Von Action im Bikepark Wagrain bis zur Säcklermeisterin in Kleinarl

Text Hannah Röther Bild David Schultheiss
Reise

Lernen von Meistern

„Man braucht ein gutes Auge“ – zweimal hören wir den Satz an diesem Tag, von Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Tonio Kriesche ist Trailbuilder, im Bikepark Wagrain schon von Anfang an mit dabei. Bernadette Fritzenwallner ist Säcklermeisterin, nach altem Brauchtum schneidert und bestickt sie Lederbekleidung, vor allem Lederhosen. Was beide verbindet, ist ihr Können, ihre Kunstfertigkeit auf einem ganz bestimmten Gebiet: Was dem einen die Trails, ist der anderen die Lederhose. Besucht haben wir beide in Wagrain und Kleinarl und dabei viel gelernt: von Menschen, die sich auskennen.

 
 

Holz, Wurzeln und Felsen – Wagrain ist ein Spielplatz für fortgeschrittene Biker.

Kanadier in Österreich – der Bikepark Wagrain

„Sustainability. Es geht darum, etwas Dauerhaftes zu schaffen.“ Tonio ist in seinem Element. Der junge Mann hat sich den Tag freigenommen, um uns den Bikepark Wagrain zu zeigen – „seinen“ Bikepark. Denn auch, wenn er mittlerweile nicht mehr als Streckenpfleger arbeitet, war er von Beginn an dabei, als Jason Roe 2005 mit dem Bauen begann. Der Kanadier ist niemand anderes als Mitbegründer des Bikeparks in Whistler, der Mutter aller Parks. Tonio hatte dort gerade den Sommer verbracht, bevor er in seine Heimat zurückkam und von Jason ins Team geholt wurde. Von nun an lernte er vom Meister persönlich. Bikeparks steckten in Europa zu diesem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen, es wurde vieles gebaut, was entweder gefährlich, zu schwierig oder nicht von Dauer war. Erst langsam kommt das in Kanada über viele Jahre gewachsene Wissen auch in Europa an, Details, die für Tonio eine Selbstverständlichkeit sind: „Ein Trail muss alle Facetten abbilden, er darf nicht nur für Könner fahrbar sein. Du darfst nicht nur für dich bauen!“
Eine Philosophie, die sich schon bei der ersten Abfahrt zeigt. Wir starten auf „On Air“, einem breiten, baggergeshapten Trail, der uns mit einem monströsen Wallride begrüßt – so gebaut, dass man sich von Mal zu Mal ein paar Zentimeter höher in die Steilwand schießen lassen kann, bis man plötzlich drei Meter über dem Boden an der Bretterwand entlang hämmert. „On Air“ lässt einem stets die Wahl: Tables können übersprungen oder überrollt werden, und die riesigen Anlieger machen bei jeder Geschwindigkeit Spaß. Unterwegs macht uns Tonio immer wieder auf Feinheiten der Trailbaukunst aufmerksam. So etwa auf „Lily’s Treat“: Vor den meisten Anliegern sind kleine Gegenhänge aufgeschüttet, man wird automatisch langsamer, bevor es in die Steilkurve geht: Das erzeugt Flow, Flow vermeidet Bremsen, ohne Bremsen keine Bremswellen und keine Erosion – die Gleichung geht auf. Man merkt, dass hier Profis am Werk sind.

Kleinere Sprünge und Erfrischung für das Bike nach der Fahrt. Und viel wichtiger, der Meister hinter den Strecken.

Nachhaltigkeit auf vielen Trails

Tonio hat Visionen, denn auch er hat sich weiterentwickelt seit seiner Zeit in Whistler. „Ich fahre mittlerweile auch ganz gern bergauf“, gibt er schmunzelnd zu. Entsprechend ist für ihn der Park auch nur ein Aspekt der Bikevielfalt im Kleinarltal. Der Park wird zwar weiter ausgebaut – für 2015 ist eine Abfahrt von der Bergstation des Flying Mozart geplant – aber Tonio sieht die Zukunft in den vielen Trails um Wagrain herum. Diese so zu gestalten, dass sie nachhaltig für viele Waldnutzer attraktiv sind, ist sein Herzensanliegen. Die Erfahrung dafür scheint er zu haben, man darf also gespannt sein, was sich hier in den kommenden Jahren tun wird.
Auch ohne ausgewiesene Singletrails sehen wir uns im Tal um. Forstwegtouren gibt es schließlich zur Genüge, und auch die führen durch die wilde Natur des Kleinartals, das bis an die Grenzen des Nationalparks Hohe Tauern reicht. Kurz vor dem Talschluss erreichen wir den Jägersee, einen idyllischen, auf über 1.000 Meter Meereshöhe gelegenen Bergsee. Das Gasthaus bietet frisch gefangene, mit Mandeln gebratene Forellen zum Mittagessen und von einer Ruderboot-Partie hält uns nur der immer noch starke Regen ab. Wiederkommen scheint sich zu lohnen, nicht nur die vorzüglichen Forellen machen uns das deutlich. Vor allem die Aussicht auf ein Bad im klaren Bergseewasser nach einem vollgepackten Bikeparktag ist ziemlich verlockend.

Was bist du?

„Säcklermeisterin.“ Bernadette wiederholt lachend ihre Berufsbezeichnung. Sie empfängt uns in ihrem Atelier auf dem elterlichen Hof in Kleinarl. Zugegeben, eine Lederhosen-Schneiderin hatte ich mir anders vorgestellt, alt und traditionell gekleidet. Stattdessen begrüßt uns eine junge, aufgeweckte Frau, die sofort loslegt, als wir den Raum betreten: „Säckler fertigen Bekleidung aus Leder, am bekanntesten ist die klassische Hirschlederhose. Die Auswahl des Leders, das Einfärben, der Zuschnitt und das Besticken sind alles Aufgaben des Säcklers.“ Bernadette ist eine der Letzten ihrer Art. Das Handwerk ist vom Aussterben bedroht, obwohl es eigentlich an Nachfrage nicht mangelt. Ihre Kunden müssen auf Maßanfertigungen über sechs Monate lang warten – und oft mehrere Tausend Euro für ein Stück hinlegen. Dafür sind die Hosen Begleiter für’s Leben. „Sustainability“, denke ich, irgendwo habe ich das heute schon mal gehört, und träume zurück zu flowigen Anliegern ... Aber auch Bernadette hat Details auf Lager, mit denen sie uns in ihren Bann zieht: Wer hätte gedacht, dass ein Kenner eine handgefertigte Lederhose alleine an den Stickereien erkennt, da viele Stiche mit Maschinen gar nicht ausführbar sind? Oder, dass Hirschleder als edler gilt als Gamsleder, da sich Gämsen im Gelände oft Kratzer zuziehen, die dann als Narben auf dem Leder zu sehen sind? Je mehr Bernadette aus ihrem riesigen Wissensfundus erzählt und uns verschiedene Arbeitsschritte erklärt, umso größer wird mein Respekt vor diesem traditionellen Kleidungsstück, dem ich früher nie große Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Die Kunst handgenähter Lederhosen wird hier eine Generation weitergetragen.

Nach einer Einführung in kanadische Trailbaukunde können wir nach unserem Tag im Kleinarltal nun also auch mitreden, wenn es um österreichische Lederhosen geht. Reisen bildet eben! 

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