Judith Lell-Wagener: Du kommst aus einer Unternehmerfamilie, die seit Jahrzehnten im Radsport aktiv ist. Doch deine ursprünglichen Berufspläne hatten weder mit dem Rad, noch mit dem Familienunternehmen zu tun. Wann und wie hat sich das verändert?
Susanne Puello: Ich war schon immer ein Naturliebhaber und wollte eigentlich Agrarwissenschaften studieren. Aus Liebe zur Natur wollte ich eigentlich Agrarwissenschaften studieren. Leider hatte ich damals den NC verfehlt, musste Wartesemester in Kauf nehmen. Aus einer Unternehmerfamilie stammend, hat mir mein Vater eine verkürzte Lehre bei der Winora ans Herz gelegt. So habe ich als Azubi alle Abteilungen durchlaufen und besonders am Vertrieb und Marketing Interesse gefunden.
Judith Lell-Wagener: Wie hart war der Weg vom Firmeneintritt bis zur Übernahme der Geschäftsführung für dich?
Susanne Puello: Nach der Ausbildung kam die Wiedervereinigung, die mit einer enormen Expansion einherging. Ich pendelte zwischen unserem Standort in den neuen Bundesländern und Schweinfurt wöchentlich mehrfach hin und her. Trotz aller Anstrengungen geriet das Unternehmen 1993 in eine Schieflage. Und wie es in Familienunternehmen eben ist – in solchen Situationen fackelt man nicht lange, sondern springt direkt in die Verantwortung. Man reagiert, ohne groß zu überlegen. Ich habe von heute auf morgen die Führung übernommen. Rückwirkend betrachtet, ein enormer Kraftakt, den ich in der Situation tatsächlich nicht als solchen empfunden habe. Das Unternehmen musste weiterlaufen.
Judith Lell-Wagener: Welche Werte waren dir bei der Führung von Winora wichtig?
Susanne Puello: Waren und sind – ich glaube nicht, dass ich mich darin geändert habe. Mir sind Teamwork und das aktive Einbeziehen aller Seiten extrem wichtig. Genau wie ein fairer Umgang mit allen, egal ob Mitarbeiter, Partner, Lieferant, etc. Es war mir immer wichtig, lange Beziehungen einzugehen, ich glaube daran, dass es Vorteile für alle Seiten mit sich bringt, über viele Jahre miteinander zu arbeiten.
Judith Lell-Wagener: Eine Frau an der Spitze eines solchen Giganten in der Radbranche – das ist bis heute selten. War das je ein Thema für dich und für dein Umfeld?
Susanne Puello: Für mich nein. Ich habe mir darüber wenig, bis gar keine Gedanken gemacht. Aber Frauen meiner Generation müssen in Führungspositionen aus meiner Sicht definitiv mehr leisten als Männer im gleichen Amt.
Judith Lell-Wagener: Du hast schon Anfang des Jahrtausends, also zu einer Zeit, in der Elektroantriebe für Fahrräder alles andere als „sexy“ waren, auf das Thema E-Bike gesetzt. Wie kam es, dass du das riesige Potential erkannt hast?
Susanne Puello: Mit dem Mut einer Frau. Ich habe verschiedene Versuche miterlebt, E-Bikes als Mobilitätsmittel zu etablieren. Das waren alles Versuche, die am kreierten Image scheitern mussten! Wie Du schon schreibst, alles andere als sexy … Mir und meinem gesamten Team war klar, wenn wir einen Versuch wagen, muss er anders, radikal und sportiv sein; muss sich schon alleine das Produkt völlig von den bisherigen E-Bikes unterscheiden.
Judith Lell-Wagener: Hast du damals intern offene Türen mit dem Thema eingerannt oder wie stark musstest du kämpfen, um das Thema voranzutreiben?
Susanne Puello: Nein, offene Türen habe ich nicht eingerannt, aber auch mein Team hat das Potenzial nach einigen Gesprächen erkannt und fing Feuer. Um ehrlich zu sein, kam dann ganz einfach eine Idee zur nächsten. Ich glaube, wenn manche Dinge im Fluss sind, dann geht vieles wie von selbst. Und so war es auch mit unserem E-MTB: gedrehter Motor, neue Motoraufhängung, Unterbodenschutz – nach und nach war ein offroadtaugliches E-MTB geboren, das sexy, sportiv und einfach ganz neu war!