Bei Julie Ann verbinden sich Kunst, handwerkliches Können und jede Menge Begeisterung fürs Radfahren zu einer Mischung der besonderen Art. Das Resultat sind maßgeschneiderte Pedalino Räder, die eines vereint: Sie möchten nicht nur funktionieren, sondern emotional berühren, involvieren, kommunizieren. Nicht geringer ist der Anspruch der amerikanischen Rahmenbauerin, die ihre Leidenschaft fürs Räderbauen erst auf Umwegen entdeckte. Angekommen wirkt sie in ihren Erzählungen – und dennoch weit entfernt vom Stillstand…
Rahmenbauerin aus Kansas/ USA
Jule: Du hast Modedesign und Kunst studiert und viele Jahre als Künstlerin und Grafikdesignerin gearbeitet. Doch nun hat sich das Konstruieren und Bauen von Rädern als deine wahre Leidenschaft entpuppt. Wie kam es zu Pedalino?
Julie: Fahrräder zu bauen ist für mich die Verbindung all der Fähigkeiten, die ich in den letzten 15 bis 20 Jahren entwickelt habe: Handwerkliches Können, Farbe, Form, Komposition und Neugier sind die Kernelemente all meiner Werke – und der einzige Unterschied zwischen einem Gemälde und einem Fahrrad ist, dass das Fahrrad an sich auch noch ein Gerät mit Sinn und Zweck ist. Das ermöglicht eine dynamische, persönliche Beziehung zwischen dem Betrachter, oder in diesem Fall vielmehr dem Fahrer, und dem Werk. Das ist etwas, das man mit einem Gemälde kaum erreicht, und ich glaube, das war das Schlüsselelement, nach dem ich in all den anderen Medien, die ich in den letzten Jahren ausprobiert habe, immer gesucht habe.
Jule: Vom Traum Räder zu bauen, bis dahin, es dann auch tatsächlich zu tun – das klingt nach einem ziemlich großen Schritt. Wie hast du diese Herausforderung gemeistert?
Julie: Tatsache ist, dass man am Anfang in eine Werkstatt und die richtigen Werkzeuge zum Rahmenbauen investieren muss. Ich hatte großes Glück, mit Vincent Rodriguez in seinem Bikeshop Velo+ starten zu können. Er hat mir nicht nur alles beigebracht, ich konnte auch sein ganzes Werkzeug und seine Werkstatt nutzen. Das war unglaublich großzügig und ich bin sehr dankbar für diese Chance.
"Ich möchte ein Rad liefern auf dem sich der Kunde nicht nur wohlfühlt, sondern in das er sich verlieben und mit dem er etwas über sich selbst zum Ausdruck bringen kann. «"
Jule: Was macht deine Räder heute besonders?
Julie: Meine Herangehensweise, wie ich ein Rahmendesign entwickle, sowie die ganzen individuellen Anpassungen, die darin einfließen. Mir ist es wichtig, die Persönlichkeit eines Kunden zu berücksichtigen, und oftmals basiert die Ästhetik eines Designs auf dessen Interessen und einzigartigen Charakterzügen. Ich möchte ein Rad liefern, auf dem sich der Kunde nicht nur wohlfühlt, sondern in das er sich verlieben und mit dem er etwas über sich selbst zum Ausdruck bringen kann.
Jule: Rahmen zu konstruieren und zu bauen – das klingt für mich eher nach einer Aufgabe für einen Ingenieur als für einen Künstler. Woher hast du das notwendige Wissen und Können?
Julie: Ja, das stimmt. Es erfordert tatsächlich einiges an Ingenieurwissen. Ich bin sehr froh, ein wunderbares Netzwerk aus Rahmenbauern und Mentoren zu haben, die mir nicht nur dabei helfen, ein besseres Grundlagenverständnis aufzubauen, sondern mir auch mit wertvollem Rat zur Seite stehen, um solide Rahmen und Parts zu bauen. Es gibt zahlreiche und gut dokumentierte Erfahrungen mit maßgeschneiderten Rahmen, von denen wir zehren und lernen können. Die Infos sind alle da, du musst nur danach suchen und bereit sein, nachzuforschen.
Jule: Mit einer CNC-Maschine umgehen zu können ist eine Schlüsselqualifikation für dich?
Julie: Zu lernen, wie man mit einer CNC-Maschine umgeht und damit zu arbeiten, hat für mich als Künstlerin wie als Rahmenbauerin alles verändert und ich habe gerade mal die Oberfläche dessen angekratzt, was möglich ist. Mit CNC kann ich fast jeden Aspekt eines Rahmens personalisieren. Zusätzlich zur Rundachsenbearbeitung meiner Bi-Laminat-Halterungen kann ich jetzt meine eigenen Pedalino-Ausfallenden für Rennradrahmen herstellen (mit austauschbaren Schaltaugen). Als nächstes auf der Liste stehen Ausfallenden mit Aufnahmen für Scheibenbremsen und Steckachsen. Ich finde es sehr aufregend, kontinuierlich Neues auszuprobieren und immer mehr in skulpturale und dreidimensionale Formen vorzustoßen.
Jule: Du bist spezialisiert auf Stahlrahmen. Wieso das?
Julie: Ich verwende Stahl aus einer Vielzahl an Gründen. Ganz vorne steht das butterweiche Straßengefühl eines Stahlrahmens! Zudem ist es als Material jederzeit verfügbar; es ist vergleichsweise leicht zu bearbeiten, auch mit Maschinen. Doch ich bin definitiv offen dafür, auch mit anderen Materialien, wie Titan oder Carbon, zu experimentieren.
Jule: Was kommt technologisch als nächstes?
Julie: Eine der aktuellen Diskussionen rund um meinen Shop dreht sich um 3D-Druck mit Verbundstoffen. Jetzt, wo ich Teile in CAD (also rechnergestützt) designen kann, ist es nicht mehr so ein riesengroßer Schritt zu Designs, die mit einem 3D-Drucker hergestellt werden können. Bisher habe ich mich als Metallarbeiterin gesehen, doch nachdem ich mich etwas damit beschäftigt habe, erscheint es mir absolut sinnvoll, auch mal mit Carbon Fasern zu arbeiten. Ich muss noch sehr viel ausprobieren, bevor das Wirklichkeit wird, aber ich finde es spannend und sehe es in jedem Fall kommen.
Jule: Du designst nicht “nur” den Rahmen, sondern auch sein Finish. Letztes klingt für mich nach der einfacheren Aufgabe, doch da liege ich wohl falsch …
Julie: Ich habe (bis heute) nicht den Platz in der Werkstatt für Lackier- und Sandstrahlkabinen und es hat mich einiges an Zeit und Phantasie gekostet, eine Möglichkeit zu finden, mit der ich meine Kreativität auch hinsichtlich der Lackierung voll ausleben kann. Momentan finde ich mich mit einer etwas ungewöhnlichen Lösung ab: Ich schicke den Rahmen erstmal raus, um ihn pulverbeschichten zu lassen. Wenn das erfolgt ist, füge ich meine Grafiken und zusätzliche Farben hinzu und fixiere das Ganze mit einem 2K Klarlack.
Jule: Wie sieht der Prozess aus, vom ersten Schritt eines neuen Kunden in deinen Laden bis hin zu dem Moment, wo er ihn mit seinem fertigen Rad wieder verlässt?
Julie: Jedes Projekt startet mit einem Gespräch, in dem ich die Grundlagen mit dem Kunden bespreche: Was für ein Rad sollen wir bauen? Was will er mit dem Rad erreichen? Was gefällt oder missfällt ihm an seinen bisherigen Rädern? usw. Danach setze ich einen Termin mit dem Kunden fest, bei dem ich das Körpermaß abmesse und den „Fitmaster“ auf die Geometrie einstelle. Sobald alles gut ausschaut, habe ich die Infos, die ich brauche, um das CAD-Design anzugehen. Die Herstellung dauert mindestens einen Monat, abhängig von der Komplexität des Rahmens und davon, ob ich noch individuelle Teile erstellen muss oder nicht. Anschließend kommt die Farbgestaltung, die nochmal zwei bis vier Wochen einnimmt. Von Anfang bis Ende dauert der Prozess also rund drei Monate.
Jule: Ich stelle es mir teuer vor, ein Custom Bike bauen zu lassen. Habe ich recht?
Julie: Ein Custom-Rad ist sicherlich nicht der günstigste Weg. Bei mir geht es los bei 1.800 Dollar für einen einfarbigen, simplen hartgelöteten Rahmen mit Standard-Teilen. Um das besser einordnen zu können: Bedenke, dass ich mindestens 50 Stunden an einem Basic-Rahmen arbeite und entsprechend mehr an einem mit ausgefeilten Verbindungsstücken!
Jule: Kannst du deinen Lebensunterhalt damit bestreiten?
Julie: Momentan bin ich eine “Teilzeit-Rahmenbauerin”. Eigentlich ist es eher Kunst, die ich betreibe, als ein Business und daher greifen klassische Geschäftsmodelle bei mir nicht so richtig. Es ist nicht mein Ziel, so viele Bikes und Parts wie möglich herauszubringen, sondern ich will mir vielmehr die Zeit nehmen, die notwendig ist, um ein Rad abzuliefern, das solide konstruiert, funktionell und einzigartig ist und das Potential hat, meine Kunden emotional zu berühren. Mit anderen Worten: Ich habe den Anspruch, interaktive Kunst zu erschaffen! Der Trick ist also, dieser Philosophie treu zu bleiben und damit gleichzeitig das Einkommen für ein erfülltes und zufriedenes Leben zu generieren.