Multikulturell unterwegs in Savognin

Text Anna Weiß Bild Manuel Sulzer
Reise

Multi-Kulti
Schweiz - Graubünden - Savognin

Das Telefon klingelt. „Wie, hm, hm… sie haben sich verwählt? Das kann gar nicht sein, auf der Alp Flix ist man immer richtig!“ Dieses kurze Gespräch ist unser erster Eindruck des wieselflinken Mannes, dem wir einen Besuch abstatten wollen. Ähnlich den Römern, die sich hier vor 2.000 Jahren zum Septimerpass hochkämpften, haben wir uns mit dem Auto über einige abenteuerliche (wohlwollend ausgedrückt) Straßen zur Alp Flix hochgearbeitet. Nun stehen wir in Werner’s guter Stube, dem traditionsreichen Gasthaus Piz Platta. Der jugendlich-frische, 60-jährige Österreicher führt zusammen mit seiner holländischen Frau Renske seit 2010 das Restaurant und die Herberge. Das Wort „besonders“ ist schon so ausgelutscht und trotzdem muss es einmal mehr herhalten für die liebevoll eingerichteten Zimmer, den erlesenen Weinkeller, die ausgesuchten Kindermalereien an den Wänden – und die Nicht-Speisekarte. Es gibt nur eine Tafel, auf der tagtäglich die Launen des Küchenmeisters abzulesen sind, der sich vornehmlich in der umgebenden Natur und bei den nachbarlichen Bauern seiner Zutaten bedient. „Natürlich hat man oft Gäste, die für ihre Kinder Pommes frites bestellen wollen und die erst einmal schockiert sind, dass es die hier oben nicht gibt. Denen sag ich: „Gestern war ich bei McDonald’s und wollte Pizockl, gab’s da auch nicht!“ Dann nehm ich die Kinder mit in die Küche und wir lassen uns gemeinsam was einfallen. Kannst du dir vorstellen, wie begeistert die sind?“ Wir können, sitzen wir doch gemeinsam am großen Tisch und genießen Werner’s Bratwürste mit Chili und Koriander, die Flixer Teufel.

 
 

Vorbereitung ist alles. Erst die Touren auf der Karte fixieren und anschließend in die Küche um mit dem Koch und Sommelier das weitere Programm durchzugehen.

Wir fragen den Österreicher, was denn dran sei an der oft zitierten Verschrobenheit der Schweizer Bergbewohner. „Das kann in anderen Tälern wieder anders sein“, meint er, „hier in Savognin herrschte schon immer reger Handelsverkehr, da wanderten die Leute über Julier- und Septimerpass und brachten neue Eindrücke mit. Savognin war Durchgangsstation, die Einheimischen waren schon immer in Kontakt mit anderen Kulturen.“ Dass es aber auch an einem selbst liege, wie man aufgenommen werde, davon ist Werner überzeugt. Gemeinsam mit seiner Frau absolvierte er einen Romanischsprachkurs und „dann haben wir uns einfach an den Stammtisch gesetzt und mitgeplappert!“. Da kann man ihn sich gut vorstellen. Als Oberkoch hat er sich von „50 Köchen auf einen gesundgeschrumpft“. Seit 44 Jahren ist er Küchenkünstler und bekannt dafür, alte Gerichte, die zunehmend verschwinden, auf den Teller zu bringen. Werner’s Hände führen einen regen Anteil an unserer Unterhaltung, da verwundert es nicht, dass Kochen für ihn Handwerk ist, das Ausweiden, das Verwenden des ganzen Tiers. „Das ist für mich eine Frage des Respekts. Heutzutage erschrickt ja schon jeder, wenn das Fleisch einen Knochen hat!“

Holz und Wald sind bestimmende Elemente in Savognin. Die zahlreichen Pfade ziehen sich durch lichte Wälder und über Almwiesen. Die hochaufragenden Felsen bleiben dabei meist im Hintergrund als Kulisse.

Von Werner haben wir uns verabschiedet, um die einzigartige Moorlandschaft der Alp Flix zu erfahren. In den 60er Jahren gab es Pläne, die gesamte Hochebene mit zahlreichen Liften und Bettenburgen zu erschließen. Zum Glück ist es anders gekommen, die einzigen Bewohner, die sich hier in hoher Anzahl finden sind Kühe, Ziegen und Schafe. Wir umrunden den ansichtskartenwürdigen Lai Nair, rechts und links von uns ragen die Dreitausender des Parc Ela in den Sommerhimmel. Die Passlandschaft rund um Albula, Julier und Septimer gehört zum größten Naturpark der Schweiz. Auf den Spuren des berühmten Malers Segantini wandeln wir gen Tal, folgen der Veia Surmirana über ausgetrockenete Wasserläufe bis zum Aussichtspunkt Plang da Crousch; von hier aus hat man einen wunderbaren Ausblick auf den asiatisch klingenden Corn da Tinizong (Namensgeber von Werner’s Ingwer-Curry-Suppe) und den bei Kletterern beliebten Piz Mitgel. Um uns herum ein Teppich aus Wollgras mit den bunten Farbtupfern hunderter kleiner Blumen, die sich während der schnellen Fahrt über Wurzeln und Steine in hüpfende Leuchtbänder verwandeln. Der schmale Wanderweg verbreitert sich im unteren Teil der Route, dem Got da Rona. Hier wächst hochwertigstes Klangholz, aus den Fichten werden hauptsächlich Instrumente gebaut. Mit denen man eigentlich das folgende Trailstück vertonen müsste, so eine besondere Stimmung herrscht im Wald, Grün in jeder Abstufung, Moosgrün, Grasgrün, Fichtengrün. Riesige runde Felsen sind mit winzigstem grünen Flaum bedeckt und das Knacken der Äste unter unseren Reifen wird vom Moos gedämpft. Entlang der Julia rollen wir nach Savognin.

Moderne Architektur, wie hier im Cube Hotel, trifft auf historische Dörfer. Und auch Kinder kommen auf den Trails hier voll auf ihre Kosten.

"Das folgende Trailstück müsste man eigentlich vertonen, solch eine besondere Stimmung herrscht im Wald."

Alea iacta est. Die Würfel sind gefallen.

Ob die Schweizer Architekten von Novaron wohl den berühmten Ausspruchs Cäsars im Sinn hatten, als sie den Würfel bewohnbar machten? Für jede Menge Furore sorgte die Fusion aus Beton, Glas und Holz zum Cube-Designhotel. Wir sind in Savognin. Von außen wirkt das Cube-Hotel wie eine urbane Insel inmitten der schroffen Bergwelt, im Inneren bleibt hingegen keiner lange allein. Wir machen es uns im Wohnzimmer gemütlich und fläzen uns auf eine der vielen roten Sitzgelegenheiten. Gerfried Gaugelhofer setzt sich zu uns. Der Kärntner managed das 270-Betten-Haus hier in Savognin. Dass er dabei selbst noch guidet, darf wohl als Kuriosum in der Branche gelten. Welcher Manager betreibt schon auf einer Biketour Grundlagenforschung zu seiner Arbeit?! „Ich bike schon immer gerne, vorher als Ausgleich zur Arbeit, und jetzt kann ich Arbeit und Vergnügen eben verbinden. Damit habe ich das Ohr wirklich am Kunden. Wer sich übernehmen will, sollte allerdings lieber zu unseren Spezialcamps, zum Beispiel mit Lisa Brandauer, kommen“, scherzt er. Doch auch weniger Ambitionierten dürfte hier nicht langweilig werden, auf einem riesigen Stundenplan gibt es Aktivität en masse.

Ich habe mich zu einer Ruhepause entschlossen, zu verlockend glitzert der Lai Barnagn mir in der Nachmittagssonne entgegen. Nur ein paar Schritte vom Cube entfernt liegt der traumhafte Badesee. Mit der Entspannung wird das nichts, von ein paar knackigen Burschen werde ich zum Beachvolleyball-Duell aufgefordert. Verschwitzt und kaputt wasche ich mir anschließend Sand und Salz vom Körper und genieße das warme Wasser und die friedliche Szenerie. Jugendliche beim Barbecue, ein altes Pärchen beim Zeitungslesen und jede Menge Kinder, die am Sandstrand glückselig konzentriert Burg um Burg mauern. Schon am Morgen war mir aufgefallen, dass sich die Klientel des Cube nur auf eine Konstante festnageln lässt: Aktiv. Schubladendenken wie „Alt“ und „Jung“ gibt es hier anscheinend nicht, Enkel sitzen gemeinsam mit ihren Großeltern am Tisch und hecken das nächste Abenteuer aus.

Wissen

In Savognin, dem Hauptort des Kreises Surses, ist das rätoromanisches Idiom „Surmiran“ die offizielle Amtssprache.

Der Maler Giovanni Segantini lebte von 1886 in 1894 in Savognin und entwickelte dort seinen eigenen Stil, mit dem er das Licht der Hochgebirgswelt wiedergeben konnte.

Highlights

Am pittoresken und holzbeschindelten Bahnhof Filisur selbstgemachtes Rahm-Glacé vom Hof Palé kosten. Parc-ela>>

Eine Tour ins nachbarliche Albula-Tal unternehmen zur „Velomaid“ Astrid Herzog. Die gebürtige Deutsche ist eine der wenigen Frauen, die ihren eigenen Bikeshop führt! Chapeau! Velomai>>

Reisezeit

Juni – Oktober

GPS-Daten

Savognin>>

Kartenmaterial

Singletrail Map 022 Mittelbünden
Swisstopo 1:25.000 Savognin

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