Claudio Caluori im Kreuzverhör – Ein Mann für alles

Interview Norman Bielig Bild privat
Geschichten

48h Tage

Claudio Caluori ist der Kopf hinter Velosolutions, plant und baut dort Pumptracks und Mountainbike-Strecken, er managt das Scott-Gstaad Gravity Team und ist der heimliche Star des Downhill-Weltcups. Seine Streckenbefahrungen haben mehr Zuschauer als die Finalläufe und wir fragen uns, wann geht Claudio Caluori eigentlich dafür trainieren, bei einem so engen Zeitplan?

Aus der Ausgabe 09.16

 
 

World of MTB: Hallo Claudio, stell dich doch bitte kurz vor.

Claudio Caluori: Hi, meinen Namen kennst du ja jetzt schon, ansonsten bin ich Kommentator beim Worldcup, GoPro-Kamerafahrer beim Worldcup, bei Red Bull Crashed Ice und Gründer von Velosolutions. Die Kamerafahrten kommen ursprünglich von Red Bull Crashed Ice. Zuerst bin ich die Rennen mitgefahren, bin dann aber bald Mediensprecher geworden, mache die Gopro-Runs, coache aber auch Anfänger, wenn sie zum ersten Mal den Berg runter fahren und passe auf, dass sie sicher unten ankommen.

World of MTB: Deine Tätigkeitsfelder sind ziemlich vielseitig und wahrscheinlich auch zeitintensiv. Wie handhabst du dein Zeitmanagement und welche Tätigkeit hat aktuell Priorität?

Claudio Caluori: Von außen sieht es nach dem totalen Chaos aus, ich bin leider nicht super organisiert – brauche zum Glück aber auch nur wenig Schlaf. Ich versuche, mir das ganze Organisatorische aufzuteilen und habe beim Team Gstaad-Scott inzwischen einen sportlichen Leiter, der sich um die ganzen sportlichen Aspekte wie Testsessions, aber auch um Flüge, Hotels, Anmeldung und vieles mehr kümmert. Bei Velosolution stehe ich oft auch noch mit auf der Baustelle, wenn keine WC-Rennen sind. Die Schweizer Crew ist inzwischen völlig selbstständig, ohne dass ich mich groß darum kümmern muss. Bei Projekten im Ausland bin ich aber schon noch oft dabei, ich muss nicht, aber ich will ja selber. Mein Büro in der Schweiz kümmert sich inzwischen um Alltägliches wie Angebote und Rechnungen schreiben, und die Crew in den USA wird auch bald allein agieren können.

World of MTB: Wie bereitest du dich auf die Streckenbefahrungen vor? Dein Tempo ist ja durchaus nicht so weit hinter dem der aktuellen Profis. Training?

Claudio Caluori: Training? Gibt es nicht! Ich bekomme ja wirklich nur den einen Lauf mit der GoPro, ich muss mir alles bei der Streckenbegehung merken, sonst kann es ganz schön kritisch werden. Bei Strecken, die ich selber noch als aktiver Profi Vollgas mitgefahren bin, fällt es deutlich leichter, weil ich noch alles im Kopf habe. Bei den neuen Tracks wird es richtig schwierig, da die Jungs die komplette Strecke auswendig kennen und ich mich nach jeder Kurve neu orientieren muss. Sie wissen ja, was kommt, für mich ist es da oft unmöglich dran zu bleiben. In der 2015er Saison bin ich insgesamt acht Mal mit dem Downhiller gefahren, also bei den GoPro-Runs.

World of MTB: Wie schaut bei dir ein freier Tag aus?

Claudio Caluori: Den gibt’s nicht! Wenn ich mir für etwas Zeit nehme, ist es für meine Kinder, falls ich in der Schweiz bin.

World of MTB: Haben sich dein Fahren und dein Umgang mit Gefahren verändert, seit du eine Familie hast?

Claudio Caluori: Es hat sich dahingehend geändert, dass ich Sachen nicht mehr als Erster springen will, wenn ich nicht weiß, ob sie auch wirklich funktionieren. Es ist aber auch oft so, dass ich wirklich der Erste bin, der neue Sprünge auf den WC-Tracks ausprobiert. Ich fahre ja immer vor dem ersten Training und muss auf meine Erfahrung und Vernunft bauen und hoffen, dass es geht. Seit ich die GoPro-Runs nicht mehr alleine mache, ist es aber einfacher. Wenn Aaron dir die Entscheidung abnimmt, etwas nicht beim ersten Mal zu springen, darf ich erst recht die Chickenline nehmen.

World of MTB: Was war deine bisher schlimmste Verletzung und wie bist du damit umgegangen?

Claudio Caluori: Das war 2003 beim Training in Südfrankreich, als ich mir die Ferse zertrümmert habe. Mein großes Ziel war damals, die WM in der Schweiz zu gewinnen. Der erste Arzt meinte, ich werde nie mehr biken, der zweite meinte, vier Jahre, und der dritte, mit viel Glück vielleicht in zwei Jahren. Nach zwei Monaten Reha bin ich wieder im WC mitgefahren und wurde sogar Fünfzehnter. Bei der WM.

World of MTB: Was hat sich im Downhill-Weltcup verändert, seit du als Teammanager aktiv bist?

Claudio Caluori: Zu meiner Zeit was es so, dass man sich einen Rock Garden erstmal anschaut und sich eine Linie sucht, die wahrscheinlich fahrbar ist. Inzwischen ist es so, dass Jungs wie Gee in richtig krasse Steinfelder einfach auch mal mit Vollgas reinspringen, um zu schauen, was passiert. Das Niveau hat sich aber grundlegend gesteigert; viele Sachen, die Kids heute in den Parks springen, wären in den 90ern völlig undenkbar gewesen. Man kann aber nicht sagen, dass z.B. ein Steve Peat in den 90ern schlechter gefahren ist; er war da mit 10m-Gaps genauso gefordert wie jetzt mit 30m-Sprüngen. Er hat die Entwicklung einfach mitgemacht.

World of MTB: Wie fühlt es sich an, die eigenen Fahrer während des WC-Rennens zu kommentieren, wenn etwas nicht so läuft, wie man es sich wünscht?

Claudio Caluori: Ganz ehrlich warten wir immer noch auf das ganz große Resultat. Ich bin jedes Mal mega am Mitfiebern und am Hoffen, dass es klappt. Es bricht aber auch keine Welt zusammen, wenn es kein Podest ist. Wir wissen alle, dass es klappen kann – Brendan hat seine Qualitäten und auch ohne Podest eine gute Medienpräsenz und ist durch seinen Style sehr beliebt. Wenn er aber wirklich mal auf dem Podest landet, sollten die anderen Teams schnell zusammenpacken, dann brennt richtig die Hütte bei uns!

World of MTB: Es wird immer wieder diskutiert, dass der DH-Sport zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, andere wiederum haben da eher Angst vor. Wie siehst du den Status des Sports aktuell?

Claudio Caluori: Gerade gibt es da ein gesundes Wachstum. In den 90er Jahren ist es ja völlig explodiert, nur um Anfang 2000 völlig zu zerfallen. Seit dem ist es aber kontinuierlich, von Jahr zu Jahr, gewachsen. Die Zuschauerzahlen steigen und wenn es so weiter geht, ist es richtig cool. Natürlich hätte ich gerne eine Live-TV-Übertragung bei größeren Fernsehstationen, es ist aber auch geil, wie es jetzt ist. Mit TV oder ohne.

World of MTB: Wechseln wir zur Rampage. Auch hier immer wieder Diskussionen, dass Sponsoren dafür sorgen, dass alles immer spektakulärer und gefährlicher wird. Wie siehst du das?

Claudio Caluori: Nur den Sponsoren die Schuld zu geben, ist sicher zu einfach. Es sind auch oft die Fahrer, die es wirklich größer wollen und hier wird ihnen einfach die Möglich gegeben. Es wird da niemand gezwungen. Wenn einem das Canyon Gap zu krass ist, braucht er sich nur eine andere Line suchen, die für ihn funktioniert. Brendan ist dieses Jahr auch wieder eingeladen und er macht das echt supercool. Mir wäre es aber fast lieber, er würde nicht fahren.

World of MTB: Gehen wir von einem Ende zum nächsten. Thema Pumptracks. In der Schweiz habt ihr über die letzten Jahre extrem viele Projekte umsetzen können. Warum sollte eine Kommune aus deiner Sicht in einen Pumptrack investieren?

Claudio Caluori: Aus dem gleichen Grund, aus dem eine Gemeinde Geld in einen Spielplatz, ein Schwimmbad oder einen Fußballplatz investiert. Der Pumptrack ist dabei aber wesentlich effizienter darin, die Kids vom Fernseher wegzuholen, damit sie sich draußen bewegen und Spaß haben. Wir sehen es oft, dass unsere Pumptracks völlig überfüllt sind, während der Fußballplatz daneben komplett leer ist.

World of MTB: Gibt es beim Bau und der Planung wichtige Punkte zu beachten?

Claudio Caluori: Die Formen müssen einfach stimmig sein und es darf keine Gefahren geben, deshalb bauen wir auch fast nie Starthügel. Die Kids sollen nicht von einem Hügel auf die ersten Roller runterdonnern, ohne dass sie wissen, was sie machen müssen. Die Geschwindigkeit soll durch das Pumpen kommen; dadurch, dass man erfährt, wie man sich auf dem Bike bewegen muss. Wir bauen dabei auch fast nur asphaltierte Pumptracks. Die Strecke wird damit allwettertauglich, die Gemeinde muss sich nicht darum kümmern, und die Kids können außer mit Bikes auch mit Inlinern, Skateboards und Scootern auf die Strecke.

World of MTB: Wie sollte man als Bike-Verein oder Interessierte/r vorgehen, wenn man den Wunsch nach einem Pumptrack in der Nähe hegt?

Claudio Caluori: Am besten den Entscheidern einfach ein Video zeigen, dass es den Kids, die gerade anfangen zu fahren, genauso viel Spaß macht wie den Pro’s, und die Strecke für wirklich alle funktioniert. Erklärt ihnen, dass man deutlich weniger Platz braucht und nur in etwa die Hälfte des Budgets wie für einen Fußballplatz. Wir helfen da auch gerne und gehen in Meetings mit und erklären das gesamte Konzept.

World of MTB: Neben Pumptracks baust du auch Bike-Strecken. Haben sich der Bau und der Kundenwunsch hier in den letzten Jahren verändert?

Claudio Caluori: Es geht dabei immer mehr darum, die Strecken für jedermann tauglich zu machen. Es wird kaum mehr Extremes gewünscht, sondern ein Kompromiss, damit es für Geübte durch eine höhere Geschwindelt interessant ist, aber auch die Masse ihren Spaß hat. Reine DH-Strecken bauen wir eigentlich nur noch an WC-Austragungsorten; es geht wirklich darum, dass die große Masse der Biker ihren Spaß auf den Strecken hat.

World of MTB: Wer sind deine Auftraggeber?

Claudio Caluori: Bei Pumptracks fast immer die öffentliche Hand, also Städte und Gemeinden. Wenn es um Bikepark-Strecken geht, sind die Auftragsgeber meistens Tourismus-Destinationen und Liftbetriebe.

World of MTB: Wo siehst du die Zukunft für alpine Bikeparks?

Claudio Caluori: Es wird sicher spannend werden, weil viele etwas Kleines bauen. Es ist nicht so wie in Whistler, dass der ganze Berg nur einem Typen gehört – in den Alpen muss man oft jahrelang mit vielen Besitzern verhandeln, nur um eine Strecke zu bauen. Es wird da wohl nirgends gehen, dass man an einem Berg 50 Strecken runterzieht, sondern mehr so, dass jede Liftstation einen eigene Strecke haben wird. Was es aber momentan viel zu wenig gibt sind CC-Strecken, und nicht Trails mit Lifttransport. Momentan ist es so, dass man in den Alpen oft einfach nur zwei Stunden stupide eine Schotterstraße hochkurbelt und oben dann schon fast zu fertig ist, um den Downhill auf dem Trail richtig zu genießen. Da gibt es sicher riesiges Potential, schöne Wege zu bauen, die bereits beim Hochfahren Flow bieten und Spaß machen.

World of MTB: Was fährst du privat, wenn du mal Zeit hast?

Claudio Caluori: Wenn mir der Computer zum Hals raus hängt, gehe ich meistens eine Runde CC fahren, um den Kopf frei zu bekommen. Zum Runterkommen spiele ich aber momentan jeden Tag eine Stunde Gitarre, oft wird es da aber schon mal zwei Uhr nachts. Etwas gemäßigtere Zeiten wären da schon cool, auch wenn ich nur wenig Schlaf brauche.

World of MTB: Lieblingsort?

Claudio Caluori: Zuhause in Rhäzüns, auch wenn ich da nie bin. Ich lebe bei meinem Onkel auf dem Bauernhof, da kommt es auch schon mal vor, dass ich wirklich alles stehen und liegen lasse und ihm bei der Ernte helfe, wenn er viel zu tun hat. Mit dem Traktor über die Felder fahren ist da richtig befreiend.

World of MTB: Lieblingstour?

Claudio Caluori: Die Natur-Trails zuhause – nichts Gebautes, einfach nur coole Wege, die super zu fahren sind.

World of MTB: Musik zum Biken und wenn ja, welche?

Claudio Caluori: Pearl Jam oder Foo Fighters.

World of MTB: Regenerationsgetränk?

Claudio Caluori: Südafrikanischer Rotwein.

Pumptrackbau auf der einen Seite, Streckenbefahrungen und World Cup-Team managen auf der anderen.

Claudio Caluori und Steve Peat

Claudio bei der Feinarbeit eines Asphaltpumptracks in New York. Wird hier der Grundstein für die Zukunft des Jugendsports gelegt?

nach oben