Mit dem Old School Bus durch Neuseeland

Text & Bild Max Schumann, Ines Thomas
Reise

Neuseeland

Mit einem tiefen Grollen startet der Motor. Langsam setzt sich das träge Gefährt in Bewegung. Es wackelt, es scheppert. Töpfe schlagen aneinander, Teile der Dekoration fallen von der Wand, die Klappe des gusseisernen Ofens tönt laut, neben dem Spülbecken machen sich Äpfel und Kiwis selbstständig. Jamie betätigt gefühlvoll die Kupplung und energisch den Schalthebel. Bereits auf den ersten Metern wird klar, diese Tour wird etwas Besonderes. Und das Fahren zur aufregenden Nebensache.

 
 

Busfahrer Jamie Nicoll – im Hauptberuf Enduro-Profi – kennen wir von den Rennen der Enduro Welt Serie. „Wenn ihr mal in Neuseeland seid, zeige ich euch das Land und seine besten Trails“, hat er mehrfach versprochen, wenn er zwischen Rennen in Europa für mehrere Wochen Quartier auf unserer Couch bezog. „Ich habe einen alten Schulbus ausgebaut. In dem können wir wohnen. Mit dem können wir reisen.“ Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Das Fahrzeug ist ein Wohnraum gewordener Nostalgie-Traum. Liebevoll eingerichtet. Mit 16 Jahren hat Jamie den alten Schulbus gekauft und ihn komplett selbstständig ausgebaut. Über mehrere Jahre. Nach Abschluss der Schule für ein Jahr quasi Vollzeit. „Das war eine perfekte Ausbildung.“ Das klingt absolut verrückt, unkonventionell und außergewöhnlich. Doch so ist Neuseeland und so ist Jamie Nicoll. Offensichtlich schon immer gewesen. Wir können uns für unseren Neuseelandtrip keinen besseren Reiseführer vorstellen. Und ganz gewiss kein besseres Fahrzeug.

Auch wenn das Wetter uns mal nicht mit Sonnenstrahlen verwöhnte, die Weite und der Blick aufs Meer waren nicht minder beeindruckend.

Es geht also los, scheppernd, dröhnend und in gemütlicher Geschwindigkeit. Wir haben es aber auch nicht eilig. Dem trüben europäischen Winter entflohen, sind wir im neuseeländischen Sommer gelandet und freuen uns einfach nur des Lebens und der kurzen Hosen. Obwohl, ein bisschen unruhig sind wir schon. Bereits der erste Bike-Eindruck in Neuseeland hat uns sehr heiß gemacht.
Christchurch war der Start der Tour. Nah der Stadt finden sich hier unzählige Biketrails. Teils offiziell markiert und angelegt, teils wild und steil in den Wald gegraben. Und auf diesen unzähligen Trails ebenso viele Biker. Alle freundlich grüßend, alle sichtbar talentiert. Niveau und Stimmung gefallen uns auf Anhieb gut.

Erster Busstopp: Craigieburn

Craigieburn, in Christchurchs Backcountry. Hier wird im Winter Ski gefahren. Im Sommer ist nicht viel los. Einsame Täler zwischen großen Bergen. Der Ort besteht nur aus ein paar Hütten. Kein Laden, keine Tankstelle weit und breit. Hier erwartet uns nun gleich zu Beginn der Reise der angeblich „beste Trail Neuseelands“. So Laurence, ein guter Kumpel von Jamie, der uns auf dieser Tour begleitet. Eine weitere beeindruckende Person. Nach einer Verletzung vor ein paar Jahren ist er, so zumindest auf dem Papier, blind. Er darf nicht mehr Auto fahren. Radfahren scheint aber noch vorzüglich zu gehen. Die eine oder andere Unsicherheit merkt man ihm an, meist ist er jedoch motiviert und zügig unterwegs. Und hat immer ein Grinsen im Gesicht. Selbst, wenn er mal wieder ein kleines Hindernis übersehen hat und mitsamt Rad auf dem Trail liegt. Die Tour folgt einem Flussbett. Anfangs schieben wir die Räder durch groben Kies, dann aber beginnt sich der Pfad durch den Wald zu winden und entwickelt tatsächlich einen ganz wunderbaren Flow. Vor allem der Untergrund ist ganz besonders. Beech Trees bilden nicht nur schönen Urwald, sondern feinen Trailbelag. Griffig, flowig, wunderbar!

Mehr als genug solcher verlassener Flecken gibt es hier in Neuseeland.

Mit dem Bus übers Land

Eine längere Überlandfahrt steht an. Es geht Richtung Queenstown, dem Bike- und Abenteuer-Mekka. Der Weg dahin zeichnet sich aus durch: nichts! Und das macht es so besonders. Die ohnehin schon dünn besiedelte Südinsel wird immer leerer und einsamer, je weiter man nach Süden kommt. Erst Queenstown bildet noch mal eine Ausnahme. Die Farmen hier, High Country Stations, werden so großzügig, dass Bauern ihre Schafherden teils mit Hubschraubern überwachen und zusammenhalten. Und mitten in dieser schönen Leere liegt der Lake Tekapo. Ein Pflichtstopp auf der Fahrt nach Süden. Türkisblaues Wasser und weiter Blick bis in Neuseelands höchste Berge. Und vor allem in den vielleicht klarsten Nachthimmel der Welt. Ein UNESCO Lichtschutzgebiet bewahrt den Blick in die Sterne. Der Bus parkt darunter, wir genießen Abendessen beim Sonnenuntergang auf dem Dach. Der Platz ist schön – vielleicht sogar in Neuseeland zu schön, um legal zu sein. Die Schilder hatten recht. Der Grundbesitzer(?), ein waschechter Neuseeland-Bauer mit speckigen Lederhosen-Hotpants, abgetragenem Merinohemd und kaum verständlichem Slang, fordert uns auf, 20 Dollar „Strafe“ zu zahlen. Okay, kein schlechter Preis für eine Nacht auf dem vielleicht schönsten (Camping-)Platz der Welt.

Zum wilden Campen in Neuseeland sei gesagt: An vielen Plätzen ist es häufig nur erlaubt, in „self-contained“ Vans oder Wohnmobilen zu übernachten, also Fahrzeugen, die mit Dusche und vor allem Toilette ausgestattet sind. Wir hatten ohne Toilette und mit Außendusche allerdings selten Probleme. Das DOC (Department of Conservation) bietet vielerorts aber auch gute, einfache Campingplätze mit Dusche und WC für nur wenige Dollar an.

Gut ausgeschlafen geht es ins nächste Abenteuer.

Queenstown – Abenteuerland

Nach zwei Tagen Fahrt durchs schöne Nichts erreichen wir Queenstown, die Abenteuer-Hauptstadt der Südinsel. Das Whistler Neuseelands. Hier treffen scharenweise Touristen und Pseudoabenteurer auf echte Draufgänger. Und es gibt alles, was Spaß und Nervenkitzel verspricht. Jetboat, Bungee-Jumping, Paragliden, Gruselkabinett, Shoppingmeilen, Geländewagen-Touren, Goldwaschen ...
Wir konzentrieren uns aufs Biken. Schließlich sind wir ja nicht nur zum Spaß hier, sondern auch, um uns auf die lange Enduro-Saison vorzubereiten. Der Bikepark wird unter die Stollen genommen und für gut befunden. Viele abwechslungsreiche Abfahrten, in verschiedenen Schwierigkeitsstufen und Steilheitsgraden. Teils sogar sehr, sehr steil. Auch wenn wir uns wundern, dass die Seilbahn schon nach dem halben Berg aufhört.
Doch wo der Bikepark endet, fangen die Trails eigentlich ja erst an. Unter anderem am Fernhill, am Queenstown Hill und am Skigebiet Coronet Peak. Auf dem Flowtrail hier oben bietet sich ein weiter, wunderbarer Blick. Bis nach Mordor. Beziehungsweise zu der Bergkette, die bei Herr der Ringe als Kulisse für Saurons Heimat dient. Überhaupt erinnert die Landschaft, die ja einer der großen Stars der Herr der Ringe Filme ist, vielerorts an die Abenteuer der Gefährten. Und wenn nicht, tun es die Schilder, Ortsnamen in Landkarten oder die Touristen in Herr der Ringe Safariwagen.

Unser eigenes kleines Abenteuer bei Queenstown war ein Camping-Ausflug mit Jamies Geländewagen. Auf den Spuren der Goldschürfer, die, im 19. Jahrhundert, die ersten Abenteurer in Queenstown waren und die Stadt begründet haben. Es war beeindruckend, Neuseelands junge Geschichte zu erleben, Überbleibsel mehr oder weniger spartanischer Goldgräber-Siedlungen zu erkunden und über einen echten Goldgräber des 21. Jahrhunderts in seinem Zelt am Fluss zu stolpern. Fast ebenso spannend war die Mitfahrt in Jamies Land Cruiser, wie er sich steile Felsstufen hochkämpft oder durch hüfttiefe Flüsse fährt. Wir müssen geschaut haben wie ein Rennradler, der zum ersten Mal Mountainbiker sieht: zugleich ungläubig, beeindruckt und begeistert.

Westcoast – wild und regnerisch

Zwei Wochen Queenstown waren zwar eigentlich nicht genug, wir verlassen mit dem roten Bus aber doch wieder die wilde Stadt, um die noch wildere Westküste zu erkunden. Es ist mal wieder Zeit für Tourismus. Der Bus stöhnt aus allen Zylindern. Nach kurzem Stopp in Wanaka geht es über den Haast Pass. Dem Wald am Straßenrad sieht man an, dass es an die niederschlagsreiche Westküste geht. Der Regenwald wird grüner und dichter.
In Haast, angekommen an der Westküste, will Jamie ehemaligen Kollegen beim DOC (Department of Conservation, staatliche Naturschutzbehörde) einen Besuch abstatten. Gerade als wir im Besucherzentrum eintreffen, kommt ein Notruf rein. Touristen haben einen Pinguin entdeckt, der am Strand in einem alten Fischernetz gefangen ist. Da kein Ranger erreichbar ist, wird kurzerhand Jamie reaktiviert. Er streift sein altes DoC-Hemd über, das er eigentlich nur zum Schrauben am Bus trägt, und wir schwingen uns in einen DoC Pick-up. Der Pinguin ist geschwächt, aber wohlauf. Leicht empört, dass man ihm nahekommt, wehrt er sich mit seinem spitzen Schnabel. Zurück am Wasser ist er aber wieder sehr dankbar. Und vor allem durstig. Der Tag an Land war zu lang und trocken für den Wasservogel.

Die Westküste hoch warten weitere Highlights. Der Franz-Josef-Gletscher zum Beispiel. Er zieht sich zwar jährlich weiter zurück, ist aber nach wie vor fußläufig vom Meer erreichbar. Wir schwitzen und kühlen uns am Gletschereis. Beeindruckend, wild, schön!

Die Westküste ist ein besonderer Teil des Landes. Es herrscht raues Klima, das Meer im Westen und hohe Bergen im Osten schließen es ab. Die „Coaster“ leben isoliert vom Rest Neuseelands. Gegründet von den damals wildesten Siedlern, die sich als Walfänger und Robbenjäger durchgeschlagen haben, leben sie mit ähnlichem Selbstverständnis wie ein Bayer in Deutschland.

In den trockenen und warmen Norden

Um hier wegzukommen, muss der Bus wieder einmal schnaufen. Es geht über Arthur's Pass zurück Richtung Osten. Und nach erneuten Trainingsstopps in Craigieburn und Christchurch nach Norden. Formkurve steigt.
Entlang der Ostküste, mit Shopping-Stopp in Kaikoura (so eine geschliffene Muschel muss man haben!) und einer Nacht an Jamies vielleicht wenigst geheimem Übernachtungsplatz. Direkt am Strand, nahe der Hauptstraße. Sämtliche Lonely Planet-Leser nächtigen hier in Vans, Wohnmobilen und Zelten. Ein Abendessen mit Meerblick durch die Windschutzscheibe ist dennoch mehr als genial. Bei Sonnenaufgang reiten die ersten Hippies schon wieder auf der Welle. Weiter. Am Ohau Waterfall tummeln sich die Seehundwelpen noch im Süßwasser des Flusses, während Hunderte erwachsene Seehunde faul am Strand herumliegen. Süß.

Jamies Bus ermöglichte uns die Weite Neuseelands wirklich zu erfahren und vor allem eine ganze Menge solcher magischer Momente.

Marlborough Sounds – Richtung Rennen

Die letzten Tage auf der Südinsel verbringen wir in den Marlborough Sounds. Was vermeintlich klingt wie Musik für rauchende Cowboys, ist der nordöstliche Teil der Südinsel, die wiederum eine unübersichtliche Zahl an Inseln und Halbinseln bietet.
Erstes Rennen der Saison und Formcheck für den kommenden Enduro Weltserien-Auftakt – das NZ Enduro. Ein Drei Tage Enduro-Rennen auf sehr technischen Trails. Teils nah am Wasser, teils nur mit Helicopter zu erreichen.

Einer der zahlreichen angelegten Trails, die sich wie eine Schlange den Hang hinab winden.

Race! 3 spektakuläre Renntage – 2 der vielleicht besten Trails der Insel – 1 Helikoptershuttle – Ziel!

Nachdem das Rennen beendet ist, gilt es leider Abschied von Jamie und unserem Lieblingsbus zu nehmen. Während wir Jamie schon in wenigen Tagen in Rotorua beim Enduro World Series Rennen treffen werden, bleibt der Bus im Süden bei Freunden im Garten.
Wir quetschen stattdessen unser Gepäck in den Kofferraum und uns auf die Rückbank des alten Volvos von Thomas, bärtiger Philosophiestudent und Trailbuilder aus Wellington, der uns netterweise Mitfahrgelegenheit bietet. Die Räder passen leider nicht mehr in den Kombi. Sie fahren kurzerhand mit einem anderen Bekannten nach Wellington. So sind sie, die Neuseeländer. Hilfsbereit, kurzentschlossen, unkompliziert!

Auf der stinknormalen Busfahrt nach Rotorua im Linienbus vermissen wir den roten Oldtimer bereits.

Nun heißt es: Konzentration, denn die Enduro Weltserie feiert ihren Auftakt beim Crankworx Festival bereits in zwei Wochen. Ob die Form stimmt, wird sich auf den genialen Trails im Redwood Forest zeigen. Die Reise auf die andere Seite der Welt war es auf jeden Fall jetzt schon mehr als wert.

The End

Unser steter Begleiter, der gute Buszwerg.

Informationen

Must-know

Alles andersrum: Sommer ist Winter, Nacht ist Tag (Zeitverschiebung zwölf Stunden), Autos fahren links
Sportgepäck: Die meisten Fluglinien haben keinen Fixpreis für Bikes und verlangen (nach den 30 Kilo Freigepäck) Unsummen für jedes Kilogramm. Extra Sportgepäck nur bei einzelnen Airlines (zum Beispiel Lufthansa oder Thai Airways) ist der wesentlich günstigere Weg, wenn 30 Kilogramm nicht reichen.
Campieren in der Wildnis ist in Nationalparks verboten und sonst nur mit WC und Dusche im Camper erlaubt. Campingplätze sind aber oft sehr günstig und idyllisch.

Must-ride

Rotorua: Redwood Forest, Rainbow Mountain
Queenstown: Bikepark, Coronet Peak
Craigieburn: Trails findet man am besten mit Locals
Nelson: Locals kennen ein geniales Trailnetz direkt am Stadtrand
Wakamarina: Heli-Biking
Wellington: unzählige offizielle Biketrails

Must-see

Queenstown: Abenteuerspielplatz mit Herr der Ringe Traum-Kulisse
Lake Tekapo: türkis, weit, nachts hoffentlich sternenklar
Westcoast: Franz-Josef-Gletscher, Regenwald
Ohau Waterfall: Babyrobben warten auf Aufbruch ins große Meer
Nelson: dort waren wir leider nicht, laut Locals aber die schönste Stadt mit genialen Trails
Marlborough Sounds: wandern, biken oder einfach mit der Fähre zwischen Nord- und Südinsel bei Tag fahren

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