Huber Buam – Das E-MTB als perfekter Begleiter bei der Rotpunktbegehung

Text & Bild Andreas Meyer
Reise

Rotpunkt
im Turbo Modus

Sonntag. 4 Uhr. Der Wecker klingelt.
Nach einem Sommer voller Shootings, bei denen ich fast jeden zweiten Tag zum Sonnenaufgang auf einem anderen Berg stand, fällt es mir fast schon leicht, mich aus den Federn zu schälen und ins Auto zu setzen. Dieses Mal ist es eben anders, etwas Besonderes. Statt meiner Fotomodels, die mich sonst mit verschlafenen Augen anschauen, warten heute zwei Kletterer auf mich. Guido Unterwurzacher und Alexander Huber, die jüngere Hälfte der Huber Buam.
Unser Treffpunkt liegt in einem kleinen Ort in Tirol am Fuße des Wilden Kaisers, die Sonne versteckt sich noch hinter dem Horizont und so packen die zwei Extremkletterer, einwattiert in Daunenjacken, ihre Kletterausrüstung routiniert in ihre Rucksäcke. Guido, der nur ein paar Kilometer von hier entfernt aufgewachsen ist, hat das Kletter-Equipment mitgebracht: Seile, Klemmkeile, Bandschlingen. Alexander hat seine zwei Corratec E-Bikes dabei, seine Schuhe und Klettergut.

 
 

Rückenwind

Zügig fahren wir los, hinter den Bergen beginnt es bereits zu dämmern und wir haben noch 700 Höhenmeter vor uns. Auf den ersten hundert Metern wird mir bereits klar, dass ich mit Stromsparen nicht weit komme. Alexander tritt gemütlich vor mir her und ich darf mich beeilen, um dran zu bleiben. Als wir wieder gleichauf sind, erklärt er auch, was los ist. Außer Turbo fahren sie hier nichts und Alexander hat ein S-Pedelec, das bis 45 km/h unterstützt. Die Akkukapazität reicht leicht bis zum Ende des fahrbaren Wegs und es kommt hier nur darauf an, Kraft zu sparen. Genau die Kraft, die man schon verschwenden würde, wenn man den Weg zu Fuß hochginge und dabei auch noch die Kletterausrüstung tragen müsste. Das E-Bike ist dabei die ideale Lösung, finden Alexander und Guido. Die Alpen sind gut erschlossen mit Wegen, die auch mit Autos leicht zu befahren wären. Es ist allerdings ein Problem, Genehmigungen dafür zu erhalten, und auf Privatstraßen versperren oft Schranken den Weg, die sich aber mit Bike problemlos umfahren lassen. Beim Hochfahren wird ein weiterer, nicht zu verachtender Vorteil des Pedelecs klar: Die Forststraße, die wir hier mit 20 km/h gerade gemütlich hochradeln, während wir uns über Elektromobilität unterhalten, möchte ich wirklich nicht wandern müssen. Das Schotterband schlängelt sich über zahlreiche Kehren steil den Berg hinauf durch einen Wald, dem man die kommerzielle Nutzung auch ansieht.

Mit der Sonne im Rücken und elektronischer Unterstützung bekommt Rückenwind eine ganz neue Bedeutung.

Südwind

Die Idee für Südwind – die Kletterroute, wegen der wir hier sind – entstand, weil es eine sehr offensichtliche Route ist, die gerade auf den Gipfel der Maukspitze zuläuft. Alexander verbindet mit dem Wilden Kaiser seine ersten Klettererfahrungen. Damals war er mit seinem Bruder Thomas hier erstmals allein unterwegs. Seine Mama hatte die zwei Brüder, die gerade einmal 14 und 16 Jahre alt waren, zum Wilden Kaiser gefahren. Eine Woche lang in den Ferien kletterten die zwei Teenager dann in Tirol und sammelten Klettererfahrung, während ihre Klassenkameraden im Freibad lagen. Das an die Chiemgauer Alpen, das Rofangebirge und das Mangfallgebirge angrenzende Kaisergebirge war bereits während der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg Wiege der Münchner Kletterszene. Der Fels besteht hauptsächlich aus Kalk und Dolomit. Nach einer Volksbefragung wurde es 1963 zum Naturschutzgebiet erklärt, weshalb es auch nur eine künstliche Aufstiegshilfe gibt: einen Sessellift, der zum Brentenjoch hochfährt. Die Maukspitze markiert mit 2.231 Meter Höhe dabei den östlichsten eigenständigen Gipfel des Wilden Kaisers.
So ist es neben den großen Expeditionen auf der ganzen Welt für Alexander etwas ganz Besonderes, genau hier eine Route im 10. Grad zusammen mit Guido zu befreien.
Die Pedelecs, auf denen wir sitzen, betrachtet Alexander vor allem als Transportmittel und weniger als Sportgerät. Am Ende der Forststraße, als endlich die Sonne über die Berge kommt, verstecken wir sie getrennt von den Akkus. Die Displays kommen in den Rucksack und es geht zu Fuß weiter. Auf einem hauptsächlich von Kühen ausgetretenen Pfad geht es steil nach oben. Peter, der Besitzer der Kaiserhochalm auf 1.434 Meter, an der wir nach ein paar Hundert Metern vorbeikommen, ist auch schon munter und bietet uns spaßeshalber einen Schnaps an. Was als Scherz gemeint war, manifestiert sich nach einem fröhlichen „Ja freili!“ von Alexander schnell als hochprozentige Wirklichkeit in unseren Händen. Einen vorgezogenen Gipfelschnaps später geht es weiter auf den Wanderweg Richtung Maukspitze. Guido geht voraus und ist bald schon nicht mehr zu sehen, ich bleibe bei Alexander und lasse es gemütlich angehen. Zumindest versuche ich es. Alexander geht sehr bedächtig und langsam nach oben, um Kräfte zu sparen. Bei normalem Tempo wären wir leicht doppelt so schnell oben am Einstieg. Beim Klettern kommt es dabei nicht nur auf die Kondition an, sondern auf Kraft, verbunden mit perfekter Klettertechnik. Mit den Reserven hauszuhalten hat hier oberste Priorität, und unterhalten kann man sich natürlich auch besser. Neben der Route, die heute auf dem Programm steht – Expeditionen im Karakorum –, geht es bei unserem Gespräch natürlich auch um E-Bikes.

Es geht nicht nur um Leistung, sondern auch um Lebensart und so gehört der gemeinsame Trunk mit dem Hirtenwirt ebenso dazu wie der Respekt vor der Natur.

Im richtigen Verhältnis

Für Alexander ist das E-Bike das ideale Fortbewegungsmittel, wenn er zu Hause ist und nur in der näheren Umgebung zu tun hat. Dabei kommen dann auch gleich mal 30 Kilometer und mehr zusammen, die man normalerweise doch mit dem Auto fahren würde. Der Kinderanhänger ist dabei immer hinten fest angehängt, mit der Motorunterstützung merkt man ihn ja kaum, dafür lassen sich aber die Kinder vom Kindergarten abholen und die Einkäufe verstauen. Die 350 Höhenmeter, die es von seinem Haus in den Ort runtergeht, sind dabei das Hauptargument für das E-Bike. Mit Anhänger würde wohl selbst der Fitteste schnell wieder den Flatbar mit einem Lenkrad tauschen, dass dabei dann aber auch 2.000 Kilogramm Auto statt 20 Kilogramm E-Bike den Berg rauf und runter müssen, ist aber, energetisch betrachtet, für Alexander einfach sinnlos. So oft es geht, fährt er mit der Bahn, daheim mit dem E-Bike und, wenn es wirklich nicht anders geht, mit dem VW-Bus. Dabei werden dann aber auch gleich mal 30 Getränkekisten auf einmal gekauft, damit man so schnell nicht wieder fahren muss. Investitionen in Elektromobilität als Fortbewegungsmittel der Zukunft sieht er vor allem bei Autos kritisch, denn für die meisten Kurzstrecken würde ein E-Bike auch reichen, und am Ende des Tages hat man gleichzeitig etwas getan, ohne sich völlig verausgabt zu haben.
Auch die Mama fährt schon mit Unterstützung. Nachdem sie erst mal überredet werden musste, um sich überhaupt auf ein E-Bike zu setzten, würde sie es inzwischen nicht mehr hergeben wollen.
Währenddessen haben wir auch Guido wieder eingeholt, der auf seinem Rucksack sitzt und zur Maukspitze raufschaut. Endlich kann man die Wand sehen, an der es später raufgeht. „Ist schon wieder flacher geworden“, feixt Alexander. Für alle anderen, die nicht zur weltweiten Kletterelite gehören, ist es immer noch eine senkrechte Felswand, die wir hier betrachten.

Durch die letzten Latschenkiefern und über ein Geröllfeld geht es weiter Richtung Einstieg. Hier ist dann auch relativ schnell Schluss bei mir. Meine zwei staatlich geprüften Bergführer verabschieden sich und klettern zum Einstieg ihrer Route hoch. Die Südwind besteht aus zehn Seillängen. Die große Schwierigkeit besteht, neben den schlechten Möglichkeiten zur Sicherung, hauptsächlich in der technisch maximal anspruchsvollen Kletterei: Es gibt kaum Risse im Fels, die das Platzieren von Keilen erlauben, und der Abstand zwischen den von ihnen gesetzten Bohrhaken ist auch deutlich größer als bei normalen Sportkletterrouten.

Die letzten Meter zur Wand geht Alexander Huber in stoischer Ruhe. Konzentrieren und bloß nicht unnötig Kraft investieren.

Südwind Rotpunktbegehung

Südwind wurde im Herbst 2014 von den beiden an zwei Tagen erstbegangen, für dieses Jahr war dann die Rotpunktbegehung vorgesehen. Drei Tage wurden dabei in die Vorbereitung investiert und zwei Versuche brauchte es dann letztendlich, um völlig frei – und dabei auch sturzfrei – die Route zu durchklettern. Die berühmte Rotpunktbegehung, das freie Durchsteigen einer dem Kletterer bekannten Kletterroute im Vorstieg in einem Zug, ohne die Sicherungskette zu belasten.
Heute wird es leider nicht klappen, in der letzten Neuner Länge nach der Schlüsselseillänge geht Alexander der Saft aus. Eine Woche später, am 30. September, ist es aber endlich soweit: Trotz starkem Wind nutzen sie ihre letzte Chance in diesem Herbst – und es passt alles, der Grip ist sensationell und die Südwind ist endlich befreit.

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