Genussbiken in Montafon

Text Hannah Röther Bild Andreas Meyer
Reise

Österreich - Vorarlberg - Montafon
Überraschend einzigartig

Die Innerkappell Alpe im Montafon: Dicke Wolken verdunkeln den Himmel, Regen prasselt auf die Dächer der zwei kleinen Hütten, eine Herde Kühe steht mit triefendem Fell dicht aneinander gedrängt auf der Bergwiese und aus der Ferne rollt immer wieder bedrohliches Donnern heran. An die Wand des Kuhstalls gelehnt: Drei Mountainbikes, die mit ihren grellen Farben aus dem Grau herausstechen. Aus dem Fenster des Kuhstalls dringt lautes Stimmengewirr und Gesang, begleitet von Akkordeon- und Gitarrenklängen. Im Stall: eilig aufgestellte Biertischgarnituren im Stroh, ausgelassene Gäste, die mit den Musikanten Heimatlieder anstimmen; ein durchnässter Wirt, der immer wieder mit neuen prall gefüllten Brotzeit-Brettern in den Stall eilt und Kinder, die zwischen den Tischen und unter den Bänken herumwuseln. Und mittendrin: Wir. Drei Mountainbiker, für die eine geplante Genuss-Biketour eine überraschende Wendung nahm.

 
 

Alle Zutaten für den perfekten Genussbike-Tag

Genussbiken, was ist das überhaupt? Ernest Hemingway reiste oft zum Skifahren ins Vorarlberger Montafon. Hätte es zu seinen Lebzeiten schon Mountainbikes gegeben, hätte es über das Genuss-Biken sicher das geschrieben, was er über das Skifahren dichtete: „Es ist schöner als Fliegen oder sonst irgendwas.“ Ohne große Anstrengung dahingleiten, Natur und Panorama genießen, ganz mit dem Moment verschmelzen. Die geografische Lage des Montafons bietet dafür perfekte Voraussetzungen: Das knapp 40 Kilometer lange Hochtal erstreckt sich von Bludenz bis zur Bielerhöhe. Während am Talschluss besonders sportliche Bergfahrer über die beeindruckende Silvretta-Hochalpenstraße bis zum Fuße des 3.312 Meter hohen Piz Buin kurbeln können, geht es im nördlichen Teil des Tals gemächlicher zu. Eingerahmt von den Flanken des Rätikons und des Verwall-Gebirges tun sich um die Orte Schruns, Tschagguns, Vandans und St. Anton im Montafon Almwiesen und grüne Hänge auf, die unzählige Varianten für gemütliche Mountainbike-Touren bereithalten und dabei dennoch mit dem Ausblick auf schroffe Gebirgslandschaften belohnen.

"Es ist schöner als Fliegen oder sonst irgendwas."
Ernest Hemingway

Hinzu kommen eine Vielzahl an Bergbahnen, die Mountainbikes transportieren. Oder man sattelt gleich auf den motorunterstützte E-Bikes um und fährt eine der Touren ab, auf der die Akkus an zahlreichen Tausch- und Ladestationen aufgefrischt werden können und so weit mehr als die gewöhnlichen 60 Kilometer Reichweite zulassen – ein Projekt, für das dem Montafoner Tourismusverband übrigens ein Innovationspreis verliehen wurde. So oder so: In beiden Fällen bietet das „Berge Plus Programm“ allen Gästen darüber hinaus den ganzen Sommer die Unterstützung durch speziell geschulte Guides, die täglich geführte Touren anbieten.

Uns erwartet an jenem Morgen auch die letzte Zutat für die perfekte Genussbike-Tour: Strahlender Sonnenschein. Unser Plan: zunächst mit der Bergbahn bequem bis zur Mittelstation des Hochjochs fahren, dann in gemütlichem Tempo auf dem Forstweg bis zur Innerkappell Alpe (im Montafon heißen Almen „Alpen“) treten und sich dort für die erklommenen 400 Höhenmeter mit einem Bad in der Sonne und den Spezialitäten aus eigener Herstellung belohnen. Kein Stress, keine Hektik – einfach die Ruhe der Berge mit dem Bike genießen. Der Weg zur Talstation der Hochjochbahn führt uns durch kleine Gassen, entlang an historischen Gebäuden. Schruns, so wird uns schnell klar, hat wenig von den überlaufenen Party-Burgen, die sich in manchen Nachbartälern befinden. Hier wirkt alles etwas ruhiger und ursprünglicher. Statt möglichst viele Hotels in möglichst kurzer Zeit aus dem Boden zu stampfen, hat sich die Region in Sachen Moderner Architektur einen Namen gemacht: Wer die Augen offenhält, entdeckt zwischen den altertümlichen Häusern immer wieder futuristisch anmutende Gebäude, die mit viel Holz, Glas und schlichten Formen aus ihrer Umgebung hervorstechen.

Bei einem solchen Sauwetter suchen selbst hartgesottene Almbewohner Schutz vor den Elementen. Der dort produzierte Käse ist ein Hochgenuss, und so lässt sich ein Regenguss durchaus gut aussitzen.

Alm-Messe auf der Innerkapell Alpe

Die Hochjochbahn bringt uns bis zur Mittelstation auf 1.400 Meter Höhe. Ab hier führt ein Forstweg durch dichten Wald bis zur Bergstation, dem Kapell. Immer wieder geben Lücken in den dicht an dicht stehenden Fichten den Blick auf das Tal und die gegenüberliegenden Bergspitzen frei – und auf die Wolken, die sich langsam aber sicher bedrohlich auftürmen. Also schnell einen Gang rauf schalten, vielleicht schaffen wir es noch bis zu unserem Ziel? Unser gemütliches Genuss-Tempo schlägt mit den ersten Regentropfen in einen hektischen Sprint um. Hauptsache noch trockenen Fußes ankommen!

Endlich tauchen hinter einer Kurve die Hütten der Alpe auf. Doch anstatt der typischen Alm-Einsamkeit empfängt uns hier reges Treiben: Menschen räumen hektisch Bierbänke und Stühle in den Stall. Jeder packt mit an, es wirkt gelacht und geschäkert. „Geschlossene Gesellschaft?“ Der Almwirt lacht auf unsere verunsicherte Frage „Hier war heute morgen Almmesse, jetzt gibt Musik! Setzt euch einfach dazu, ich bring euch gleich was zu essen“ Eine Einladung, die man uns nicht zwei Mal sagen muss. Im Stall drängen wir uns zwischen Unbekannte, es ist eng aber man rückt eben zusammen. Schließlich wird uns eine zünftige Brotzeit serviert und als dann plötzlich der Platzregen einsetzt, gibt der Wirt allen Gästen Schnaps aus. Wir waren gekommen, um Ruhe und Abgeschiedenheit zu finden und landen mitten in einer feierlustigen Gesellschaft wieder – es hätte uns nicht besser treffen können! Der Käse aus der hauseigenen Produktion schmeckt fantastisch und zusammen mit dem Stallgeruch, der uns hier umgibt, noch eine Spur besser. Insgeheim danke ich den Kühen, nicht nur für ihre leckere Milch der uns diese Festmahl beschert sondern auch dafür, dass wir nun an ihrer Stelle im Trockenen sitzen. Die Almwirtin führt uns zum Abschied noch in den Raum, in dem die Milch zum „Sura Kees“ heranreift, diesen ganz besonderen Sauerkäse, den es nur im Montafon gibt. „Natürlich versuchen viele ihn zu kopieren“ gibt sie schmunzelnd zu bedenken „aber geschafft hat das bisher niemand“ Was genau das Geheimnis bei der Produktion dieser Montafoner Spezialität ist, bleibt gut gehütetes Familiengeheimnis und wird nicht verraten.

"Drei Mountainbikes, die mit ihren grellen Farben aus dem Grau herausstechen. Aus dem Fenster des Kuhstalls dringt lautes Stimmengewirr und Gesang, begleitet von Akkordeon- und Gitarrenklängen."

Für den nächsten Tag steht mit dem Itonskopf die andere Seite des Tals auf dem Programm. Die Tour, die den Berg umrundet, gilt als Highlight der Region. Der Aufstieg erfolgt über Bartholomäberg, dem „Sonnenbalkon“ des Montafons. Doch bei den wolkenverhangenen Bergspitzen ist es nicht das Panorama, das uns hinauflockt, sondern ein Genuss der anderen Art: ein spaßiger Singletrail beginnt kurz hinter der Alpe Latons und führt von dort über den Falla Aussichtspunkt bis zum Torasee. Der Rückweg führt zurück über die für das Montafon typischen „Maisässe“, jene gerodeten Flächen, auf denen die Bauern früher im Frühjahr und Herbst lebten und ihr Vieh hielten, und denen das Montafon heute seine einzigartige Kulturlandschaft zu verdanken hat.

Genussbiken – mehr als nur E-Antrieb

Diese Kulturlandschaft zu erhalten, haben sich auch zwei Pioniere der etwas anderen gemacht, die wir am Abend treffen. Peter und Martin haben das Montafoner Steinschaf – ja, auch das gibt es nur im Montafon – mit ihrer Zucht vor dem Aussterben gerettet. Das Montafoner Steinschaf gilt als besonders robust. Durch seine Haltung ist es nicht Lieferant für Fleisch und Wolle, sondern hilft dabei, die Maisässe vor der Verwaldung zu bewahren. Eine fast ausgestorbene Schafsrasse züchten – ein anstrengendes, ungewöhnliches Hobby, das die beiden bodenständigen Männer mit Leidenschaft betreiben.

Egal ob Käse, Schafe oder Architektur – das Montafon strahlt eine Einzigartigkeit aus, die es für Besucher zu einer eigenen kleinen Welt inmitten Österreichs werden lässt, die es zu entdecken gilt. Da stört es auch nicht, wenn die Genussbike-Tour nicht so endet wie geplant. Zu so einer Tour gehören eben mehr als Sonnenschein und E-Antrieb: Echte Erlebnisse, die sich vom Rest abheben.

Gut beraten mit Karte.

Informationen

Wissen

Eine Henza ist eine Vorrichtung, um Heu zum Trocknen aufzuhängen. Diese spezielle Form zur Heuaufbereitung wird nur noch im Montafon auf diese Weise von den Bergbauern praktiziert.
Das Montafoner Steinschaf und Braunvieh sind zwei Tierrassen, die es nur im Montafon gibt. Das Montafoner Steinschaf gilt als hochgefährdet und ist vom Aussterben bedroht. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es nur noch vereinzelt solche Tiere im hintersten Montafon. Jetzt gibt es Dank einigen Züchtern wieder einen größeren Bestand. Jedes Jahr finden die berühmten Alpabtriebe im Montafon statt, bei denen man das Montafoner Braunvieh geschmückt bewundern kann.
Das Montafon kann mit dem „Sura Kees“ auf eine der ältesten Traditionen der Käseherstellung im Alpenraum verweisen. Seit dem 12. Jahrhundert stellen die Montafoner den Magerkäse mit geringem Fett- und Cholesteringehalt her.

Highlights

Häuslebauer, aufgepasst! Wer sich inspirieren lassen will, kann beim Vorarlberger Architekturinstitut geführte ArchitektTouren buchen. Zu Fuß, zu Bike oder motorisiert.
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Vom 29. – 30.07.2016 findet wieder der M³ statt, der Montafoner Mountainbike Marathon.
4 verschieden Strecken in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden; Start und Ziel in Schruns
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Karte

Kompass WK 32 – Montafon
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Guiding

Über das BergePLUS-Programm von Montafon Tourismus
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