle ich mich komplett“ – und das bezieht Claudia Knoll nicht nur auf das Mountainbiken. So ist es fast kein Wunder, dass die Bauingenieurin irgendwann den Bürojob an den Nagel hängte, um in der rauen Schönheit der Bergwelt rund um den Gran Paradiso Nationalpark ihr Glück zu finden. Dort arbeitet die gebürtige Allgäuerin hart daran, gemeinsam mit ihrem Partner eine Bergsportschule aufzubauen. Neugierig auf das, was das Leben mit sich bringt; offen dafür, immer wieder über den eigenen Tellerrand zu schauen; lieber handelnd als nach der perfekten Lösung suchend …

 
 
Claudia Knoll Monatsfrau

Judith Lell-Wagener: Claudia, welche Gefühle, welche Sehnsucht treiben dich im Leben an?

Claudia Knoll: Die Freude an der Vielfalt und, damit verbunden, die Unternehmungslust und die Neugier. Mir offenzuhalten, etwas Neues zu entdecken, auszuprobieren. Ich sehne mich nach Zufriedenheit. Danach, mein Leben so zu managen, dass ich in den Bergen leben kann, und meine Passion mit anderen Menschen zu teilen. Heute habe ich für mich gedacht: Die Balance von Work und Life ist Outdoor.

Judith Lell-Wagener: Du sagst, du bist über Umwege deinem Herzen gefolgt. Wie schwer - oder auch einfach - war dieser Prozess?

Claudia Knoll: Uff, das war ein längerer, anfangs recht zäher Prozess. Nachdem ich meinen Bürojob an den Nagel gehängt hatte, ging’s wesentlich müheloser. Ich habe das nie als besonders mutig empfunden, wahrscheinlich, weil die Neugier immer größer war als die Angst vor etwas Unbekanntem. Klar gab es auch Widerstand und Zweifel: Gedanken, ob ich nicht dankbar sein muss für das, was ich habe. Fragen wie: Kannst du dir das leisten? Aber du hast doch studiert? Oder Aussagen wie: Ich hätte nicht den Mut! Dann kam noch die ganze Bürokratie hinzu. Das hat mir schon einen Dämpfer verpasst. Aber ich habe nie das Vertrauen aufgegeben. „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken“, sage ich mir.

Judith Lell-Wagener: Einer dieser "Umwege" hat dich zuerst einmal auf eine Hütte im Aostatal geführt. Erzähl mal: Wie kam das, was hast du dort gemacht und was erlebt?

Claudia Knoll: Nach meiner Kündigung war zunächst nur klar: Ich werde auf Reisen sein und möchte nach der Rückkehr eine gewisse Zeit im Aostatal verbringen. Dass ich Kontakt zur Hüttenchefin aufnahm, kam dann wirklich nur aus einem kurzen Impuls. Nach einer positiven Antwort war die Entscheidung aber schnell getroffen. Meine Arbeiten waren Service, Zimmer, Schnee räumen. Schwer war die Enge. Aufgrund der Wetterlage gab es anfangs wenig Gäste, wir konnten wenig raus. Ich habe noch kein Italienisch gesprochen, aber trotz allem war ich begeistert von der Teamwork. Sehr viel Respekt habe ich für Marta – wie tough sie die Hütte schmeißt und wie auch sie ihrem Weg folgt.

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Insbesondere das erste Jahr in Cogne war nicht einfach für Claudia: Sie musste sich mit minimaler Bezahlung über Wasser halten und täglich durcharbeiten. Was sie hier erleben kann, entschädigt sie jedoch für alle Mühen und übertrumpft den Job im Büro, sagt sie.

Judith Lell-Wagener: Was hat dich schließlich dazu bewogen, dort zu bleiben und dir eine neue Existenz aufzubauen?

Claudia Knoll: In der Zeit konnte ich auch meinen Liebsten und Partner bei Gran Paradiso Explorers sowie das Bergdorf Cogne und das Aostatal kennenlernen. Da habe ich mich einfach noch mehr verliebt. Inzwischen sind es schon fast zwei Jahre, die ich hier bin. Die Art und Weise, wie ich hier lebe, ist für mich einfach stimmiger als das, was ich bisher kennenlernen konnte. Die Selbstständigkeit war gar nicht mein erstes Ziel. Nachdem ich aber mehr und mehr das riesige Potenzial hier sehe, etwas anbieten zu können, das mir liegt und wovon auch die Region profitieren kann, ist es mir einen Versuch wert.

Judith Lell-Wagener: Fühlst du dich jetzt angekommen?

Claudia Knoll: Es ist wirklich paradiesisch hier! Mit der Mentalität im Dorf tue ich mich aber schwer und ich kann nicht sagen: Hier bleibe ich für immer. Ich glaube, mein Ankommen besteht darin, dass ich immer in Bewegung bleibe und mir offenhalte, auch mal wieder eine andere Richtung einzuschlagen. Gut möglich, dass ich auch von hier noch mal weiterziehe.

Judith Lell-Wagener: Die Bauingenieurin und der Berg- bzw. Bike-Guide sind das zwei verschiedene Persönlichkeiten, zwei Seelen in einer Brust? Wie viel und was haben sie gemein?

Claudia Knoll: Das, was an dieser Stelle verbindet, ist die toughe, die kreative Seite, das Konstruktive, etwas voranbringen zu wollen. Als Bauingenieurin habe ich vermisst, mehr aus dem Kopf in die Praxis zu kommen. Der gravierende Unterschied ist jetzt, dass mein Arbeitsplatz von In- zu Outdoor gewechselt hat und dass ich von der Statik in die Dynamik umgestiegen bin.

"Ich möchte mein Leben so managen, dass ich in den Bergen leben und meine Passion teilen kann. Die Balance von Work und Life ist für mich Outdoor."

Judith Lell-Wagener: Hast du es je bereut, deinen sicheren Bürojob an den Nagel gehängt zu haben?

Claudia Knoll: Nein! Es gab öfter den Moment, an dem ich sehr nervös geworden bin, vor allem im ersten Jahr hier in Cogne. Sich über Wasser zu halten ist hart, die Bezahlung ist minimal und Saisonarbeit bedeutet, dass man täglich durcharbeitet. Was ich hier jedoch erleben kann, entschädigt für alles und überwiegt die Vorteile des Bürojobs. Für meine Selbstständigkeit bekomme ich sehr viel Unterstützung von meinem Lebenspartner, und wir lernen, unseren Lebensstandard zu reduzieren; das finde ich unglaublich spannend und eine super Erfahrung.

Judith Lell-Wagener: Du hast sicherlich viel Aufwand in deine Ausbildung als Bauingenieurin gesteckt. Betrachtest du das rückblickend als verlorene Energie?

Claudia Knoll: Nein, auf gar keinen Fall! Als Bauingenieurin habe ich zehn Jahre gearbeitet. Die Erfahrung, die ich dabei sammeln konnte, war das alles auf jeden Fall wert, und ich weiß die Zeit sehr zu schätzen. Alles, was ich gelernt habe, ist ja nicht weg, und ich kann nach wie vor davon profitieren!

Judith Lell-Wagener: Ein Leben als Bike-Guide - ist das "ewiges Honigschlecken" oder harte Arbeit? Wie tough ist das Business?

Claudia Knoll: Guiden ist eine vielseitige Aufgabe, daher erfüllt mich der Job auch sehr und gefällt mir so gut. Häufig bekomme ich jedoch den Eindruck vermittelt, dass wir mit unserem Hobby „easy“ unseren Lebensunterhalt verdienen und dabei nur unseren Spaß haben. So ist es aber definitiv nicht! Es bedarf einer enormen Vorbereitung, um ein Angebot wirklich rund zu machen, bis hin zur Verantwortung, die man trägt. Und man muss immer raus, egal ob die Bedingungen „hübsch“ sind oder nicht.

Judith Lell-Wagener: Du hast dein Hobby zum Beruf gemacht - hat sich das Biken dadurch für dich verändert?

Claudia Knoll: Stimmiger formuliert: Ich habe ein Hobby und einen Beruf gewählt, der dem Hobby in einigem sehr ähnlich ist. Ja, es verändert sich. Wenn ich unterwegs bin, habe ich meistens eine Gruppe im Hinterkopf. Mit Gästen ist man anders unterwegs. Zum Biken „für mich“ gehe ich hingegen auch, um den Kopf frei zu bekommen, und starte gern mal ohne ein geplantes Ziel.

Monatsfrau Claudia Knoll Mountainbike

Judith Lell-Wagener: Wer sind eure Kunden? Woher kommen sie und was suchen sie? Und wie finden sie zu euch?

Claudia Knoll: Unsere Kunden sind oft nicht nur die reinen Mountainbiker. Viele verbinden die unterschiedlichen Bergsportaktivitäten miteinander. Auch Familien nutzen das sehr gern. Es sind Natur- und Bergliebhaber, die gern abseits des Massentourismus unterwegs sind. Auch bezüglich Nationalität ist der Einzugsbereich groß; und ein Vorteil ist sicher unsere Mehrsprachigkeit.

Judith Lell-Wagener: Mit "Gran Paradiso Explorers" sprecht ihr ganz speziell auch Jugendliche und Frauen an - weshalb und inwiefern?

Claudia Knoll: Bei Jugendlichen sehe ich das Potenzial und die Energie. Beide können oft nicht genutzt werden, da die Möglichkeit fehlt. Die möchten wir anbieten! Bei Frauen denke ich an Scheu, Zurückhaltung oder Hemmschwellen, um beispielsweise selbstständig auf Tour zu gehen. Aber auch hier gibt es so viel Potenzial, das ich mit unserem Angebot fördern möchte. Außerdem habe ich festgestellt, dass mir die Arbeit in diesem „Umfeld“ am besten liegt.

Judith Lell-Wagener: Du möchtest dabei ein besonderes Angebot für Frauen schaffen, "die mehr wollen". Was ist dieses "Mehr" für dich?

Claudia Knoll: Das sind Frauen, die sich selbst erleben und von ihren eigenen Stärken profitieren wollen. Wenn mir das als Teilnehmerin gelingt, fällt es mir leichter, einen Schritt aus meiner Komfortzone zu machen. Nicht nur hinterherzufahren, auch mal an erster Position zu sein und entscheiden zu können, wo es langgeht. Mit meiner Zusatzqualifikation Erlebnispädagogik kann ich hier sicher eine sehr gute Begleitung sein.

Judith Lell-Wagener: Wie unterscheidet sich Mountainbiken im Aostatal von Mountainbiken in Oberbayern oder im Allgäu? Was liebst du dort besonders?

Claudia Knoll: Es gibt hier unerschöpflich viele Möglichkeiten, und das für jeden Anspruch. Es gibt Bikeparks und unzählig viele Wege, die kaum von Wanderern frequentiert sind. Man hat angenehme Auffahrtsvarianten, oft bietet es sich an, das Rad noch auf einen Gipfel zu tragen. Es gibt einige Hütten, und die Infrastruktur ist sehr gut! Jede Ecke, jedes Tal hat seinen eigenen landschaftlichen Charakter, und bei jeder Tour gibt es ein unvergleichliches Panorama. Und: Mountainbiken kann man das ganze Jahr hindurch.

Judith Lell-Wagener: Wie verbringst du denn den Winter? Ruht eure Firma dann komplett?

Claudia Knoll: Mein Teil von Gran Paradiso Explorers kümmert sich um alles, was über die Arbeit des Guidens hinaus anfällt. Dafür ist die Winterzeit für mich sehr wertvoll. Darüber hinaus mache ich Saisonarbeit – im Hotel, auf Hütten – oder bin beschäftigt mit dem Nähen von Outdoorhosen.

Judith Lell-Wagener: Wenn du morgens vor die Tür trittst und dich umschaust - was empfindest du?

Claudia Knoll: Auf jeden Fall bin ich täglich aufs Neue fasziniert und beeindruckt von der Bergwelt und muss kurz innehalten. Eine gewisse Ehrfurcht ist auch dabei, weil die Natur hier den Menschen vor andere Herausforderungen stellt und uns oft noch in unsere Schranken weist. Aber auch große Dankbarkeit, dass das hier noch so natürlich ist!

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