Der Sonnenberg verdient seinen Namen zu Recht, trocken, wie er ist, baumlos und voller Sukkulenten, Kiefern und Kastanienhaine, unter denen Eidechsen und Schlangen hin und her huschen. Der Nördersberg, die südliche Talflanke des Vinschgaus, ist hingegen aus einem gänzlich anderen Holz geschnitzt. Dicht bewaldet ist er, gibt sich dunkel und geheimnisvoll. Vinschgau ist eben nicht gleich Vinschgau.
Vinschgau ist nicht gleich Vinschgau
Wer die Augen offen hält, kann auf der ganzen Welt plötzlich über den Vinschgau stolpern. So geschehen kürzlich in New York. Das „Weiße Gold“ aus Laas, ein frost- und witterungsbeständiger Marmor, kleidet dort Edelboutiquen und Penthouses. Und wer an die Westcoast wechselt, findet den Anfang einer Geschichte, die wieder zurückführt ins Vinschgau. Unser Interviewpartner Martin Gander besuchte 2013 San Francisco und kehrte zurück mit einer fixen Idee, die er rasch weiterspann. So schließt sich der Kreis. Seither ist der Vinschgau nicht mehr nur für die 200.000 Tonnen Äpfel bekannt, die jährlich exportiert werden, für seine über 80 erstklassig ausgezeichneten Trails oder für beliebte Events wie Trail Days oder Trailtrophy – sondern auch für feinen Kaffee. Und man kommt nicht umhin, eine Parallele zu ziehen vom Kaffee zum Vinschgau. Denn aus Kaffeebohnen werden teilweise bis zu 80 verschiedene Säuren isoliert, die beim Geschmack eine wichtige Rolle spielen. Auch aus dem Vinschgau lassen sich Dutzende verschiedener Aromen filtern, je nachdem, wo man unterwegs ist. Im Herzen des Nationalparks Stilfser Joch besuchen wir also Martin und seinen Bruder Josef in ihrer „Kaffeerösterei Kuntrawant Vinschgau“.
WOM Medien: Martin, du bist nicht nur begeisterter Biker, sondern hast 2013 im Vinschgau auch gemeinsam mit deinem Bruder Josef eine eigene Kaffeerösterei gegründet. „,Kuntrawant‘ – vom italienischen contrabbando abgeleitet – so nannten die Vinschger vor Jahren das Schmuggeln. Einige kräftige Burschen konnten sich auf diesem Weg ein Zubrot verdienen. Sprichwörtlich bei Nacht und Nebel und oft unter Lebensgefahr schleppten sie damals Zigaretten, Saccharin und vor allem Kaffee über die Grenze. Der erste Bohnenkaffee soll so über die Berge in den Vinschgau gekommen sein“, schreibst du auf deiner Website. Diese „Coffee“-Trails – wir nehmen an, du als Local kennst sie alle. Welchen magst du besonders gerne und warum?
Martin und Josef Gander: Da gilt es ganz klar den zu nennen, den wir zusammen mit Sigi Weisenhorn ausgekundschaftet haben und den man seit zwei Jahren unter dem Namen „Kuntrawant Trail“ in diversen Onlineportalen und Bike-Büchern finden kann. Je nach Können kann man diesen auch entschärft fahren, es gibt mehrere Varianten. Die Tour startet am Ofenpass im Münstertal, den man am besten mit einem Shuttle-Bus erreicht. Von dort geht es, ohne anstrengende Höhenmeter machen zu müssen, über Almwiesen und lichte Waldstücke wieder Richtung Vinschgau. Für Liebhaber sehr anspruchsvoller Spitzkehren und nervenstarke Biker gibt es ein Teilstück, bei dem sich der Trail parallel zu einem Wasserfall schlängel; hier habe ich zum ersten Mal – so nenne ich es – Spitzkehren-Flow erlebt.
WOM Medien: Biker schätzen die Lage des Vinschgaus im Dreiländereck Italien/Österreich/Schweiz für abwechslungsreiche Touren über Landesgrenzen hinweg. Welche Tour würdest du wählen, müsstest du deinen Kaffee nun umgekehrt auf die Schweizer oder österreichische Seite schmuggeln? Und was würdest du dir aus diesen Ländern im Gegenzug mitnehmen?
Martin und Josef Gander: Eine superschöne Tour führt vom Stilfser Joch über den Passo Forcola zum Lago di San Giacomo und von dort über das Val Mora in die Schweiz. Damit man auch in den Genuss des gewissen Nervenkitzels beim Schmuggeln kommt, sollte man allerdings nicht nur Käsefondue oder Schweizer Schokolade über die grüne Grenze nehmen! Ich bin bekennender Uhrenfan.
WOM Medien: Welche eurer Röstungen empfiehlst du für welchen Trail?
Martin und Josef Gander: Ich würde sagen, alle unsere Kaffees eignen sich, um Biker wach und fit für die Trails im Vinschgau zu halten. Die kräftigen Espresso-Sorten wie Uina, Starlex und Vitea eignen sich für anspruchsvolle Trails wie den vom Madritschjoch, den Tibet- und Goldsee-Trail. Diese hochalpinen Panorama-Abfahrten meistert man nur bei voller Konzentration! Die milderen Kaffeesorten, die am besten von Hand gefiltert zubereitet werden, reichen dann für die flowigen Trails im Vinschgau wie etwa den Sieben-Brunnen-Trail bei Prad oder den Holy Hansen bei Schlanders. Natürlich können die ausgepowerten Biker unseren Kaffee auch nach der Tour genießen, zum Beispiel im Café am Platzl am Hauptplatz von Prad, seit jeher eine Biker-Einkehr.